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Den Speckgürtel enger schnallen

45 Prozent der Österreicher würden am liebsten am Land wohnen.
Agnes Schmid

Niederösterreich ist eigentlich ein günstiges Land, wenn es um Immobilienpreise geht. Das weiß nicht nur die aktuelle Untersuchung der Immobilien-Plattform Immobilien.net, sondern auch der gut informierte Wiener.

Gebrauchte Eigentumswohnungen sind etwa 30 Prozent billiger als im österreichischen Durchschnitt, Einfamilienhäuser liegen knapp unter dem bundesweiten Median. In den vergangenen zwölf Monaten gab es aber einen enormen Aufholprozess, heißt es in einer aktuellen Studie von Immobilien.net. Demnach stiegen die Preise für gebrauchte Eigentumswohnungen in Niederösterreich um 6 Prozent auf 1.990 Euro pro Quadratmeter im Median, bei neuwertig sanierten Objekten um über 8 Prozent auf 2.558 Euro.

Neubauprojekte legten im selben Zeitraum ebenfalls knapp 6 Prozent zu und kosten aktuell im Schnitt 3.131 Euro pro Quadratmeter. Auch bei gebrauchten Einfamilienhäusern gab es einen Anstieg über der Inflation mit 3 Prozent auf 1.916 Euro. Lediglich bei den neuen Einfamilienhäusern wurde ein Rückgang in Höhe von knapp 5 Prozent auf 2.279 Euro verzeichnet. „Die Immobilienpreise in Niederösterreich sind im bundesweiten Vergleich noch relativ günstig.

Abseits der Agglomerationen rund um die großen Städte gibt es also noch einen ordentlichen Aufholbedarf, der durch eine gesteigerte Sanierungstätigkeit noch zusätzlich angefacht wird. Zusätzlich treibt das stark nachgefragte Wiener Umland die Preise in die Höhe“, erklärt Immobilien.net-Experte Patrick Schenner die Zahlen. Neuerdings entwickelt sich beispielsweise Tulln zum neuen Topentwicklungsgebiet.

[caption id="attachment_4167" align="alignleft" width="200"] © Fotolia / Karina Baumgart[/caption]

Nordwesten ist beliebt

Bedingt durch die Nähe zu Wien und die noch relativ günstigen Preise ist die Nachfrage nach Wohnraum im Nordwesten von Wien, insbesondere in der Stadt Tulln, sehr hoch. Das spiegelt sich auch in den Immobilienpreisen wider. Gebrauchte Eigentumswohnungen stiegen in den vergangenen zwölf Monaten im Schnitt um 12 Prozent auf 1.897 Euro pro Quadratmeter, neuwertig sanierte um 6 Prozent auf 1.915 Euro. Neubauprojekte stagnierten im selben Zeitraum mit 3.687 Euro pro Quadratmeter im Median. Jedoch liegt der Preis für eine Neubauwohnung damit sogar noch höher als im hochpreisigen Mödling und damit niederösterreichweit an erster Stelle.

Gebrauchte Einfamilienhäuser stiegen im Schnitt um knapp 4 Prozent auf 1.909 Euro pro Quadratmeter, bei neuen Häusern gab es eine Stagnation bei 2.491 Euro. „Südlich von Wien bezahlt man mittlerweile fast schon Stadtpreise bei Eigentumswohnungen. Deshalb suchen die Menschen nach neuen, noch günstigen Wohngebieten. Vor allem die verbesserte Verkehrsinfrastruktur hat dafür gesorgt, dass viele mittlerweile in den Nordwesten von Wien ausweichen. Bei einer Fahrzeit von unter einer halben Stunde mit Auto oder Bahn nach Wien, bewegt sich Tulln hier auf der Überholspur“, so Schenner weiter.

Starke Zuwächse ortet der Immobilienexperte auch im Umland von Wiener Neustadt und St. Pölten. Dort stiegen in den vergangenen zwölf Monaten die Kosten für gebrauchte Eigentumswohnungen in St. Pölten Land um knapp 6 Prozent auf 1.088 Euro pro Quadratmeter, gebrauchte Einfamilienhäuser sogar um knapp 13 Prozent auf 1.773 Euro und neue Einfamilienhäuser um über 7 Prozent auf 1.972 Euro pro Quadratmeter.

„St. Pölten und Wiener Neustadt sind zu klein, um die Anziehungskraft großer Städte zu entwickeln. Urbaner Flair, wie er etwa in Wien oder Graz vorhanden ist, gibt es hier nicht. Der Wunsch, in der Innenstadt zu wohnen, ist deshalb eher gering ausgeprägt“, weiß Schenner. Dafür locken die sehr günstigen Eigentumspreise im Grünen, rund um die Städte, von denen man in wenigen Minuten das Zentrum erreicht. Eine Tendenz, die schon seit geraumer Zeit zu beobachten ist.

Raus aus Wien

Denn die Wiener (Innen-)Stadtlagen werden immer teurer, man zieht lieber an die Stadtrandgrenze oder gleich in den Speckgürtel. Verliert Wien seine Bewohner? Wohnbaustadtrat Michael Ludwig macht sich keine Sorgen: „Der geförderte Wohnbau bietet eine ganze Reihe leistbarer und hochwertiger Angebote in innerstädtischen Lagen. Dazu zählen etwa die großen Gebiete des ehemaligen Nordbahnhofs oder des Sonnwendviertels. Wir haben aktuell Projekte mit rund 20.000 Wohneinheiten in Umsetzung und investieren auf konstant hohem Niveau in die Schaffung von zusätzlichem, erschwinglichem Wohnraum. Rund 14.000 Wohneinheiten, deren Errichtung von der Stadt initiiert und gefördert wurde, werden alleine heuer und nächstes Jahr fertiggestellt und an die künftigen Bewohnerinnen und Bewohner übergeben. Das sind durchschnittlich jede Woche mehr als 130 Wohneinheiten.“ Für den freien Wohnungsmarkt sei jedoch eine Reform des Mietrechtsgesetz dringend notwendig: „Die Zuschläge müssen begrenzt und befristete Mietverträge weitgehend eingeschränkt werden.“

Aber auch am Stadtrand, stöhnen Bauträger, wird es immer schwieriger, bebauungsfähige Objekte zu finden. Stadtflucht ist also relativ.

[caption id="attachment_4168" align="alignright" width="200"](c) Christine Weber (c) Christine Weber[/caption]

Christine Weber, Immobilienmaklerin in Klosterneuburg, bestätigt, dass auch im Speckgürtel gute Lagen schwierig zu bekommen sind: „Es existieren zwar noch bessere Rahmenbedingungen, aber die Infrastruktur muss passen. Auch in Baden, Perchtoldsdorf oder Mödling: Es wird viel selektiver gesucht.“ St. Pölten sei ein eigener Mikrokosmos der Immobranche, sieht Weber andere Parameter als in der Bundeshauptstadt: „Es muss ruhig sein und eine schöne Aussicht geben.“ Die Grundstückspreise sieht sie am Plafond angekommen. Colliers Wohnimmobilien-Leiterin Inge Schwarzenberg bemerkt eine ähnliche Tendenz: „Käufer gehen bei diesen hohen Preisen kaum bis gar keine Kompromisse ein, daher ist auch ein Ausweichen in den Speckgürtel für viele ein Kompromiss, der sich dann im Preis deutlich niederschlagen muss.“

Wie gut sind die Möglichkeiten für Bauträger, leistbare Projekte am Stadtrand von Wien bzw. im Speckgürtel umzusetzen? Schwarzenberg: „Hier sind die Preise schon sehr ausgereizt und ein Projekt muss sich dennoch rechnen – eine intensive und exakte Kalkulation ist von hoher Wichtigkeit und der Schlüssel für den tatsächlichen Erfolg.“ Developing-Potenzial sieht die Wohnimmobilien-Expertin dort, wo die Lage passt: „Die Lage ist das Um und Auf in puncto Wohnen, daher ist ein höherer Preis in einer guten Lage einer schlechten Lage zu einem geringeren Preis vorzuziehen. Differenzieren würde ich in der Zielgruppendefinition – wen spreche ich mit dem Projekt an? Familien? Senioren? Jüngere Menschen? Danach richten sich das Potenzial und das Umfeld.“

Altbekanntes Phänomen

Ein Trend, der nicht neu ist. „Die Suburbanisierung findet seit Jahrzehnten statt. Triebkräfte waren nicht nur die Stadtflucht, sondern – anhaltend – auch die Landflucht aus peripheren Räumen. Ich denke, der Begriff davon, was wir als ‚Stadt‘ sehen, hat sich in den Köpfen auf die ‚Stadtregion‘ ausgeweitet: die suburbanen Räume sind jetzt vielfach auch ‚Stadt‘ – und in einer stark wachsenden Stadtregion entsprechend teuer geworden“, erklärt Renate Zuckerstätter-Semela, Leiterin des Stadt-Umland-Managements Wien/Niederösterreich (SUM-Süd).

[caption id="attachment_4169" align="alignleft" width="225"]Inge Schwarzenberg (c) Colliers Wohnimmobilien Inge Schwarzenberg
(c) Colliers Wohnimmobilien[/caption]

Welche deutlichen Veränderungen in Sachen Stadtflucht gab es in den vergangenen Jahren? In der Zeit des Wirtschaftswachstums waren Wohlstandsentwicklung, Massenmotorisierung und das (sehr intensiv beworbene) Role-Model „freistehendes Einfamilienhaus“ wesentliche Triebkräfte, analysiert Zuckerstätter-Semela: „Ein wesentlicher Faktor war und ist dabei das Streben der Mittelschicht, Eigentum zu erwerben, das sich in (Stadt-)Randlagen leichter verwirklichen ließ, zumal die Motorisierung längere Arbeitswege ins Zentrum ermöglicht hat.“ Wachstum (auch im Umland der Kernstadt) sei aber an sich „nichts Böses“.

Die SUM-Managerin hält daher nicht die Abwanderung ins Umland für problematisch, sondern ein Laisser-faire in der Raumordnung, das Zersiedelung zulässt: „Kompakte, gut gestaltete und ausgestattete Siedlungen der kurzen Wege am Stadtrand lehne ich per se nicht ab. Da die gebaute Umwelt ein sehr langes Haltbarkeitsdatum hat, müssen wir heute eine Raum-entwicklung anstreben, die möglichst volkswirtschaftlich kosteneffizient und für die privaten Haushalte und für die Wirtschaft mit möglichst geringem Verbrauch fossiler Energie – Stichwort Mobilität – alltagstauglich ist.“

Was relativ neu ist, so Zuckerstätter-Semela weiter, sei aber auch die Re-Urbanisierung: „Insbesondere junge Menschen zieht es wieder in die Innenstädte. Vielleicht spielt dabei auch eine Rolle, dass angesichts der nun auch schon hohen Grundstückpreise im Umland (und einem Mangel an leistbaren Wohnungen), angesichts des schwierigen Arbeitsmarktes und angesichts der ‚Kreditklemme‘ das Eigenheim im Grünen für viele Jungfamilien nicht mehr machbar ist.“

An einem Strang ziehen

Der knappe Wohnraum und die hohen Preise in Wien werden also auch einen Effekt auf die Umlandgemeinden Wiens haben. Zuckerstätter-Semela: „Die Nachfrage nach Wohnraum in den Umlandgemeinden wird absehbar steigen. Aufgrund der wachsenden Mobilitätskosten ist davon auszugehen, dass Standorte mit Anschluss an das Schienennetz besonders attraktiv – aber damit auch teurer – werden. Ich gehe davon aus, dass zunehmend verdichtete Wohnformen nachgefragt werden.“

Das Wachstum stellt die Gemeinden vor große Aufgaben: die Bereitstellung der Infrastruktur (insbesondere soziale Infrastruktur wie Schulen oder Kindergärten) ist eine finanzielle Herausforderung, zumal Menschen, die aus der Stadt ins Umland ziehen, meist eine städtische Infrastruktur erwarten. Die Verdichtung der Siedlungsstrukturen und die Veränderung der Bevölkerungszusammensetzung ist eine politische Herausforderung, ist die SUM-Managerin überzeugt: „Die Gemeinden müssen sich zunehmend als ‚in einem Boot sitzend‘ wahrnehmen und verstärkt innerhalb der Stadtregion kooperieren, insbesondere was die hochrangige Infrastruktur betrifft.“ Spannend bleibt die Frage: „Wer wandert wohin?“