Am Anfang der COVID-19 Pandemie zeigte sich – auch auf den Bildschirmen – etwas Neues: Auf einmal standen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hoch im Kurs. Christian Drosten in Deutschland und Anthony Fauci in den USA wurden über Nacht zu bekannten Persönlichkeiten. In Österreich gaben sich Virologen und Systemdynamiker die Klinke zum Studio der ZIB 2 in die Hand. Politexperte Peter Filzmaier hatte plötzlich Konkurrenz.
Aber nicht nur in den Medien, auch in der Politik wurde die Wissenschaft in Beiräten und Expertengremien zurate gezogen. Vom Bundeskanzler abwärts war auf einmal die Referenz auf den Rat der Experten en vogue. Für die meisten Wissenschaftler war das ziemlich neu und durchaus auch schmeichelhaft. Die Ernüchterung folgte wenige Wochen später. Die „Bild“-Zeitung startete eine Kampagne gegen Drosten und Fauci verschwand wieder in seinem Labor. In Österreich relativierte ein Sitzungsprotokoll das Bild. Es zeigte, dass die Experten zu ganz anderem geraten hatten, als die Politik letztlich umsetzte.
Den Politikern brachte das zwar einiges an Medienschelte ein, aber im Kern haben sie richtig gehandelt. Denn Wissenschaft und Politik haben völlig unterschiedliche Aufgaben. Politik muss entscheiden, Wissenschaft hingegen zweifeln. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zerlegen Probleme in ihre Bestandteile, treffen Annahmen, um die Probleme zu vereinfachen und so handhabbar zu machen, formulieren Hypothesen, um sie dann wieder zu widerlegen, suchen nach adäquaten Methoden, um am Ende mit wenigen Antworten und viel mehr neuen Fragen dazustehen. Sie hinterfragen die Antworten, die andere gefunden haben, und suchen nach verborgenen Fehlern und Werten. Denn die Antworten der Wissenschaft sollen möglichst objektiv und frei von Werturteilen sein. Daher sind diese Antworten oft kontextabhängig und nur eingeschränkt gültig. Zugleich ist die Wissenschaft hoch spezialisiert. Ein Virologe beschäftigt sich mit anderen Fragen und hat daher auch andere Antworten als ein Immunologe, als ein Ökonom, als ein Soziologe.
Die Politik, auf der anderen Seite, muss Entscheidungen treffen und das manchmal rasch. Da ist keine Zeit, darauf zu warten, dassdie Wissenschaft alle ihre Zweifel durchgekaut hat. In einer Demokratie werden Politikerinnen und Politiker auch dafür gewählt, um die Wertvorstellungen der Wähler zu vertreten. Ihnen müssen sie das Gefühl geben, sie zu vertreten und ihre Werte zu verteidigen. Werturteile, die die Wissenschaftler aus ihren Überlegungen eliminieren wollen, sind das tägliche Brot der Politik.
In der COVID-19 Pandemie hat sich wieder einmal gezeigt, dass die Wissenschaft die Politik unterstützen kann und soll, aber nicht ersetzen kann und darf. Evidenzbasierte Politik braucht die Evidenz der Wissenschaft. Am Ende des Tages ist es aber immer noch die Politik, die daraus ihre Schlüsse zu ziehen und Entscheidungen zu treffen hat.