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„Bauen außerhalb der Norm“ für niedrigere Baukosten

Forschungsprojekt untersucht Umsetzbarkeit von Bauvorhaben außerhalb bestehender Normen und Vorschriften - Baugewerbe fordert Gebäudetyp E wie in Deutschland
Patrick Baldia
„Bauen außerhalb der Norm“ für niedrigere Baukosten
Ein Forschungsprojekt hat untersucht, wie man durch sinnvolles Abweichen von Normen eine ausreichende Qualität, aber mit geringeren Kosten erreichen kann.
© AdobeStock

Eine seit Jahren bekannte Ursache für hohe Baukosten ist die verpflichtende Einhaltung von Baustandards, wie z.B. Bauordnungen oder technische Normen. Jeder Standard für sich mag seine Begründung haben, aber zu viele Bauvorschriften erhöhen nicht nur die Baukosten, sondern verhindern auch Innovationen: so müssen Planer und Baufirmen in der Praxis an - teilweise auch veralteten - Lösungen festhalten, bloß um der Norm zu entsprechen und sich damit gegen eventuelle spätere Haftungsansprüche abzusichern. Gleichwertige, innovative und womöglich kostengünstigere Ausführungsalternativen können dadurch gar nicht erst in Betracht gezogen werden. 

Um dem entgegenzuwirken, wurde in einem Forschungsprojekt im Auftrag des österreichischen Baugewerbes untersucht, inwieweit von kostenintensiven und innovationshemmenden Vorschriften abgewichen werden kann und dabei gleichzeitig eine vergleichbare Qualität in der Umsetzung von Bauprojekten erreicht werden kann. Weiters wurde analysiert, welche gesetzliche Maßnahmen hierzu notwendig wären. Ziel dieses Projektes war es, einen Rahmen zu schaffen, damit Bauunternehmen und Planende nach innovativen Lösungen suchen und diese auch ohne überproportionales Risiko umsetzen können. Vorbild für diesen Rahmen ist der sogenannte Gebäudetyp E, der in Deutschland bereits gelebte Praxis ist und entsprechende Freiräume für Bauherrn und Bauschaffende öffnet. Die Ergebnisse des Forschungsprojektes wurden heute im Rahmen einer Pressekonferenz präsentiert.

Technische Möglichkeiten ausschöpfen

„Wir müssen anfangen, den Weg für Innovationen aufzubereiten und das Wissen aus der Baupraxis im Sinne unserer Auftraggeber nutzbar zu machen“, so Anton Rieder, Bundesinnungsmeister-Stellvertreter und Initiator des Forschungsprojektes. „Die aktuelle Rechtslage erweist sich allerdings als Bremser und verhindert kostengünstigere Lösungen. Wir wollen den Bauherren motivieren, neue Wege zu gehen und ihm den rechtlichen Rahmen geben, die technischen Möglichkeiten der ausführenden Bauwirtschaft auszuschöpfen.“

Georg Fröch, Assistenz-Professor an der Universität Innsbruck, hat im Zuge des Projektes mehrere Beispiele ausgearbeitet, die aufzeigen, wie man durch sinnvolles Abweichen von Normen eine ausreichende Qualität, aber mit geringeren Kosten als mit den Standard-Anforderungen, erreichen kann (s. pdf-Anhang). Fröchs Resümee: „Bei der Ausarbeitung der Beispiele hat sich gezeigt, dass bei relevanten Abweichungen von normativen Anforderungen Kosteneinsparungen relativ  leicht möglich sind, ohne dabei das übliche Sicherheitsniveau für die Nutzer zu beeinträchtigen. Es geht um die Nutzung von Sicherheitspuffern, die Fokussierung auf den Zweck eines Bauteiles bzw. um die Rücknahme von Komfortstandards auf Wunsch des Bauherrn. Dabei können Kosten eingespart werden, ohne gleichzeitig die geltenden Sicherheits­standards zu verlassen.“

Rechtliche Zulässigkeit von Normenabweichungen

Damit diese technischen Möglichkeiten auch rechtlich umsetzbar werden, hat die renommierte Rechtsanwaltskanzlei Heid & Partner rechtliche Lösungsvorschläge ausgearbeitet (s. 2. pdf-Anhang). Daniel Deutschmann, Leiter dieses Projektes bei Heid & Partner, fasst zusammen: „Es könnte - wie in Deutschland beim Gebäudetyp E - eine Bestimmung im Baurecht verankert werden, welche dem Bauwerber einen Rechtsanspruch auf die Erteilung der Bewilligung trotz Abweichung von technischen Normen gibt. Dabei müsste nachgewiesen werden, dass die wichtigsten Sicherheitsstandards - Standsicherheit, Brandschutz, Schallschutz usw. - eingehalten werden. Darüber hinaus könnten im Zivilrecht - also im ABGB und in anderen Gesetzen, die für Verträge über Gebäude oder Gebäudeteile gelten wie u.a. Bauwerkverträge, Kaufverträge, Mietverträge - Bestimmungen zur Zulässigkeit der Normenabweichung angedacht werden; dies immer mit der Auflage, dass die zwingenden baurechtlichen Bestimmungen und behördlichen Anordnungen eingehalten werden.“

Auch von Seiten der Ziviltechniker:innen setzt man auf ein großes Umdenken, wenn es darum geht, Normen zu definieren und diese in der Praxis umzusetzen: „Normen tragen  einen Teil zum Stand der Technik bei. Das ist an sich gut aber eben auch ein Problem, da der Stand der Technik sich schneller wandelt als die Normen. Zu viele Normen können Widersprüche und Rechtsunsicherheit schaffen“, so Arch. DI Guido Strohecker von der Kammer der Ziviltechniker:innen. „Es braucht auch dringend schnellere Verfahren sowie Eigenverantwortung in der Verwaltung und der Planungsbeteiligten, denn Gesetze und Normen lassen durchaus Spielraum zu. Dieser kann genutzt werden, um Verwaltungsprozesse flexibler und effizienter zu gestalten, ohne den gesetzlichen Rahmen zu verlassen. Der Gebäudetyp E3, den die Ziviltechnikerkammer im engen Austausch mit den deutschen Kolleg:innen seit rund 1 Jahr erarbeitet, erlaubt, dass man teilweise außerhalb bestehender Normen agieren kann und dennoch dieselben Qualitäten und Sicherheitsstandards erreicht. Wir arbeiten intensiv über alle Grenzen und mit allen Beteiligten daran, dass dieses Modell in Österreich auf eine breite Basis zur Umsetzung zum Wohle sowohl im Consumer-  wie auch im Businessbereich trifft.“

Anton Rieder abschließend: „Wir wollen als Unternehmer wieder mutig sein, Eigenverantwortung fördern und gemeinsam mit den Bauherrn neue Wege in der Bauausführung gehen. Dazu brauchen wir aber die entsprechenden rechtlichen Rahmenbedingungen. In Summe sollen unsere Bemühungen dazu führen, die Baukosten nachhaltig zu senken, damit leistbares Wohnen und Arbeiten wieder zu ermöglichen und darüber hinaus den CO2-Fußabruck zu verkleinern. Wir fordern - in Anlehnung an den neuen Gebäudetyp E in Deutschland - einen Gebäudetyp E3, der für mögliche Normenabweichungen in Österreich stehen soll.“

Insgesamt ist dieses Projekt der Startschuss von weiteren Projekten des Baugewerbes, die zeigen sollen, dass Bauen mit Hausverstand ohne unnötige Normenzwänge einen wichtigen Beitrag zur Reduktion von Baukosten liefern kann. Diese Projekte sind in Ausarbeitung und deren Ergebnisse werden in den nächsten Monaten präsentiert.