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AquaDom-Unglück in Berlin ist Versicherungsfall

Wie sich aus dem heute vorgestellten Gutachten des Kunststoffexperten Christian Bonten ergibt, war das Unglück nach seiner Überzeugung ein plötzliches und unerwartetes Ereignis.
Michael Neubauer

Das Bersten des AquaDoms am 16. Dezember 2022 in Berlin ist ein Versicherungsfall. Wie sich aus dem heute vorgestellten Gutachten des Kunststoffexperten Christian Bonten ergibt, war das Unglück nach seiner Überzeugung ein plötzliches und unerwartetes Ereignis. Die infolge der Havarie entstandenen Beschädigungen am Gebäude, der schadensbedingte Rückbau und die Wiederherstellung sowie auch die gerechtfertigten Mietminderungen der Mietflächen sind im Rahmen einer Sachversicherungspolice von einem Konsortium versichert.

Die Regulierung der Schäden hat bereits begonnen und verläuft reibungslos. „Wir sind dankbar für die zügige Regulierung und dass aus diesen Sachschäden weder bei uns noch bei unseren Anlegern ein monetärer Schaden zu erwarten ist“, sagte Fabian Hellbusch, Sprecher von Union Investment.

Als Schadensursache kommen nach der Einschätzung des Kunststoffexperten Bonten drei Möglichkeiten ernsthaft in Betracht. Die Ursachen können sowohl in der Herstellungsphase beim Kleben der einzelnen Acrylglaselemente als auch in der Sanierungsphase im Jahr 2019, etwa in einem Trocknungsprozess der Acrylelemente oder einer möglichen Kerbwirkung auf den Zylinder in dessen Sockelbereich, liegen. „Aus den vorhandenen Dokumentationen und den vielen aufwändigen forensischen Untersuchungen lassen sich jedoch keine eindeutigen Belege für eine der möglichen Schadensursachen ableiten“, sagte Bonten bei der Vorstellung der Ergebnisse in Berlin.

„Wir haben während und nach der Zusammensetzung der vielen Scherben in alle Richtungen ermittelt, mehrere Schadenshypothesen aufgestellt und sind diesen mit teils aufwendigen Analyse- und Prüfmethoden nachgegangen. Die Mehrzahl der Schadenshypothesen wurden aufgrund geringer Wahrscheinlichkeit nicht weiterverfolgt“, so der in Krefeld geborene Kunststoffexperte Christian Bonten.

„Was wir aus Befragungen und den Untersuchungen schließen: Die Havarie hat sich nach unserer Überzeugung nicht angekündigt – das Ereignis trat plötzlich und unerwartet ein. Das vom Zylinderaquarium ausgehende Risiko für das Gebäude oder die sich darin aufhaltenden Menschen war weder von außen noch von innen erkennbar – trotz fast täglicher Reinigung durch Taucher und regelmäßiger Sichtprüfungen durch die spezialisierte Betreibergesellschaft. Das Schadensereignis hat sich nicht durch augenscheinliche Merkmale angekündigt. Als unwahrscheinlich bewerten wir sowohl eine Beschädigung des Außenzylinders durch Sabotage oder falsche Reinigungsmittel als auch durch seismische Schwingungen oder durch kalte Winterluft im Atrium. Auch das gegossene Acrylglas selber zeigte keine Schwächen.“

„Für die drei weiterverfolgten Hypothesen gibt es weit höhere Wahrscheinlichkeiten“, so Prof. Christian Bonten. „Wir konnten aber nicht feststellen, wo der schadensursächliche erste Bruch oder Riss im Zylinder stattfand. Es ist möglich, dass die Austrocknung des Acrylglases während der Sanierung mit einer der beiden anderen möglichen Schadensursachen zusammengewirkt hat. Ob aber ein Klebenahtversagen oder eine spannungsübererhöhende Kerbwirkung im Sockelbereich ursächlich für den Schaden waren, kann nicht mehr nachvollzogen werden.“

„Einen entscheidenden Hinweis auf die Schadensursache müssen wir nicht zuletzt aufgrund der vielen Sekundärschäden durch den tiefen Fall und Aufprall der Acrylglas-Segmente aus mindestens acht Metern Höhe schuldig bleiben“, sagte  Christian Bonten.

Bonten leitet seit 2010 das Institut für Kunststofftechnik (IKT) der Universität Stuttgart, ist Mitglied des Wissenschaftlichen Arbeitskreises der Kunststofftechnik und gehört zu den weltweit erfahrensten Kunststoffexperten. Bei den Analysen wurde er durch den Material- und Bauteilprüfer Robert Kirchner von Friedmann & Kirchner aus Rohrbach sowie durch Frank Kettler und Stephan Heinrich von Gebäudeservice Kettler aus Bächingen unterstützt. In die Untersuchungen vor Ort im DomAquarée, in der Lagerhalle in der Nähe von Bad Belzig (Brandenburg) sowie im akkreditierten Prüflabor des Instituts für Kunststofftechnik in Stuttgart flossen insgesamt 1.100 Ingenieurstunden. Zur Überprüfung der aufgestellten Schadenshypothesen wurden auffällige Bruchstücke der Acrylglaskonstruktion im IKT-Prüflabor z.B. mikroskopisch untersucht sowie Zugversuchen unterzogen. Das Fraunhofer IAP in Potsdam wurde mit der chemischen Analyse der Molekülkettenlängen der verschiedenen Acrylglas-Segmente und Klebnähte beauftragt.

Die mit Sattelschleppern in eine Lagerhalle nach Brandenburg verbrachten Bruchstücke mit einem Gesamtgewicht von rund knapp 90 Tonnen wurden exakt gemessen, auf die Orte der Klebenähte hin untersucht und entsprechend markiert. Zudem wurden die rund 700 Trümmerteile des Zylinders – ähnlich bei einer Flugzeugabsturz-Rekonstruktion – u.a. mit Hilfe von Gabelstaplern auf dem Hallenboden zu einem Gesamtbild zusammenzulegt. Die Acrylbruchstücke bleiben bis auf Weiteres in der Halle gelagert. „Das Material ist grundsätzlich wiederverwertbar. Sobald es zum Beispiel aus juristischen Gründen nicht mehr vorgehalten werden muss, werden wir es mit dem gebotenen Respekt vor dem gewaltigen Schaden einem neuen Zweck zuführen“, sagte Fabian Hellbusch von Union Investment.

Wiederaufbau im Hotelatrium nach abgeschlossenen Abrissarbeiten läuft an

Von den 17 betroffenen Einzelhandels- und Gastroflächen können zur Zeit acht wieder betrieben werden. Auch das DDR-Museum und das SEA LIFE sind seit April bzw. Mai wieder für ihre Besucher geöffnet. Für das im Lobbybereich schwer betroffene Fünf-Sterne-Hotel wird eine Wiedereröffnung ebenfalls mit größter Anstrengung vorangetrieben. Die Abrissarbeiten in der Lobby sind soweit abgeschlossen, die Maßnahmen zum Wiederaufbau sind im August angelaufen. In enger Abstimmung mit dem Hotelbetreiber erarbeitet Union Investment derzeit ein Konzept für die Neugestaltung des Mittelpunktes der Hotellobby. „Wir bereiten jetzt die Einreichung des Bauantrags mit den detaillierten Planungen vor und hoffen, die Genehmigungen der Baubehörde kurzfristig zu erhalten, um die Neugestaltung zügig starten zu können“, so Fabian Hellbusch.