Die Europäische Zentralbank (EZB) hält vor der Sommerpause die Füße still und lässt die Zinsen unverändert. Die Währungshüter um Notenbank-Präsidentin Christine Lagarde beschlossen am Donnerstag auf der EZB-Ratssitzung in Frankfurt, den Leitzins bei 4,25 Prozent zu belassen. Der am Finanzmarkt maßgebliche Einlagensatz, den Banken für das Parken überschüssiger Gelder erhalten, bleibt weiter bei 3,75 Prozent.
Aber die Wirtschaft im Euroraum ist aus Sicht von Lagarde auf Wachstumskurs. Es gebe Hinweise darauf, dass sie im zweiten Quartal zugelegt habe, wenn auch langsamer als zu Jahresbeginn, sagte die Französin am Donnerstag nach dem Zinsbeschluss in Frankfurt. Der Dienstleistungssektor treibe die Erholung an, während die Industrieproduktion und der Warenexport weiter schwach ausfielen. Mit Blick auf die weiteren Aussichten sei damit zu rechnen, dass auch der Konsum seinen Teil zur Erholung beitragen werde.
Die Stärkung der Realeinkommen durch eine niedrigere Inflation und höhere Löhne dürften dies möglich machen. Zudem würden die Exporte im Einklang mit einer weltweit anziehenden Nachfrage voraussichtlich zulegen. Und auch die Geldpolitik sollte aus Sicht Lagardes mit der Zeit die wirtschaftliche Nachfrage weniger bremsen.
Die EZB hatte im Juni die Zinswende vollzogen und erstmals seit 2019 die Zinsschraube gelockert. Die Festlegung der angemessenen Höhe und Dauer des restriktiven Niveaus durch den EZB-Rat werde auch in Zukunft von der Datenlage abhängen und von Sitzung zu Sitzung erfolgen, erklärte die EZB: "Der EZB-Rat legt sich nicht im Voraus auf einen bestimmten Zinspfad fest."
Die Ankündigung ließ Anleger weitgehend kalt. Der DAX und der EuroStoxx50 verharrten bei ihren Gewinnen von jeweils knapp einem halben Prozent. Der Euro blieb knapp im Minus bei 1,09 Dollar.
Die ersten Stimmen nach dem Zinsbeschluss klangen zufrieden. "Wir sind seit der letzten Zinsentscheidung auf dem Pfad der Inflationsbekämpfung nur ein wenig vorangekommen", erklärte Jörg Asmussen, Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Daher sei es richtig, dass die EZB die Zinsen konstant gehalten habe.
Aus Sicht von Ulrich Kater, Chefökonom der Dekabank, hat es die EZB alles andere als eilig mit weiteren Lockerungen. "Zurzeit sieht es gut aus für eine nächste Zinssenkung im September, denn auch die bislang hartnäckig hohe Dienstleistungsinflation im Euroraum lässt auf eine Beruhigung in den nächsten Monaten hoffen." Allerdings habe es in den zuletzt genügend Überraschungen bei den Preisen gegeben.
Im Juni seien die meisten Messgrößen der Inflation unverändert geblieben oder seien leicht zurückgegangen, erklärte die EZB. Die Geldpolitik sorge dafür, dass die Finanzierungsbedingungen restriktiv bleiben. Der Preisauftrieb bei den Dienstleistungen sei erhöht. Die Gesamtinflation werde voraussichtlich bis weit ins nächste Jahr über dem Zielwert bleiben. Die EZB strebt mittelfristig 2,0 Prozent Inflation als Optimalwert für den Währungsraum an. Die Notenbank werde die Zinsen so lange wie erforderlich ausreichend restriktiv halten, um dieses Ziel zu erreichen, erklärten die Währungshüter.
Volkswirte hatten mit einer Zinspause gerechnet. Zwar ist die Inflation in der 20-Länder-Gemeinschaft im Juni auf 2,5 Prozent gesunken. Sie liegt damit nicht mehr weit entfernt von der EZB-Zielmarke. Aber die Teuerung im Dienstleistungssektor, erweist sich als sehr hartnäckig. Im Juni lag sie wie schon im Mai bei 4,1 Prozent. EZB-Präsidentin Lagarde hatte zu Monatsbeginn gesagt, es werde einige Zeit dauern, bis die EZB genug Daten gesammelt habe, um sicher zu sein, dass die Gefahr einer zu hohen Inflation gebannt sei.
Zudem war das Lohnwachstum, einer der wichtigsten Inflationstreiber im Euroraum, zuletzt immer noch kräftig. Noch im ersten Quartal waren die Tariflöhne in der Eurozone um 4,7 Prozent gestiegen. Jüngste Unternehmensnachrichten weisen laut EZB-Chefvolkswirt Philip Lane aber inzwischen auf eine Abschwächung des Lohnwachstums hin. Laut einer Umfrage der Nachrichtenagentur Reuters aus der vorigen Woche rechnen Volkswirte damit, dass die EZB die Zinsen heuer noch zweimal senken wird. Die Ökonomen erwarten auf den Zinssitzungen im September und im Dezember Schritte nach unten um jeweils einen Viertelprozentpunkt. (apa)