Bei der Europäischen Zentralbank (EZB) mehren sich die Stimmen, die die Spekulationen an der Börse auf rasche Zinssenkungen zurückzudrängen versuchen. "Mit einer hohen Wahrscheinlichkeit ist der Zinshöhepunkt erreicht", sagte der Präsident der Deutschen Bundesbank Joachim Nagel in einem am Mittwoch veröffentlichten Interview zu "t-online".
"Allen, die deshalb gleich auf eine baldige Zinssenkung spekulieren, sage ich: Vorsicht, es haben sich schon manche verspekuliert." Ähnlich äußerte sich der Notenbank-Gouverneur der Niederlande, Klaas Knot. Die beiden Währungshüter gelten als Vertreter einer straffen Linie innerhalb des EZB-Rats, der über die Zinsen entscheidet.
Zuletzt war am Finanzmarkt auf eine erste Zinssenkung bereits im März gewettet worden. Am Geldmarkt ist ein Zinsschritt im April sogar zu 100 Prozent in den Kursen eingepreist. Insgesamt wird für das nächste Jahr aktuell erwartet, dass der Einlagensatz bis zum Jahresende auf 2,5 Prozent sinken wird. Aktuell liegt der Satz, den Geldhäuser erhalten, wenn sie bei der Notenbank überschüssige Gelder parken, bei 4,00 Prozent.
Am Montag waren bereits Sloweniens Notenbankchef Bostjan Vasle, Griechenlands Notenbankchef Yannis Stournaras und der Notenbank-Gouverneur der Slowakei, Peter Kazimir, solchen Spekulationen entgegengetreten. Nagel wies unter anderem darauf hin, dass in Deutschland aufgrund von Sondereffekten die Inflation zum Jahreswechsel sogar wieder steigen dürfte. "Insgesamt müssen wir wachsam bleiben: Inflationsbekämpfung ist kein Selbstläufer", sagte Nagel.
Sein EZB-Ratskollege Knot aus den Niederlanden sagte der "Börsen-Zeitung" in einem am Mittwoch veröffentlichten Interview: "Die Märkte neigen zum Jahresende immer zu Optimismus, auf den häufig ein Kater im Januar folgt." Die jüngsten Inflationszahlen seien zwar eine sehr willkommene Bestätigung dafür gewesen, dass die EZB auf dem richtigen Weg sei, die Teuerung wieder auf das Zielniveau von zwei Prozent zu senken. "Aber wir müssen die Lohnentwicklung abwarten, bevor wir sagen können, dass die Inflation auch dauerhaft die Wende geschafft hat", merkte Knot an. Im November war die Teuerungsrate in der 20-Länder-Gemeinschaft auf 2,4 Prozent gesunken. Das Zwei-Prozent-Ziel der EZB ist damit wieder in Reichweite gerückt. Die EZB-Volkswirte rechnen in ihren jüngsten Wirtschaftsprognosen für das Gesamtjahr 2024 allerdings noch mit einer Rate von durchschnittlich 2,7 Prozent.
Auch EZB-Chefvolkswirt Philip Lane versuchte am Mittwoch auf einer Veranstaltung in Dublin, den Spekulationen etwas den Wind aus den Segeln zu nehmen. Die Idee, dass man die November-Zahlen zur Inflation im Euro-Raum hochrechnen und mit Sicherheit sagen könne, es sei Zeit, sich hin zu Zinssenkungen zu bewegen, das sei nicht in den EZB-Wirtschaftsprognosen angelegt, sagte er. "Ich denke, das haben Sie in der letzten Woche einheitlich von Präsidentin Lagarde und von verschiedenen anderen gehört," fügte er hinzu. (apa)