Wenn man sich mit Gebäudezertifizierung beschäftigt, dann hört man immer immer wieder das Argument, diese Zertifikate seinen doch „nur Marketing“ und deshalb nichts wert. Wenn ich das Engagement der vielen Unternehmen und UnternehmensvertreterInnen bei der ÖGNI betrachte, so kann ich dem „nur“ nichts abgewinnen. Da steht viel – auch ökologisches – Engagement dahinter und aufrichtige Sorge um die drohenden Auswirkungen des Klimawandels. Das Argument stimmt aber, soweit es das „Marketing“ betrifft. Marketing ist bei der Gebäudezertifizierung immer dabei. Das ist aber auch gut so und wichtig. Denn die ökonomische Betrachtung zeigt: Ohne den Marketingaspekt würden die Gebäudezertifikate nicht funktionieren und hätten auch keine positive Wirkung.
Die Immobilienwirtschaft ist geprägt von vielen Unsicherheiten und Informationsproblemen. Eines davon betrifft die Qualität von Gebäuden. Betrachten wir einen Bauherren, der ein Bürogebäude errichtet hat, und einen Investor, der überlegt, dieses Gebäude zu kaufen. Weil er für hohe Qualität bereit ist, mehr zu bezahlen, steht der Investor vor dem Problem, die Qualität des Gebäudes zu messen. Trotz verschiedenster Technologien ist das bei einem fertigen Gebäude sehr schwer. Denn viele Aspekte der Qualität sind eingebaut und nicht mehr eindeutig eruierbar. Andere, wie der ökologische Fußabdruck der verbauten Materialien, erfordern Spezialkenntnisse und umfangreiche Berechnungen. Aber auch der Bauherr hat das Problem, die Qualität des Gebäudes nachzuweisen. Er kann dem Investor zwar ausführlich erklären, wie toll das Gebäude nicht ist, wie sehr bei seiner Errichtung auf die Umwelt geachtet wurde und mit wie wenig Ressourcen es nicht betrieben werden kann. Ob ihm der Investor das aber glaubt, steht auf einem anderen Blatt.
Bauherr und Investor stehen einander in einer Beziehung gegenüber, die in der Ökonomie als „Gefangenendilemma“ bezeichnet wird. Selbst wenn der Bauherr bereit ist, ein Gebäude hoher Qualität zu errichten (und die höheren Kosten dafür zu tragen), und der Investor, für so ein Gebäude ausreichend mehr zu bezahlen, wird dieses Gebäude wegen des Gefangenendilemmas gar nicht gebaut werden. Denn der Investor kennt die Interessenslage des Bauherrn und weiß daher, dass dieser trachten wird, das Gebäude mit möglichst geringem Aufwand möglichst hochwertig aussehen zu lassen. Weil der Investor also weiß, dass der Bauherr ein finanzielles Interesse daran hat, ihm die hohe Qualität des Gebäudes nur vorzugaukeln, wird er seinen Beteuerungen nicht vertrauen und nur bereit sein, den Preis für normale Qualität zu zahlen. Der Bauherr auf der anderen Seite weiß, dass ihm der Investor nicht glauben wird, und wird daher erst gar nicht bereit sein, in die höhere Qualität des Gebäudes zu investieren. „Niemand zahlt mir für ein nachhaltiges Gebäude auch nur einen Cent mehr“, versicherte mir ein bekannter Vertreter der österreichischen Immobilienwirtschaft zu einer Zeit, als wir gerade begannen, über nachhaltige Gebäude und deren Zertifizierung nachzudenken. Damit brachte er das Gefangenendilemma aus Bauherrensicht auf den Punkt.
Die letzten Jahre zeigen aber auch, dass dieses Dilemma durch Zertifizierungen und damit verbundenes Marketing aufgebrochen werden kann. Denn im Zertifikat bestätigt ein außenstehender Dritter wie die ÖGNI, dass dieses Gebäude tatsächlich hohe Qualität hat. Das Zertifikat verringert also das Informationsproblem und ermöglicht es dem Bauherren auch, die hohe Qualität des Gebäudes glaubwürdig zu vermarkten. Für den Investor bedeutet das Zertifikat eine höhere Chance, tatsächlich ein Gebäude hoher Qualität zu erwerben und nicht über den Tisch gezogen zu werden. Damit ist er bereit, für das Gebäude mehr zu bezahlen, wodurch der Bauherr seine Investition in die Qualität auch wieder hereinbringen kann. Das „Marketing“ der Gebäudezertifikate ist also notwendig, um das Gefangenendilemma zwischen Bauherrn und Investor aufzulösen und um überhaupt den Markt für Gebäude hoher Qualität zu öffnen. Ohne „Marketing“ gäbe es also gar keine nachhaltigen Gebäude.