Aus Anlass des 6. ÖVI-Stadtentwicklungstag 2023 rief die Immobilienwirtschaft zu einem ambitionierten und adäquaten Umgang mit den Regelungsinstrumenten für eine zukunftsfitte Stadt auf. Das Dialog-Forum des ÖVI spannte den Bogen ausgehend von der praktischen Handhabung von ESG und EU-Taxonomie bis zur konkreten Umsetzung der Wiener „Raus aus Gas – Strategie“. Weiters im Fokus: Der aktuelle Stand der Novellierung der Wiener Bauordnung und ein kritischer Blick auf die Erfahrungen aus fünf Jahren Widmungskategorie Geförderter Wohnbau.
ÖVI Bauträgersprecher Klaus Wolfinger formuliert die zentralen Kritikpunkte bei der geplanten Wiener Bauordnungsnovelle: „Die angekündigten Verbesserungen halten bei näherer Prüfung anhand der proklamierten Ziele „Verfahrensvereinfachung bzw. Beschleunigung“, „Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel“ sowie „Leistbares Wohnen“ nicht das, was versprochen wird. Im Gegenteil, in zahlreichen Stellungnahmen der Begutachtungsphase wurde moniert, dass diese Ziele durch neue, überschießende Regelungen zT konterkariert werden.“
In der aktuellen Phase des Feinschliffs der Novelle wäre vordringlich, die mit der konzipierten Ausweitung von Ermessensspielräumen unweigerlich einhergehende Rechtsunsicherheit wieder zurückzunehmen. Denn andernfalls muss mit einem deutlichen Anstieg der Bekämpfung von Bauprojekten gerechnet werden, was Projekte verzögert, damit verteuert und auch für Behörden sowie Gerichte eine Mehrbelastung bedeutete.
Besonders kritisch zu sehen, so Wolfinger, ist das zu erwartende „Einfrieren“ des Stadtbildes. Innovative, zeitgenössische Architektur würde hier deutlich erschwert und die von der Stadt grds. proklamierte sanfte Nachverdichtung des Bestandes weitgehend verhindert. Eine Reihe von prämiierten Bauprojekten der letzten Jahre (z.B. Andreasgasse 9 oder Hermanngasse 17/ https://www.wien.gv.at/stadtplanung/ausstellung-gebaut-projekte-2021) hätten zukünftig keine Chance mehr auf Realisierung.
Der Schutz von Gründerzeithäusern ist durchaus anzuerkennen. Ob eine reine Erhaltungssanierung in Zeiten der Klimakrise tatsächlich das einzig wahre ist, darf aber bezweifelt werden: Will man das Objekt funktional verbessern, energetisch optimieren und allenfalls auch bauliche Potentiale heben, sind in einer Gesamtbetrachtung auch Trakttiefenerweiterung, Aufstockung, Umbau, evt. Teilabbruch oder gänzlicher Abbruch zu erwägen. Die angekündigten Kriterien für die Prüfung der wirtschaftlichen Abbruchreife sind rechtlich schwammig formuliert („Ertragsoptimierungspotenziale“, „schuldhafte Vernachlässigung"). Dass das öffentliche Interesse am Erhalt eines Gebäudes primär am vorhandenen Stadtbild festgemacht wird, eröffnet viele Unabwägbarkeiten und kaum objektivierbare Entscheidungen der Behörden.
Ein bislang in der Öffentlichkeit noch nicht weiter diskutiertes bürokratisches Monster droht mit der verpflichtenden Einführung eines Bauwerksbuch für Gebäude, die vor 1945 errichtet wurden. Neben Plandokumentationen wären umfangreiche weitere Daten zu sammeln, zB auch Überprüfungsergebnisse und Maßnahmenpläne zur Behebung von Baugebrechen. Auch die zu erwartenden jährlichen Kosten von jeweils 3.000 - 6.000 Euro bei rund 15.000 Gründerzeithäusern machen deutlich, dass hier mit Kanonen auf Spatzen geschossen wird. Völlig überschießend wäre es, die Behebung jedes einzelnen Wasserleitungsgebrechens penibel zu dokumentieren! Die Maßnahme ist unverhältnismäßig für die überwiegende Anzahl an verantwortungsbewussten Eigentümern, die ihre Immobilie ohnehin gut instand halten und im Übrigen den Prüfroutinen der ÖNORM B 1300 ohnehin nachkommen. Die – eventuell nachgeschärften – bereits bestehenden Instrumente der Bauordnung sollten bei der Vernachlässigung von Instandhaltungspflichten ausreichen, so ÖVI Geschäftsführer Anton Holzapfel.
Allgemeine Marktsituation, Ausblick, Einfluss Widmungskategorie.
Ein von Exploreal exklusiv für den ÖVI Stadtentwicklungstag erstellte Analyse der Baugrundstücke mit Widmung „Geförderter Wohnbau“ (eingeführt 2018) ist im Kontext der aktuellen Marktentwicklungen nicht überraschend: Die durchschnittlichen Grundkostenanteile freifinanzierter Projekte haben sich in den letzten 10 Jahren deutlich erhöht: von EUR 600,- im Jahr 2012 auf EUR 2.000,- im Jahr 2022. Diese Entwicklung hat auch der Start der Widmungskategorie geförderter Wohnbau im Jahr 2018 bislang nicht aufhalten können. Nur 3% der seither errichteten Wohn-Einheiten (4.795 Wohnungen) sind auf Liegenschaften mit der Widmungskategorie W/GB geförderter Wohnbau.
Problematisch ist die allgemeine Marktentwicklung zu sehen: Für 2025 sind in Wien nur noch 12000 Fertigstellungen zu erwarten, bei nach wie vor steigender Haushaltsentwicklung. Der hochgiftige Cocktail aus gestiegenen Grundkosten, massiv gestiegenen Baukosten, gestiegenen Finanzierungskosten und beschränktem Zugang zu Finanzierung führt derzeit zu einem Stillstand auf der Projektebene – und verlagert die Nachfrage von Eigentum auf Miete – was wiederum nicht gerade preissenkend am Mietsektor wirken wird. Die enormen Herausforderungen der Dekarbonisierung und Sanierung im Bestand sind weitere, noch nicht abschätzbare Challenges. „Eines gilt für alle Bereiche, ob Bauordnung, Erneuerbaren Wärme Gesetz, ESG oder Wohnrecht: Nur wenn Rechtssicherheit gegeben ist, kann produktiv gearbeitet werden“, so ÖVI Geschäftsführer Anton Holzapfel abschließend.