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Analoge Orte in digitalen Zeiten

Bauherrenkongress 2017. Die Digitalisierung hat unser Arbeitsleben räumlich und zeitlich flexibler gemacht. Wozu also noch eine physische Arbeitsumgebung, wenn wir unsere Arbeit immer mehr virtuell erledigen?
Andreas Altstädter

Bauherrenkongress 2017. Die Digitalisierung hat unser Arbeitsleben räumlich und zeitlich flexibler gemacht. Wozu  also noch eine physische Arbeitsumgebung, wenn wir unsere Arbeit immer mehr virtuell erledigen?

Das „Büro der Zukunft” bietet jedoch mehr als einen Arbeitsplatz: Keynote Speaker Jan Teunen, der es sich als Cultural Capital Producer zur Aufgabe gemacht hat, Unternehmen dabei zu helfen, ihre Kultur in den Vordergrund zu stellen, machte klar, dass es ein langes Gedächtnis braucht, um identitätsstiftende Arbeitsräume zu schaffen. Man muss dabei nicht nur die Bedürfnisse der Menschen kennen und befriedigen, sondern sich auch an die Gesetze des Kosmos erinnern. Die fünf Wirkungselemente der Architektur heißen Wirtschaftlichkeit, Schutz, Zusammengehörigkeit, Identitätsstiftung und Kulturpflege. Nach diesen Werten wurden die ersten Häuser gebaut – und es waren schöne Häuser.

Ein weiterer Aspekt, den Teunen in Erinnerung rief: Büros wurden erfunden, um das Kostbare zu schützen. Nur mit der Erinnerung an diese Wahrheit kann es gelingen, den Menschen in einer viel bewegten, unsicheren Zeit wieder das zu geben, was sie brauchen: Rückgrat und motivierende, sinnstiftende Umgebungen, in denen sie sich wohl und beschützt fühlen und in denen sie daher schöpferisch tätig sein können. Denn eines ist für Teunen klar: „Wir Menschen sind nicht dazu da, um Dinge abzuarbeiten. Wir alle sind Kreateure, Erfinder und Innovatoren. Die Digitalisierung wird uns schneller dorthin zurückbringen und daher ist es unser aller Aufgabe, die Schönheit wieder in den Vordergrund zu stellen und dadurch die Verbindung mit dem Kosmos wiederherzustellen.“

Erfolgreiches Unternehmen auf Zeit

Das neue Zuhause der Arbeiterkammer Niederösterreich und des Österreichischen Gewerkschaftsbunds ist nicht bloß eine Hülle, die vor gut einem Jahr von über 300 MitarbeiterInnen bezogen wurde: „Mit der Eröffnung wurden auch ein Paradigmenwechsel und große organisatorische Veränderungen eingeläutet“, berichtet Günter Mayer, stellvertretender Direktor der AK NÖ, in der Podiumsdiskussion zum Gastgeber-Objekt. Karl Friedl, der mit M.O.O.CON das nutzerseitige Projektmanagement verantwortete, ergänzt: „Unser erstes Projekt war ein Strategieprojekt. Die Initiierungs- und Planungsphase dauerte auch deshalb recht lang, weil sich die AK intensiv mit ihrer zukünftigen Arbeitswelt auseinandersetzte.“ Die am Podium vertretenen Diskutanten, Karl Friedl, Günter Mayer, Architekt Ernst Maurer und Vergaberechtsanwalt Thomas Kurz waren sich einig: Der Schlüssel zum Erfolg dieses Projekts waren die intensive und ehrliche Auseinandersetzung der AK mit ihrer Identität und die frühe Miteinbeziehung aller Projektbeteiligten. So konnte das Arbeitnehmerlnnen-Zentrum „in time“ und „in budget“ zur vollen Zufriedenheit des Bauherren fertiggestellt werden. Das Ergebnis ist ein stark tätigkeitsorientiertes, flexibles Büro mit viel Raum für Kommunikation, aber auch für konzentriertes Arbeiten und Rückzug. Die Projektziele, ein moderner Dienstleister und eine offene, kundenorientierte Organisation zu sein, die auf die Bedürfnisse ihrer MitarbeiterInnen und Mitglieder eingeht, wurden laut Günter Mayer zu 100 Prozent erreicht.

[caption id="attachment_11930" align="aligncenter" width="763"] © Walter Oberbramberger[/caption]

Evolution von Arbeitswelten

Nachhaltig denkende Unternehmen sehen sich vor jedem Bauvorhaben der Herausforderung gegenüber, ein ambitioniertes Zielbild zu zeichnen, ohne dabei den Anschluss an die bestehende Struktur und Kultur zu verlieren. „In der Arbeitswelt 4.0 gilt es, das Gap zwischen dem ,Status Quo’ und dem ,Unternehmen der Zukunft’ mit besonderer Sorgfalt zu schließen, um nicht Gefahr zu laufen, seine Identität irgendwo am Weg bis zum Einzug in ein neues Gebäude zu verlieren“, wissen Sabine Zinke und Bernhard Herzog von M.O.O.CON aus ihrem Beratungsalltag.

Franz Kühmayer: „Büros waren gestern. Was kommt danach?“ So lautete der provokante Titel der Keynote von Franz Kühmayer vom Zukunftsinstitut. Zu Beginn seines Vortrags meinte Kühmayer: „Wir überbewerten technologische Entwicklungen und übersehen häufig, dass soziale, gesellschaftliche Entwicklungen einen viel stärkeren Einfluss auf unser Leben und Tun haben. Die Frage, wie das Büro der Zukunft aussieht, hängt stark davon ab, wie Gesellschaft, Arbeit und Unternehmen in Zukunft aussehen.“

Für ihn sind Menschen soziale und kreative Wesen. Genau wie Jan Teunen ist auch Kühmayer der Ansicht, dass uns die Digitalisierung daher näher zur Humanität zurückbringt. Momentan prägen noch sehr oft tayloristische Prinzipien unseren Arbeitsalltag: Arbeitsteiligkeit, Produktivität und „the one best way to do things“ stehen im Fokus. „Wir müssen das Gegenteil fördern und fordern. Mehr Kooperation und Austausch statt Abteilungsdenken, mehr Ergebnisorientierung statt Produktivitätsmessung anhand von abgesessener Zeit und interaktionelle statt transaktionelle Arbeitsweise sind gefragt“, so Kühmayer weiter. Seiner Meinung nach ist jeder, der an einem Schreibtisch sitzt, potenziell durch die Digitalisierung gefährdet.

World Café und Praxisbeispiele am Podium

In einer angenehm kommunikativen World Café Atmosphäre präsentierten 14 Unternehmen ihre neuen Arbeitswelten und weitere zwei wurden in kurzen Impulsvorträgen vorgestellt: Das HOERBIGER-Forum ist ein Ort für Pioniere. Ein wandlungsfähiger Ort, den Besucher mitgestalten und weiterentwickeln können. Hier wurde laut Daniel Strauß, von Triad Berlin, nicht nur eine Marke inszeniert, sondern ein identitätsstiftender Raum geschaffen.

Die Doppelmayr Zentrale ist ein Arbeitsort wie ein Dorf. Ganz der natürlich gewachsenen Doppelmayr-Struktur entsprechend wird eine neue Unternehmenszentrale mit Plätzen, Gassen, Höfen, Durchgängen und Terrassen geschaffen. Herwig Spiegl, von den für die Planung verantwortlichen AllesWirdGut Architekten, ermutigte das Publikum, dem Überraschenden, Ungeplanten in einem Bauprojekt eine Chance zu geben und nicht von Anfang an eine Absage zu erteilen. Nur so konnte seiner Meinung nach die neue, immer noch auf Sicherheit basierende, aber doch sehr innovative Doppelmayr Zentrale ins Leben gerufen werden.