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Bauen wir am Bedarf vorbei?

In Österreich zeichnet sich in den nächsten Jahren ein dramatischer demographischer Wandel ab. Insgesamt ist davon auszugehen, dass die Bevölkerung weiter wächst.
Amelie Miller
Jasmin Soravia
Jasmin Soravia
© REMG

Für das Jahr 2060 wird laut Statistik Austria mit 9,4 Millionen Menschen gerechnet. Besonders relevant ist jedoch die Verschiebung der Altersstruktur. Während aktuell noch etwa 20 Prozent der Menschen über 65 Jahre alt sind, werden es 2030 bereits 24 Prozent und 2060 knapp 30 Prozent sein. Parallel dazu zeigt sich, dass sich die Bedürfnisse in Bezug auf Immobilien bei jüngeren Menschen verändern: diese wollen immer früher Eigentum erwerben.

Es braucht also neue innovative Konzepte, um mit solchen Veränderungen sinnvoll umzugehen – um einerseits den geänderten Bedürfnissen jüngerer und älterer Menschen entgegen zu kommen, und um andererseits teure Leerstände zu vermeiden.

Die Coronakrise wie auch die zunehmende Inflation haben dazu geführt, dass immer mehr Investoren ihr Geld in Immobilien anlegen. Dabei zeigt sich, dass sowohl die demographischen Veränderungen wie auch die geänderten Bedürfnisse jüngerer Menschen neue Märkte entstehen lassen, die durch diese Investitionen bedient werden wollen und können.

Mehr altersgerechtes Wohnen

Der Trend hin zu mehr altersgerechtem Wohnen lässt sich aufgrund der guten statistischen Vorhersehbarkeit mit hoher Sicherheit abschätzen. Der Vorteil des betreuten Wohnens ist, dass diese Projekte auch in weniger teuren Lagen errichtet werden können und damit eine gute Rendite erreicht werden kann. Zudem gibt es immer mehr Förderungen in Gemeinden im Umland größerer Städte. Damit können die Mehrkosten für die altersgerechte technische Ausstattung dieser Objekte in Höhe von etwa fünf bis zehn Prozent vollständig abgefedert werden. Ein weiterer Vorteil ist, dass bei Bedarf eine Umnutzung für jüngere Bewohner leicht realisierbar ist.

Der Traum vom Wohneigentum

Aktuell ist Österreich immer noch geprägt vom Traum vom Einfamilienhaus. Dafür werden im Mittel ca. 400.000 Euro ausgegeben – und nachdem die Kinder ausgezogen sind, steht das durchschnittlich 160 Quadratmeter große Haus teilweise leer. Werden die verbliebenen Bewohner dann älter, mühen sie sich immer mehr ab, im nicht altersgerecht geplanten Bau mobil zu sein. Nicht selten kommt es dabei zu Stürzen und schweren Verletzungen. Die Sinnhaftigkeit des Konzeptes „Einfamilienhaus“ ist damit vor allem angesichts der aktuellen demographischen Entwicklungen zu hinterfragen. Dazu kommen immer mehr junge Menschen, für die dieser Traum heute nicht mehr zu realisieren ist – selbst bei einem jungen Akademikerpaar geht sich oft auch die Eigentumswohnung in der Stadt finanziell nicht mehr aus. Zum Thema der Leistbarkeit kommt noch das vor allem in Österreich besonders gravierende Problem der Bodenversiegelung: In den letzten zehn Jahren wurden im Schnitt 24 Fußballfelder verbaut. Das ist ein trauriger europaweiter Spitzenwert.

Wohn- und Finanzierungskonzepte mit dem Bauherrenmodell

Es lohnt sich daher, vorauszudenken und einen Schritt weiterzugehen. Das altersgerechte Wohnen sollte immer mehr in flexible Konzepte integriert werden. Dies zeigt der zunehmende Trend hin zum sogenannten Bauherrenmodell: Diese Projekte können in jeder Größenordnung realisiert werden und ermöglichen es so auch kleineren Investoren, ihr Geld langfristig sicher anzulegen. Das Modell beruht darauf, dass sich mehrere Bauherren die Eigentümerschaft einer Immobilie teilen. Das kann ein Grundstück, ein zu sanierendes und adaptierendes Bestandsobjekt aber auch ein ganzer Stadt- oder Ortsteil sein. Typischerweise wird die Verwaltung dieser Projekte dann von einer eigenen Betreiberorganisation durchgeführt.

Visionäres flexible Wohn- und Lebensformen

Durch immer mehr steuerliche Begünstigungen und öffentliche Förderungen ist das Bauherrenmodell zunehmend attraktiv. Besonders zukunftsträchtig erscheint die Errichtung von gemischten Wohnprojekten: eine Kombination aus Wohnungen, Shops, betreutem Wohnen, Studentenheimen, Kindergärten oder Horten. Mit der Schaffung von gemeinsam nutzbaren Räumen und Freiflächen können Synergien geschaffen werden, ältere und jüngere Menschen können sich idealerweise gegenseitig unterstützen. Dies beginnt bei kleineren Wohnanlagen und kann sich bis zu ganzen Stadtteilen erstrecken.

Um es den Jüngeren zu ermöglichen, wieder Eigentum zu erwerben, kann solches Eigentum in diese flexiblen Konzepte integriert werden. Für die Zeit bis zur Elternschaft genügt oft eine Fläche von etwa 80 Quadratmetern. Sind die Kinder aus dem Haus, reduziert sich der Bedarf ebenfalls wieder auf denselben Wert. Was spricht also dagegen, nur das Eigentum an den 80 Quadratmetern zu erwerben – und in den insgesamt wenigen Jahren mit den Kindern weitere Flächen nach Bedarf zuzumieten? Mit modularen Wohnkonzepten lassen sich diese Modelle architektonisch umsetzen – und die Finanzierung kann so gestaltet werden, dass sie der Einkommenskurve der Menschen entspricht. Mit diesen Konzepten sind nicht nur die Erträge der Bauherren gesichert: Mehr ältere Menschen können von der verbesserten Lebensqualität profitieren und werden wieder Teil des Gemeinschaftslebens. Jüngere können wieder den Traum vom Wohnungseigentum realisieren, und für die Gesellschaft bedeutet es eine sinnvollere Nutzung von Bestand, die Revitalisierung von Stadteilen oder Ortskernen. Diese leiden zunehmend unter dem „Donut“-Effekt, bei dem die alte Dorfmitte ausstirbt und rundherum wertlose Gewerbe- und Wohnsteppe entsteht. Hier können innovative Konzepte eine nachhaltige Belebung bringen, zum Beispiel mit den immer beliebteren Co-Working-Spaces am Land. Auch alte Gewerbeobjekte können mit gemischten Konzepten wiederbelebt werden. Letztlich profitieren alle Interessensgruppen von weniger Leerstand und dem Erhalt von wertvoller Natur.

Jasmin Soravia ist seit 2019 Vorsitzende des Urban Land Institut Austria. Sie ist Geschäftsführerin bei der Kollitsch & Soravia Immobilien, Beirat im Advisory Board GRÜNSTATTGRAU und Vorstand beim Travel Industry Club Austria.