Die türkis-grüne Regierung hat sich nach Ansicht der Arbeiterkammer (AK) um "wesentliche Punkte" des Regierungsprogramms 2020-2024 im Bereich Wohnbau und Mieten nicht gekümmert. Von 46 Vorhaben seien 40 nicht umgesetzt worden, sagte der Leiter der Abteilung Kommunalpolitik und Wohnen der AK Wien, Thomas Ritt, am Montag bei einer Pressekonferenz. Unter anderem seien eine Novellierung des Mietrechts und eine erneute Zweckbindung der Wohnbaufördermittel nicht erfolgt.
Auch eine im Regierungsprogramm angekündigte verstärkte Bereitstellung öffentlicher Grundstücke für den geförderten Wohnbau und Initiativen zur Baukostensenkung seien nicht umgesetzt worden, kritisierte der AK-Experte. Der aktuellen Regierung stellt die Arbeiterkammer insgesamt kein gutes Zeugnis im Bereich Wohnen aus: Private Mieten, Wohnungskaufpreise und befristete Mietverhältnisse seien in den vergangenen fünf Jahren "stark gestiegen". In Zeiten der Rekordinflation habe die Regierung "keine wirkungsvolle Mietenbremse" implementiert und das Baukonjunkturpaket sei zu spät geschnürt worden, sagte Ritt. Als positive Maßnahmen der Regierung führte er die Delogierungsprävention in der Pandemie und die Abschaffung der Maklerprovision für Mieter an.
AK-Wien-Wohnbauexperte Lukas Tockner verwies bei der Pressekonferenz auf das Auseinanderdriften der Immobilienpreise und Mieten im Vergleich zur allgemeinen Inflationsrate. Die Preise für Häuser und Wohnungen seien seit dem Jahr 2008 österreichweit im Schnitt um 133 Prozent nach oben geklettert, Hauptmietzins-Neuverträge hätten sich um 71 Prozent verteuert und der Verbraucherpreisindex sei nur um 48 Prozent gestiegen. Trotz "Überproduktion" von Wohnraum seit 2019 habe dies die Immobilienpreise und Mieten nicht gedrückt, so Tockner. Über 320.000 neue Wohneinheiten seien gebaut worden, obwohl der Bedarf bei unter 250.000 gelegen habe. Zwei Drittel der Wohnungen seien "frei finanziert", oftmals für Anleger, gebaut worden und nur ein Drittel mit Wohnbauförderung, sagte der AK-Experte. Als wohnpolitisches Problem bezeichnete Tockner auch den Anstieg der befristeten Mietverträge um 82.000 auf rund 400.000. "Befristungen haben fast nur Nachteile."
Nach den Nationalratswahlen Ende September fordert die AK von der kommenden Bundesregierung mehr Maßnahmen im Bereich Mieten und Wohnbau. "Die neue Regierung muss leistbares Wohnen ernsthaft angehen", sagte Ritt. Die AK plädiert unter anderem für die Abschaffung von befristeten Mietverträgen, eine Mietrechtsreform mit einem Mietpreis-Deckel und Strafen für überzogene Mieten. Außerdem müsse es "eine dauerhafte Wohnbauförderungsmilliarde" geben und die öffentliche Hand dürfe eigene Grundstücke nur mehr für geförderten Wohnbau zur Verfügung stellen. (apa)