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Das subjektive Gefühl von Sicherheit

Vollkommene Sicherheit ist nicht möglich. Private Wach- und Sicherheitsdienste gehören mittlerweile ganz selbstverständlich zum Straßenbild – auch in Einkaufszentren.
Michael Neubauer

Vollkommene Sicherheit ist nicht möglich. Private Wach- und Sicherheitsdienste gehören mittlerweile ganz selbstverständlich zum Straßenbild – auch in Einkaufszentren.

Private Wach- und Sicherheitsdienste gehören mittlerweile ganz selbstverständlich zum Straßenbild. Angestellte privater Sicherheitsunternehmen bewachen U-Bahnhöfe, Kaufhäuser oder Gebäude und Werksgelände. Sie sorgen dafür, dass Geld sicher von einem Ort zum anderen kommt, begleiten als Leibwächter prominente Schauspieler und Bundespolitiker, patrouillieren als Security auf Veranstaltungen – oder sorgen für Sicherheit in Einkaufszentren und Bürotürmen.

 NOVOTNY, Rudolf_06

Rudolf Novotny, der Gründer und Eigentümer der Novotny Group GmbH verspätet sich. „Ein Einsatz“, entschuldigt sich Novotny. Ein, wie sich nachträglich herausstellte, bewaffneter Mann hatte es sich in einem der Untergeschoße der zu den Notausgängen führenden Gänge gemütlich gemacht. Aufgefordert, das Haus zu verlassen, habe er einen Mitarbeiter bedroht. „In diesem Fall gibt es nur eine Lösung. Wir rufen die Polizei. Eigensicherung geht vor. Vor allem, wenn Waffen im Spiel sind.“ Er habe sich persönlich ein Bild machen wollen und sei zu seinem Mitarbeiter geeilt. Für Novotny, seit über 15 Jahren im internationalen Security-Business tätig, ein Routinefall. Seine Spezialisierung liegt im strategischen, konzeptionellen und operativen Sicherheitsmanagement. Zu seinen Kunden zählen seit vielen Jahren Geldinstitute, Mineralölkonzerne, Privatkliniken, Industriebetriebe, Gebäudebetreiber und Einkaufszentren – darunter auch die Millennium City. „Wenn es Sie interessiert, können wir uns die Örtlichkeiten im Untergeschoß ansehen, damit Sie verstehen, wovon ich spreche“. Natürlich bin ich interessiert. Am Weg in die Tiefen stößt ein Mitarbeiter der Sicherheitscrew zu uns. Hassan, ein gebürtiger Ägypter, der seit vielen Jahren für Novotny arbeitet, zeigt deutliche Präsenz. Also ICH würde es mir zweimal überlegen, diesen durchtrainierten Körper zu bedrohen. Kein muskelbepacktes, kahlköpfiges Cornetto – aber durchaus respekteinflößend.

„Im Gegensatz zur Polizei haben unsere Mitarbeiter keine hoheitlichen Rechte und dürfen daher auch nicht in Persönlichkeitsrechte eingreifen“, betont Novotny. Im Fall der Fälle sei aber der Einsatz angemessener Gewalt erlaubt. „Aber nur in Ausnahmefällen im Rahmen der Notwehr oder Selbsthilfe. Voraussetzung ist, dass keine Polizei anwesend ist und auch nicht rechtzeitig erscheint sowie eine der rechtlich definierten Gefahren vorliegt. Bei dringendem Tatverdacht dürfen private Sicherheitsdienste die Personalien eines Verdächtigen aufnehmen. „Unsere Mitarbeiter können den Verdächtigen aber nicht zwingen, ihnen seinen Ausweis zu zeigen. Denn das muss er nicht. Allerdings muss er in diesem Fall damit rechnen, dass er von unseren Mitarbeitern so lange festgehalten wird, bis die Polizei am Tatort eintrifft. Vor der Polizei muss sich ein Verdächtiger ausweisen. Bis dahin können wir ihn, wenn ein begründeter Verdacht besteht, dass er eine gerichtlich strafbare Handlung begangen hat, festhalten. Diebstahl ist zum Beispiel eine solche strafbare Handlung.“

„Wer im Wachdienst arbeitet, muss auch etwas darstellen“, schmunzelt Hassan und streckt seinen Zeigefinger in die Höhe: „So einer hat’s schwer. Die bleiben auch nicht lange.“ Nicht jeder ist für den Beruf geeignet“, bestätigt auch Novotny. „Wir brauchen nicht Kraftprotze, sondern Mitarbeiter, die mitdenken und sich auch in die Lage ihres Gegenübers einfühlen können.“ Deeskalation und Eigenschutz heißen die beiden Stichworte. „Was hätten unsere Leute tun können“, weist Novotny Vorwürfe zurück, sein Sicherheitsdienst hätte, als einander 50 Jugendliche und junge Männer aus Tschetschenien und Afghanistan beim Jugendzentrum Base 20 am Handelskai eine Straßenschlacht mit Messern, Holzlatten und Eisenstangen lieferten – ein Großteil der Täter flüchtete, gegen fünf Männer beantragte die Polizei die Verhängung der Untersuchungshaft, ein Mann wurde auf freiem Fuß angezeigt – nicht eingegriffen. „In so einem Fall kann man nur die Exekutive rufen.“ Die Millennium City ist aber nicht das einzige Einkaufszentrum, das mit Jugendbanden zu kämpfen hat. Auch in und um die Lugner City kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen. Im April 2014 gipfelte ein Konflikt tschetschenischer Jugendgangs in einer Schießerei auf offener Straße. Afghanistan und Tschetschenien hätten ähnliche patriarchale Clanstrukturen, die durch Begriffe wie Ehre, Familie und den Kampf für diese Werte geprägt sind. „Wir sind aktuell mit dem LKA im Gespräch, um weitere Sicherheitsmaßnahmen zu koordinieren.“ Dazu gehört auch, mehr Präsenz zu zeigen.

„In Kroatien überlegt ein Einkaufszentrum sogar, bei den Eingängen Sicherheitskontrollen wie auf Flughäfen zu installieren.“

Bei Notausgängen und Fluchttüren gibt es häufig einen Zielkonflikt: Einerseits müssen sie von innen jederzeit zu öffnen sein und andererseits von außen verschlossen bleiben. Versperrte Notausgänge sind und waren die Ursache für Brandkatastrophen in vielen Veranstaltungsstätten mit einer großen Zahl von Todesopfern. Diese Gänge sind nicht nur bei Obdachlosen beliebt. „Die U6 hat sich in den vergangenen Jahren zu einem Umschlagplatz für Drogen entwickelt. Viele Käufer kommen hierher, um hier ihre Drogen zu konsumieren. Die Überwachung der Notausgänge und der beiden Garagen in der Millennium City stellt uns vor große Herausforderungen“, weiß Novotny zu berichten.

In den Nachtstunden werde die Garage auch schon einmal als Rennbahn – kleinere Unfälle inklusive – verwendet (missbraucht). Kofferraumpartys stehen an den Wochenenden auf dem Programm. Wobei penibel auf fiktive „Stammesgrenzen“ zwischen den Ethnien geachtet wird. „Die Afghanen treffen einander hier, die Tschetschenen da“, zeigt Hassan beim Rundgang durch die Garage. Dort, wo die Schalen der Sonnenblumenkerne liegen, ist der Platz der Afghanen. Manchmal sei es wie ein Katz-und-Maus-Spiel. „Wir kommen – sie fahren weg – wir gehen weg – sie kommen.“

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Mittlerweile sind wir wieder an die Oberfläche gelangt. Wir stehen vor der Zutrittskontrolle zum Millennium Tower, die derzeit reorganisiert wird. Der Zugang zum Hotel wird vom Zugang zu den Büros getrennt. „Im Ernstfall sollte man wissen, wo sich wie viele Menschen im Gebäude aufhalten. Dafür dient auch die Zutrittskontrolle. Sie steuert nicht nur die Liftanlage, sie dient auch dazu, zu wissen, wie viele Menschen sich wo im Gebäude aufhalten.“ Anders kann eine Gebäuderäumung /-evakuierung selbst zur Ursache einer Katastrophe werden, wenn z.B. die Räumung bzw. Evakuierung unter dem Zwang der Ereignisse ungeplant und überhastet durchgeführt werden muss und die bedrohten Menschen sich durch eine panische Flucht in schwere Gefahr bringen und im schlimmsten Fall zu Tode kommen. 1999 starben bei einer Massenpanik nach dem Air & Style Contest im Innsbrucker Berg-Isel-Stadion fünf junge Frauen. Das Unglück ereignete sich, als die Besucher nach der offiziellen Siegerehrung alle gleichzeitig das Gelände verlassen wollten. Bei einem Bombenattentat auf das World Trade Center in New York 1993 (Evakuierung ohne Panik) konnten 50.000 Personen innerhalb von vier Stunden evakuiert werden.

„Das beste Notfall- und Evakuierungskonzept ist wertlos, wenn nicht geprobt wird. Ohne Proben geht nichts“, ist Novotny überzeugt. Dazu gehört auch ein perfekt ausgearbeiteter Brandschutzplan. Dieser dient der Feuerwehr zur Erstinformation im Brandfall. Er enthält alle Angaben über die Anordnung und Bauausführung der Gebäude, mögliche Gefahren in den Gebäuden, die Verkehrswege, die Flächen für die Feuerwehr und die Löschwasserversorgung. Diese Daten sind im Brandfall für die Feuerwehr von großer Bedeutung und erleichtern die Einsatzdurchführung. Der Brandschutzplan ist bei der Feuerwehr sowie beim Brandschutzbeauftragten (BSB) zu hinterlegen und bei der Feuerwehr-Hauptzufahrt in einem roten Wandkasten mit der Aufschrift „Brandschutzplan“ für die Feuerwehr bereitzuhalten.

Demnächst wird wieder eine Evakuierungsübung im Millennium Tower stattfinden. Novotny wird sicher pünktlich dabei sein, sofern er nicht im Einsatz ist.