Am Morgen des 15. September 2008 wurde die Insolvenz pünktlich zum Börsenstart bekannt gegeben. Diese Nachricht schockierte die Finanzwelt und zog massive Folgen mit sich. Der DOW-Jones fiel beispielsweise um 500 Punkte und verzeichnete damit den größten Kurssturz seit den Anschlägen des 11. Septembers. Die Krise überstanden mit Goldman Sachs und Morgan Stanley nur zwei der fünf großen US-Investmentbanken. Auch wenn der Fall Lehman Brothers nicht als alleinige Ursache der Finanzkrise gilt, so markiert der Niedergang des Instituts jedoch ihren Höhepunkt.
So eine Krise wie damals drohe heute nicht mehr, sagen Bankexperten. Zu stark wurden Kontrollen und Regulierung der Banken ausgebaut. Grundsätzlich könne man aber Krisen nicht ausschließen. Risiko komme heutzutage eher von einer negativen Dynamik nach Gerüchten in Social Media und aus der digitalen und damit massiv beschleunigten Abwicklung von Bankgeschäften.
"Wir haben absolut aus Lehman etwas gelernt", sagt Wifo-Bankenexperte Thomas Url und verweist im Gespräch mit der APA unter anderem auf die wesentlich höheren Kapitalvorgaben für heimische Banken, aber auch auf zweijährliche Stresstests für systemrelevante Banken. In der EU seien mehrere Institutionen zur Kontrolle von Finanzinstituten geschaffen worden, darunter das "Finanzmarktstabilitätsgremium", das als Teil des Europäischen "Systemic Risk Board" eine vorausschauende Risikoabschätzung macht. Zuletzt führte dies zur Verschärfung der Regeln für die Kreditvergabe in Österreich (KIM-VO).
Auch der Finanzmarktexperte und frühere Raiffeisen-Chefanalyst Peter Brezinschek ist überzeugt, dass Lehren aus der Lehman-Pleite gezogen wurden. Abgesehen von strengeren Kapitalvorschriften, etwa mit den "Basel III" genannten Vorgaben für Banken, habe das Risikomanagement einen "viel, viel höheren Stellenwert" gewonnen und man wisse nun, dass es "fatal" sei, zu glauben, dass der Wert von Immobilien immer nur steigen kann. Die Banken hätten auch aktuell bewiesen, dass sie einen plötzlichen, starken Zinsanstieg gut wegstecken können, sagte er zur APA.
Grundsätzlich sei die Krise von 2008 vor allem eine Vertrauenskrise gewesen, so Brezinschek, weil die Banken einander wie auch Großkunden kein Geld mehr liehen, selbst wenn sie genug Geld hatten. Eine zentrale Erkenntnis aus den damaligen Problemen sei es daher, das Vertrauen in den Finanzsektor zu stärken. "Das wertvollste Kapital, das Banken haben, ist das Vertrauen der Kunden und der anderen Geschäftsbanken", hebt der frühere Raiffeisen-Banker hervor. "Man soll nicht herumzündeln und Misstrauen gegen das Finanzsystem säen", denn ohne Banken würde das Wirtschaftssystem nicht funktionieren. Aber, gibt Brezinschek zu bedenken, "Krisen kommen immer dort, wo man sie nicht erwartet". Auch wenn er keine akute Bedrohung sehe, sollte man etwa die unglaublich hohe Aktienbewertung mancher Unternehmen im KI-Bereich oder die Lage der Immobilienwirtschaft in China im Auge behalten.
Auch Url glaubt, dass Krisen heute jedenfalls anders aussehen würden. Ein "Bank-Run" wie damals, dass also Menschen vor dem Bankschalter oder Bankomat Schlange stehen, würde heute ganz anders ablaufen. Heute gehe das mit Elektronic Banking viel schneller und weniger sichtbar. Außerdem könnten gerade die großen Einlagen von Menschen mit Fachwissen bei den ersten Gerüchten blitzartig abgezogen werden - das sei etwa der kalifornischen Silicon Valley Bank zum Verhängnis geworden: In wenigen Wochen seien enorme Mengen Kapital abgeflossen.
Nicht ganz einig sind sich Url und Brezinschek, ob die Bankenrettung durch (Teil-)Verstaatlichung ökonomische Vorteile bringt. Brezinschek hält viel von diesem Schritt. Dies habe in den USA und in einigen europäischen Ländern dazu geführt, dass die Steuerzahler daran letztlich verdient hätten. Url hingegen verweist darauf, dass Notverstaatlichungen in Österreich mit herben Verlusten verbunden waren - wohl auch deshalb, weil die meisten Institute schon im Vorhinein durch staatliche Garantien unterstützt waren. "Man kann das schon machen, aber die schnelle Abwicklung kann den Bedarf an öffentlichen Mitteln geringer halten", so Url unter Verweis auf die ebenfalls nach der Lehman-Pleite geschaffene neue Regelung zur Bankenabwicklung (Single Resolution Act).
Auch wenn einige US-Banken zuletzt untergegangen sind, von einer Bankenkrise könne man unter den derzeitigen Rahmenbedingungen nicht reden, sind sich Url und Brezinscheck jedenfalls einig. Es seien nur "Boutiqen-Banken" betroffen, wie es Url nennt. Die Silicon Valley Bank etwa war auf die Verwaltung von Einlagen von Start-Ups spezialisiert und bekam teilweise von einzelnen Kunden nach einer Finanzierungsrunde Milliardenbeträge - genau diese wurden dann aber in der Krise sehr schnell wieder abgezogen.
Brezinschek sagt, "es ist keine Bankenkrise, sondern eine Krise von Spezialbankenmodellen, die jedem Anfänger hätte auffallen müssen". Es sei kein Zufall, dass die betroffenen Institute in Kalifornien beheimatet seien, die dortige Aufsicht sei sehr expansiv und auf niedrige Zinsen eingeschworen. Die Bankenstruktur in den USA habe sich sei 2008, als riesige Investmentbanken ohne Kundeneinlagen wie im Speziellen Lehman Brothers ins Wanken gerieten, grundlegend geändert. Mit Morgan Stanley und Goldmann Sachs gebe es nur mehr zwei große Investmentbanken und diese seien viel strenger reguliert als damals. Auch das damalige Schattenbankensystem mit unregulierten Zweckgesellschaften (Special Purpose Vehicles) gebe es so nicht mehr.