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Automatisierte Immobilienbewertung – eine Gefahr für Sachverständige?

Digitalisierungsprozesse und -veränderungen machen auch vor der Immobilienbewertung nicht halt. Sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene gilt es, die Entwicklungen auf dem Gebiet der Immobilienbewertung im Auge zu behalten. Technischer Fortschritt versus Qualitätssicherung – das ist die Frage der kommenden Jahre.
Georg Flödl MA, MRICS

Digitalisierungsprozesse und -veränderungen machen auch vor der Immobilienbewertung nicht halt. Sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene gilt es, die Entwicklungen auf dem Gebiet der Immobilienbewertung im Auge zu behalten. Technischer Fortschritt versus Qualitätssicherung – das ist die Frage der kommenden Jahre.

Das Phänomen der Automatisierung

Nationale und europäische Sachverständigenverbände beschäftigen sich mit den möglichen Folgen zunehmender Automatisierung von Immobilienbewertungs-Dienstleistungen. Das europäische Sachverständigen-Netzwerk TEGoVA hat bei der jüngsten Tagung in Dublin einen Schwerpunkt auf Chancen und Risiken dieser technischen Entwicklungen gelegt.

Europäische Normen

Die European Valuation Standards (EVS) der TEGoVA definieren klare Verantwortlichkeiten hinsichtlich Qualifikation und Kompetenzen von Immobilienbewertern, auch die europäische Gesetzgebung referenziert eindeutig darauf: In der Wohnkreditrichtlinie wird ausdrücklich auf die EVS Bezug genommen. Darüber hinaus werden die  Mitgliedstaaten aufgefordert sicherzustellen, dass interne und externe Gutachter, die Immobilienbewertungen vornehmen, über fachliche Kompetenz und ausreichende Unabhängigkeit von dem Kreditvergabeprozess verfügen, um eine unparteiische und objektive Bewertung vorzunehmen, die auf einem dauerhaften Datenträger zu dokumentieren ist und von der der Kreditgeber eine Aufzeichnung aufzubewahren hat. Diese Anforderungen richten sich an Personen und nicht an anonyme Tools. In der KapitaladäquanzVO wird explizit darauf Bezug genommen, dass für die konkrete Bewertung von Immobilien geeignete Immobilienbewerter gefragt sind, die die notwendigen Qualifikationen, Fähigkeiten und Erfahrung aufweisen. Statistische Methoden inkl. automatisierter Tools alleine sind nur für das laufende Monitoring von Immobilienwerten zulässig. Die Bewusstseinsbildung im Bereich der europäischen Bankenaufsicht scheint hier erfreulich fortgeschritten zu sein.

Wer schützt uns vor den Konsumentenschützern?

Bei der Umsetzung der Wohnkreditrichtlinie hat das niederländische Parlament vor kurzem – trotz massiver Proteste der holländischen Sachverständigenvereinigungen und TEGoVA Mitglieder NVM, VOB Makelaar und VastgoedPRO  – eine rein automatisationsunterstützte Desktop-Bewertung als zulässig erachtet. Ziel der von Konsumentenschützern im Gesetzgebungsprozess eingebrachten Initiative: Kostensenkung. Voraussetzung dafür ist, dass das Verhältnis loan-to-value 90 Prozent nicht überschreitet. Am 13. Juli 2016 wurde das Dekret veröffentlicht. Mit Hilfe der TEGoVA wird nun auf europäischer Ebene versucht, gegen diese Bestimmung vorzugehen.

Die Haftung des Algorithmus

Gerade wenn es um die Verantwortlichkeit geht, sei es im Kreditvergabeverfahren oder in einem Zivilprozess, wird die Erläuterung und Plausibilität von Gutachten vom Sachverstand einer kompetenten Person eingefordert. Jeder noch so elaborierte automatisierte Algorithmus kann immer nur eine Hilfestellung für den Gutachter sein, niemals aber das gutachterliche Know-how zur Gänze ersetzen. Dass nicht nur Portfoliobewertungen, sondern auch automatisierte Desktop-Einzelbewertungen ein wünschenswertes Ergebnis von Rationalisierungen sind, ist angesichts der drastisch sinkenden Margen der Banken aus Kostengründen verständlich. Im Dienste der Kunden sollte es aber nicht zur Regel werden.