Wie Barrierefreiheit in historischen Gebäuden umgesetzt werden kann, dieser Frage ging der 3. Europäische Kongress über die Nutzung, Bewirtschaftung und Erhaltung historisch bedeutender Gebäude „Barrierefreiheit in historischen Gebäuden – Möglichkeiten und Grenzen“ am 9. und 10. Oktober in der Wiener Hofburg nach. In Referaten und drei speziell ausgerichteten Channels wurde das Thema von unterschiedlichsten Seiten beleuchtet. Höhepunkt des ersten Tages bildete eine Podiumsdiskussion mit Burghauptmann Reinhold Sahl, Doris Ossberger, Hans-Jürgen Gross und Bernd Vollmar, die von Gerald Wagenhofer, UBW Unternehmensberatung Wagenhofer, geleitet wurde.
[caption id="attachment_3366" align="aligncenter" width="300"] (c) cityfoto[/caption]Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner unterstützt die Initiative. „Barrierefreiheit geht uns alle an und muss daher auch in historischen Gebäuden weiter forciert werden, wenn dafür Potenziale vorhanden sind“, sagt Mitterlehner. „Wir haben in der Vergangenheit bereits viel getan. Doch wir sind noch lange nicht am Ziel“, betont der Initiator des „Europäischen Kongresses über die Nutzung, Bewirtschaftung und Erhaltung historisch bedeutender Gebäude“, Burghauptmann Hofrat Mag. Reinhold Sahl. „Eines ist uns klar: Veränderungen im historischen Bestand sind möglich, sie erfordern einfach nur ein ,Mehr’ an kreativer Umsetzung.“ Dennoch könne man auf das bisher Erreichte stolz sein.
Besondere Anforderungen stellen in ihrer Bewegungsfähigkeit eingeschränkte Menschen, Menschen mit Gehbehinderungen, Lähmungen oder fehlenden Gliedmaßen, die oft auf Hilfsmittel angewiesen sind wie Rollstühle, Rollatoren, Gehhilfen oder auch nur Haltegriffe oder Geländer. Aber auch große oder kleine Menschen, darunter auch Kinder, Menschen mit Gepäck oder Kinderwagen, stellen besondere Ansprüche, um sich frei bewegen zu können. Sie benötigen vor allem ausreichend Platz, Durchgänge müssen ausreichend breit und hoch sein, Aufstellflächen ausreichend lang. Bewegungsflächen müssen eben sein, Höhenunterschiede oder Stufen sind für viele kaum überwindbare Hindernisse. Taster, Griffe o.ä. müssen in der richtigen Höhe sein, um sie z.B. vom Rollstuhl aus gut erreichen zu können. Rampen, Leitsysteme für blinde Menschen, induktive Höranlagen, Gebärdensprachdolmetscher und Texte im „Leichter Lesen“-Stil sollten nicht mehr als Besonderheiten gesehen werden. Sie sind lediglich Hilfsmittel, damit Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen in unserer Gesellschaft leben können.
[caption id="attachment_3367" align="alignleft" width="200"] (c) cityfoto[/caption]Wie Burghauptmann Sahl sieht Maria Rosina Grundner, Mobilitätsagentur Wien, in historischen Gebäuden großes Potenzial. „Historische Bauten müssen bewohnt, gebraucht und verwendet werden. Der Anspruch unserer Gesellschaft muss es allerdings sein, ein historisches Gebäude barrierefrei nutzen zu können. Dabei kann es eine Herausforderung darstellen, die Struktur und die Gestalt eines Bauwerkes zu bewahren, während gleichzeitig Barrierefreiheit implementiert wird.“ Wirklich barrierefrei nutzbar sind Einrichtungen aber nur dann, wenn sie von den meisten Menschen grundsätzlich ohne fremde Hilfe in der allgemein üblichen Weise genutzt werden können. Dies komme auch der Allgemeinheit zugute: „Gut nutzbare Umgebungen können demnach von älteren Personen, Familien und Menschen mit Behinderungen gleichermaßen erlebt werden. Ziel ist es nicht, etwas für Menschen mit Behinderungen zu schaffen, sondern die Angebote so zu gestalten, damit sie mit und ohne Behinderungen bzw. uneingeschränkt genutzt werden können“, so Grundner. Dieser Ansatz lasse Diskriminierung gar nicht erst entstehen. „Zudem ist er auch ökonomisch. Ein inklusiver Ansatz schafft Einsparungen von Kosten, da eine nachträgliche Adaptierung des Angebots oder Sonderangebote für Menschen mit Behinderungen grundsätzlich mehr Kosten verursachen. Wird Barrierefreiheit bereits in der Planungsphase berücksichtigt, können Kosten minimiert werden.“
Finn Petrén, Präsident der EIDD European Institute for Design and Disability und einer der führenden Köpfe der Design for All-Bewegung, und Stefan Egger vom International Institute for Information Design (IIID) widmeten sich in ihren Ausführungen der barrierefreien Nutzbarkeit von Produkten und Informationen. „Das Ziel ist, unsere Lebensqualität zu verbessern – und das ist keine Frage des sozialen Gewissens“, so Egger. „Das Begreifen komplexer Umgebungen ist für jeden von uns eine Herausforderung. Diese Aufgabe bedarf all unserer Sinne, unseres Wissens und unserer Fähigkeiten. Abhängig von unseren Fähigkeiten empfinden wir unsere Umgebung als unterstützend zur Erfüllung unserer Bedürfnisse, oder – im Gegenteil – als behindernd“. Um nun etwaige Unzulänglichkeiten z.B. von historischer oder umfunktionierter Architektur wettzumachen, würden zumeist stationäre Informationen eingesetzt. Dies sei positiv herauszuheben. „Trotz dieser anzuerkennenden Maßnahme müssen diese Informationen die höchstmögliche Qualität aufweisen, um uns sinnvoll zu unterstützen.“
„Gutes Design ermöglicht, schlechtes Design behindert“, bringt es Petrén auf den Punkt.Auf die speziellen Belange blinder und sehbehinderter Menschen ging Doris Ossberger, Referentin für barrierefreies Bauen beim Blinden- und Sehbehindertenverband Österreich, BSVÖ, ein. „Beim barrierefreien Gestalten sollten grundsätzlich die verschiedenen Anforderungen aller potenziellen Nutzer vom ersten Entwurf an mit einbezogen werden. Die Barrierefreiheit wird dadurch zum natürlichen Bestandteil.“ Bei Bestandsbauten kann Barrierefreiheit oft nur durch nachträgliche Adaptierungen hergestellt werden. „Dennoch ist es hilfreich, sich das Ziel zu setzen, die Maßnahmen so zu gestalten, als wären sie von Anfang an mit berücksichtigt worden, indem man z.B. die Ästhetik der jeweiligen Epoche, aus der das Gebäude stammt, sowie bestehende Elemente, die der Barrierefreiheit zuträglich sind, aufgreift und ausbaut. So hätte man sich bei den von Otto Wagner erbauten U-Bahn-Stationen die Frage stellen müssen: Wie hätte das Otto Wagner gelöst?“
Blinde Menschen orientieren sich fast ausschließlich mithilfe anderer Sinne als dem Sehsinn, vor allem dem Gehör- und Tastsinn. Ossberger: „Es gilt also dem 2-Sinne-Prinzip folgend
[caption id="attachment_3368" align="alignright" width="200"] (c) cityfoto[/caption]Raumelemente und Informationen sowohl klar und deutlich sichtbar zu gestalten, als auch mit anderen Sinnen, das heißt hör- und/oder tastbar, wahrnehmbar zu machen.“ Dies könne durch gut durchdachte Farb- und Materialauswahl, Beleuchtungsverhältnisse und Raumakustik (visuell kontrastierende Gestaltung von Raumelementen, Vermeiden von Spiegelungen und Blendungen, Vermeiden von Lärm und Hall etc.), das Vermeiden bzw. visuell kontrastierende Markieren/Kennzeichnen sowie taktiles Kennzeichnen bzw. bauliches Absichern von Hindernissen (Stufen, Glasflächen, Objekte in Brust- oder Kopfhöhe etc.), klar strukturierte und intuitiv erfassbare Orientierungssysteme mit deutlich sicht- und tastbaren Elementen und intuitiv auffindbare und nach dem 2-Sinne Prinzip gestaltete Bedienelemente und Informationsmedien (visuelle Kontraste, klare und deutliche Schriften, Symbolen oder Grafiken, tastbare Beschriftung mit Symbolen oder Normal- und Brailleschrift, akustische Wiedergabe von visuellen Signalen und Informationen etc.) erreicht werden. Dass immer wieder versucht wird, die Normen aufzuweichen, ist Hans-Jürgen Groß, vom Verband für Menschen mit Behinderungen (ÖZIV) ein Dorn im Auge: „Die Normen sind bereits ein Kompromiss. Ein weiterer Kompromiss ist nicht möglich.“
Breiter Raum war den Präsentationen nationaler und internationaler Best-Practice-Beispiele gewidmet. So unter anderem von Barbara Sima-Ruml (Land Steiermark), Graham Bell (Direktor des North of England Civic Trust), Klaus Schmitz-Gielsdorf (Bürgermeister der Stadt Gotha) oder Bernd Vollmar (Landeskonservator, München), der mit seinen Beispielen demonstriert, dass „Barrierefreiheit und Denkmalschutz“ gleichberechtigte öffentliche Belange sind, die beileibe keinen unbedingten Widerspruch oder gar ein Ausschlussverfahren darstellen müssen, sondern in Einklang gebracht werden können. „Denkmalschutz ist der größte Feind der Barrierefreiheit“, diese oft in den Medien kolportierte Behauptung stimme einfach nicht. Hans-Jürgen Groß vom Kompetenzzentrum für Barrierefreiheit zeigte Lösungsansätze für mehr Barrierefreiheit in der Wiener Hofburg.
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