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Den Stoffkreislauf in Schwung bringen:

EPEA stellt bundesweit erste detaillierte Auswertung von Gebäudematerialpässen vor
Michael Neubauer
Gebäudematerialpässe
Gebäudematerialpässe
© EPEA

Mehr als 100 Ressourcenpässe hat das Umweltberatungsinstitut EPEA bereits von der Planung bis zur Fertigstellung im Detail erstellt und dabei stetig weiterentwickelt. Damit lässt sich erkennen, welche Rohstoffe in welcher Menge in einem Gebäude vorhanden sind. Auch woher diese Materialien stammen und ob sie künftig wieder zurück in hochwertige Kreisläufe gehen können spielt eine wichtige Rolle für ein gutes Ergebnis - ganz im Sinne des Cradle to Cradle-Designprinzips.

Bis 2050 wird laut Prognosen der Weltbank rund vier Milliarden Tonnen Müll entstehen – knapp 60 Prozent mehr als heute.[1] Der Löwenanteil geht auf das Konto der Industrieländer. Dort verursacht keine Branche mehr Abfall als die Bauwirtschaft. Bei Umbau- oder Abrissarbeiten landen Materialien wie Beton, Gips oder Kies meist auf der Deponie, obwohl sie für neue Bauvorhaben dringend benötigt und teuer bezahlt werden. Die Umstellung auf eine Kreislaufwirtschaft soll dem einen Riegel vorschieben. Das Problem dabei: „Aktuell sind nicht einmal 10 Prozent der Neu- und Bestandsbauten für den Rückbau konzipiert. Damit es mit der nahtlosen Weiterverwertung klappt, brauchen wir zuerst einmal Transparenz, was in unseren Häusern überhaupt drinsteckt und was wir besser machen können, um CO2-Emissionen und Primärmaterial einzusparen. Deshalb brauchen wir flächendeckend Materialpässe für Gebäude“, sagt Dr. Peter Mösle. Als Geschäftsführer des Umweltberatungsinstituts EPEA, einer Tochter des Bau- und Immobilienberaters Drees & Sommer SE, konzipiert Mösle mit seinem Team solche Materialausweise für alle Arten von Gebäudetypen. Rund 50 davon hat EPEA nun in einer bislang einzigarten Auswertung analysiert und daraus wichtige Erkenntnisse für deren bundesweite Ausgestaltung abgeleitet.

Bereits seit 8 Jahren erstellt EPEA unter dem Namen „Circularity Passport Buildings“ Materialausweise für Gebäude. Wer als Bauherr bereits heute einen solchen digitalen Gebäudematerialausweis erstellt, wie ihn auch Bundesbauministerin Klara Geywitz noch für diese Legislaturperiode fordert, greift der Zukunft vor. Denn die in Europa und Deutschland geplante Regulierung wird die Branche früher oder später zu Materialkreisläufen zwingen - und ein Gebäude bei Abriss als Rohstofflager für neue Bauten zu nutzen. „Die Einführung eines digitalen Materialausweises wird die Bauwirtschaft so grundlegend verändern wie die Einführung des Energieausweises vor 20 Jahren, da erstmals Ressourcenschonung und Kreislauffähigkeit als verpflichtendes Kriterium in die Materialwahl einfließt. Dafür müssen wir die bislang am Markt unterschiedlichen Modelle harmonisieren. Mit dem Materialkataster Madaster besteht bereits heute eine enge Kooperation. Wir brauchen aber unbedingt einen gesetzlichen Rahmen für einen einheitlichen Standard“, fordert Peter Mösle.

Zu den Kategorien, die ein Materialausweis für eine Immobilie unbedingt enthalten sollte, zählen für Pascal Keppler, Leiter Digital Services bei EPEA, folgende Kategorien: CO2-Fußabdruck / Ökobilanz, Materialtypen & -mengen, Anteil Material aus erneuerbaren oder recycelten Quellen, Schadstoffgehalt, Recyclingfähigkeit, Trennbarkeit der Materialien sowie die Demontierbarkeit der Bauteile. Keppler hat als Kreislaufspezialist die Ressourcenpässe für EPEA maßgeblich mitentwickelt. Ein zentrales Ergebnis der Auswertung: Massive Bauteile wie Stahlbeton wirken sich am meisten auf das Gesamtergebnis im Ressourcenpass aus. „Wer bei seinem Bauvorhaben auf eine RC-Gesteinskörnung, einen recyclingfähigen Verbau, CO2-armen Zement, Bewehrungsstahl oder auf nachwachsende CO2-Speichermaterialien wie Holz setzt, erzielt im Materialpass ein sehr gutes Ergebnis. Gleichzeitig sind alternative Tragkonstruktionen kein Garant für gute Werte im Materialausweis. Um sie zu erreichen, müssen zudem Produkte von Herstellern mit hoher Materialgesundheit und Kreislauffähigkeit ausgewählt werden. Eine reine materialtypenbasierte Optimierung genügt hier nicht“, fasst Keppler zentrale Erkenntnisse aus der Auswertung zusammen.

Geburtsstunde der Materialausweise: EU-Forschungsprojekt BAMB

Angefangen hat alles im Jahr 2015 mit einem EU-Forschungsprojekt. Das Projekt namens BAMB – Buildings As Material Banks sollte einen Paradigmenwechsel für die Bauwirtschaft einläuten. Erstmals stand der Kreislaufgedanke für Bauprodukte und Gebäude im Fokus: „Der sogenannte Materialkreislauf unserer Industriegesellschaft ist in Wahrheit eine Einbahnstraße“ so Pascal Keppler. „Rohstoffe werden abgebaut, verarbeitet, benutzt und schließlich entsorgt. In der Abfallwirtschaft spricht man deshalb von Downcycling und vom Cradle to Grave-Prinzip. Dagegen steht der Cradle to Cradle-Ansatz, nach dem wir Produkte aus erneuerbaren Quellen so konzipieren, dass sie ohne Qualitätsverlust in potenziell unendlichen Kreislaufen zirkulieren können.“

Mit konventionellen Bauprodukten ist das oft schwierig. Beispielsweise sind in herkömmlichen Wärmedämmverbundsystemen bis zu 20 verschiedene Stoffe auf untrennbare Weise miteinander verbunden, die nichts als Sondermüll hinterlassen. Hier gehen Rohstoffe von der Wiege ins Grab. Dem gegenüber stehen kreislauffähig zertifizierte Baustoffe, die nicht nur Ressourcen schonen, sondern auch den Materialwert erhalten. „Mit 20 bis 30 Prozent steckt ein erheblicher Teil der Bruttobaukosten in den Materialien. Lassen sich die eingesetzten Stoffe am Ende der Nutzungszeit wieder zurückgewinnen und bilden dann die Grundlage neuer, hochwertiger Produkte, bleibt ein nennenswerter Teil dieses Wertes erhalten“, sagt Peter Mösle. Genau dafür brauche es aber Materialausweise – und die finanzielle Wertermittlung durch die Madaster-Plattform.

Lebenszyklusbetrachtung macht aus Ressourcengräbern Rohstoffdepots

Seit dem EU-Forschungsprojekt hat EPEA über 100 Ressourcenpässe erstellt und dabei stetig weiterentwickelt. „Hohe Punktzahlen gibt es, wenn Materialien entweder aus erneuerbaren Quellen wie nachwachsenden Rohstoffen stammen oder wenn sie als Sekundärrohstoff schon einmal im Bau eingesetzt wurden und nun ein nächstes Leben bekommen“, erläutert Peter Mösle. Als Recycling möchte er diese Art der Wiederverwertung ganz bewusst nicht bezeichnen. „Die derzeitige Gesetzgebung betrachtet Downcycling oder die sogenannte energetische Verwertung – wie das Verbrennen von Holz – als Recycling. Für Klima- und Ressourcenschonung ist das aber Gift. Daher bewerten wir im Ressourcenpass Materialien nach ihrem Verwertungspotential. In die Beurteilung fließt ein, ob wir die Materialien bei Umbau oder Abriss sortenrein trennen, rückbauen und wiederverwerten können. Wir sprechen hierbei von Industrial Re-Use.“ Gebäude wandeln sich damit zu wertvollen Rohstoffdepots, die ihre Materialien am Ende der Nutzungszeit wieder für neue Vorhaben freigeben. Auch der CO2-Fußabdruck wird in den Ressourcenpässen ausgewertet. Nur wenigen Menschen ist bewusst, dass Heizung, Warmwasserversorgung und Strombedarf für Lüftung und Beleuchtung lediglich die Hälfte der gesamten CO2-Emissionen in den meisten der heutigen Neubauten verursachen. Die andere Hälfte fällt beim Herstellen und Transportieren von Baumaterialien an, inklusive Rückbau und Entsorgung. Der Ressourcenpass bezieht auch diese sogenannte grauen Energie mit ein, um Gebäude über ihren gesamten Lebenszyklus zu bilanzieren.

Ressourcenpass als Planungsinstrument

Hilfreich sind diese Informationen nicht nur für die Dokumentation, sondern auch für eine umweltschonende Planung. Vor allem in der Kategorie „Materialherkunft“ zeigt der Ressourcenpass sein Optimierungspotenzial. In der Regel werden bei Neubauten lediglich einige Metalle - wie beispielsweise der Bewehrungsstahl - aus Sekundärmaterialien hergestellt. Das entspricht nicht einmal 10 Prozent. Wird dagegen mit dem Ressourcenpass über den gesamten Lebenszyklus geplant, sind schon heute Werte über 40 Prozent gut möglich. „Durch die messbaren Kennwerte haben Planungsteams die Möglichkeit, ihre Gebäude nach Aspekten der Kreislaufwirtschaft zu optimieren“, sagt Pascal Keppler, der unter anderem den Drees & Sommer-Neubau OWP12 in Stuttgart auf diese Weise mitgeplant hat.

Nahezu jeder Balken, jede Tür und auch kleinteilige Materialien wie Klebstoffe sind in die Bilanzierung des Plusenergiehauses am Drees & Sommer-Campus eingeflossen. Um eine solche Menge an Informationen beherrschbar zu machen, werden die Daten mit einem digitalen Zwilling verknüpft. Eindeutige Ampel-Farbskalen visualisieren die Bauprodukte und helfen dabei, sie vor Einbau zu bewerten. Ist zum Beispiel die einfache Trennbarkeit von Materialien noch nicht oder nicht ganz gewährleistet, erscheint das zugehörige Bauteil in Rot oder Gelb. Kreislauffähige Bauteile erscheinen in Grün. Das Drees & Sommer-Gebäude konnte auf diese Weise gemäß des Cradle to Cradle-Designprinzips optimiert werden und erhielt dafür im September 2023 die Zertifizierung in Platin der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen.

Digitaler Ressourcenpass braucht messbare Zielquoten

Die Bundesregierung plant noch in dieser Legislaturperiode die Einführung des Gebäuderessourcenpasses. Spätestens dann wird das Cradle to Cradle-Prinzip an vielen Stellen Voraussetzung für Förderungen, Finanzierungen oder Zertifizierungen werden. Geht es nach Peter Mösle, braucht eine solche Gesetzgebung vor allem eines: klare Zielquoten nach Vorbild des Energieausweises. „Vor dem Hintergrund der Regulatorik steigt heute schon die Nachfrage nach zirkulärem Design. Um die Rohstoffwende weiter anzukurbeln, sollten bis zum Jahr 2030 mindestens 40 Prozent aller Materialien für Bauvorhaben aus nachwachsenden Rohstoffen oder Sekundärmaterialien kommen – egal ob bei Neubau oder Sanierung.“ Im Bestand lasse sich diese Quote in der Regel bereits durch den Erhalt des Fundaments und der Tragwerke erreichen.

Für neu konzipierte Baustoffe fordert Mösle eine Kreislauf-Quote ohne Kompromisse: Alles Neue muss auch später wieder in hochwertige Kreisläufe gehen können. „Hier sind vor allem die Hersteller gefragt, ihre Geschäftsmodelle anzupassen, indem sie ihre Produkte nach Ökodesign-Kriterien entwickeln und industrielles Re-Use betreiben. Damit holen wir regionale Wertschöpfung nach Deutschland und Europa zurück und verringern gleichzeitig die Abhängigkeit von importierten Rohstoffen“, sagt Mösle. „Unsere ökologischen Probleme verschwinden nicht einfach mit einem Weiter-so. Wenn wir uns die Zukunft nicht verbauen wollen, müssen wir jetzt handeln und eine konsequente Kreislaufwirtschaft nach dem Cradle to Cradle-Prinzip angehen.“