Um das im Pariser Klima-Abkommen vereinbarte 1,5 Grad Ziel zu erreichen, darf nur noch eine bestimmte Menge an CO2-Emissionen ausgestoßen werden. Würden wir so weiterwirtschaften wie bisher, hätten wir das zur Verfügung stehende CO2-Budget nach Berechnungen des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung in weniger als zehn Jahren ausgeschöpft. Die Transformation in eine klimaneutrale Wirtschaft muss also mit deutlich mehr Tempo vorangetrieben werden. Besonders groß ist der Handlungsbedarf im Immobilienbereich, auf den 40 Prozent der CO2-Emissionen entfallen. Mit einer Billion Euro will die EU-Kommission Investitionen in die Klimawende anschieben. Das Geld soll zur Hälfte aus dem EU-Haushalt kommen, der Rest von den EU-Mitgliedsstaaten und privaten Investoren. Im Interview erläutert Antje Schulz-Eickhorst, Leiterin Advisory Services bei Arup, warum der EU-Aktionsplan ein Katalysator ist, der eine nachhaltige Kettenreaktion in der Immobilienwirtschaft auslösen wird.
Frau Schulz-Eickhorst, inwieweit wird der EU-Aktionsplan die Transformation der Immobilienwirtschaft in die Klimaneutralität beschleunigen?
Der EU-Aktionsplan zur Finanzierung nachhaltigen Wachstums ist ein gut durchdachter Maßnahmenkatalog. Ihm liegt die Erkenntnis zugrunde, dass die angestrebte Klimaneutralität nur mit einem Finanzsystem zu erreichen ist, das die Kapitalströme auf nachhaltige Investitionen umlenkt. Dafür bedarf es vor allem höherer Transparenz und einer stärkeren Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten in Risikobetrachtungen. Ein zentraler Bestandteil des EU-Aktionsplans ist daher die viel diskutierte EU-Taxonomie. Als Klassifizierungs- und Bezugssystem soll sie den Anlegern dabei helfen, grüne Investitionen zu erkennen. Es ist somit das Fundament für ein nachhaltiges Finanzwesen.
Bereits jetzt sind deutliche Bewegungen auf dem Markt zu erkennen, die zeigen, dass dieser Ansatz wirkt. Ein Teil der Branche, allen voran die großen Asset-Manager und Investoren, passen ihre Ankaufskriterien entsprechend an und überprüfen ihre Portfolios im Hinblick auf die neuen Anforderungen. Hier ist ein großer Erneuerungs- und Innovationsschub zu erwarten, der die gesamte Immobilienwirtschaft betreffen wird. Bislang existieren kaum Artikel 9 Produkte auf dem Immobilienmarkt. Die Nachfrage nach nachhaltigen Investments wird sich in den nächsten Jahren rasant entwickeln. Das fordert entsprechendes Know-how von Architekten und Fachplanern aber auch von Bauunternehmen sowie den Herstellern von Bauprodukten.
Inwieweit ist die Taxonomie geeignet, sogenanntes Greenwashing zu verhindern?
Bislang war der Begriff Nachhaltigkeit in der Immobilienwirtschaft nicht klar definiert und eröffnete somit weite Interpretationsspielräume. Die im März dieses Jahres in Kraft getretene Offenlegungsverordnung für nachhaltige Investitionen hat die Möglichkeiten des Greenwashings stark eingeschränkt. Mit der angekündigten Präzisierung der Taxonomie als Bezugspunkt für die Offenlegungsverordnung und der weiteren Maßnahmen des EU-Aktionsplans wird dem Greenwashing langfristig die Grundlage entzogen. Laut einer Analyse von Morningstar, bei der 5.700 Fonds ausgewertet wurden, sind nur 3,6 Prozent nach Artikel 9 als dunkelgrün klassifiziert.
Warum gibt es so gut wie keine nachhaltigen Immobilienfonds?
Weil man bislang auch mit nicht nachhaltigen Fonds sehr gutes Geld verdienen konnte. Das wird sich durch den EU-Aktionsplan und die dazugehörigen Maßnahmen ändern. Durch die Marktmechanismen wird der Bedarf an Artikel 8 und 9 Produkten stark steigen bzw. die Nachfrage nach Artikel 6 Produkten, also den nicht nachhaltigen Produkten, deutlich abnehmen. Es gibt auch jetzt schon sehr umweltbewusste Akteure auf dem Immobilienmarkt. Das möchte ich gar nicht kleinreden. Diese nachhaltige Richtungsänderung der Branche, die bereits eingesetzt hat, wird sich in den nächsten Jahren verstärken.
Dass sich etwas bewegt, spüren wir auch in unserem Unternehmen. So erhalten wir deutlich mehr Beratungs- und Planungsanfragen für nachhaltige Neubauprojekte sowie die nachhaltige Sanierung von Bestandsbauten – sowohl nach Artikel 8 als auch 9. Zudem zeichnet sich eine stärkere Berücksichtigung zirkulärer Prinzipien in der Planungsphase ab. Gleichzeitig sehen wir großen Beratungsbedarf rund um den EU-Aktionsplan, die Taxonomie und die Offenlegungsverordnung.
Welche Rolle wird die Digitalisierung bei der Umsetzung der EU-Taxonomie spielen?
Die Digitalisierung wird eine zentrale Rolle spielen. Einerseits, um die in manchen Bereichen noch unzureichende Datenlage, wie beispielsweise zu den Energieverbräuchen, zu verbessern. Andererseits erfordert die fortlaufende Überarbeitung von Portfoliostrategien neue digitale Tools, die erforderliche Maßnahmen mit einer Kosten-Nutzen-Analyse verknüpfen und damit eine solide Grundlage für nachhaltige Investitionsentscheidungen schaffen.
Aktuell sind viele unterschiedliche Einzellösungen auf dem Markt, die bestimmte Teilbereiche abdecken. Unser Nachhaltigkeitsteam um Francesca Galeazzi arbeitet gerade an einer umfassenden Lösung, die es ermöglicht, alle Objekte eines Portfolios proaktiv auf klimabezogene Risiken zu screenen. Dabei werden die in der EU-Taxonomie verankerten Ziele zum Klimaschutz und zur Anpassung an den Klimawandel in die Evaluation miteinbezogen. Nach Analyse sämtlicher technischer und wirtschaftlicher Daten erhält der Nutzer eine übersichtlich visualisierte Handlungsempfehlung. Darüber hinaus können die zentral gespeicherten Daten für unterschiedlichste Auswertungszwecke herangezogen werden. Zudem ermöglicht das Tool einen umfassenden Überblick auf Portfolio- sowie Objektebene und erleichtert damit das Reporting.
Laut einer Studie von EY Real Estate fühlen sich 77 Prozent der befragten Unternehmen nicht gut auf die regulatorischen Anforderungen der EU-Taxonomie vorbereitet. Woran liegt das?
Das liegt in meinen Augen daran, dass viele Unternehmen zwar auf Unternehmensebene Nachhaltigkeitsstrategien erarbeitet, diese jedoch nicht in ihre einzelnen Geschäftsbereiche integriert haben. Die Wichtigkeit des Themas wurde lange unterschätzt und viele beginnen erst jetzt, entsprechende Stabsfunktionen in ihren Unternehmen aufzubauen. Darüber hinaus gibt es besonders bei älteren Bestandsimmobilien große Datenlücken, die eine schnelle Evaluierung unmöglich machen.
Aufgrund fehlender Daten und der dazugehörigen Prozesse können viele Unternehmen noch keine fundierten Aussagen zu den ökologischen Auswirkungen ihrer Immobilien machen, geschweige denn zu den erforderlichen Anpassungsschritten. Daran wird aber kein Weg vorbeiführen, wenn man mit den kommenden Veränderungen Schritt halten will. Heute diskutieren wir über die Reduktion von operativen und gebundenen CO2 in Gebäuden – deutlich größere Herausforderungen werden sich Ende 2022 aus der Erweiterung der Taxonomie um Aspekte der Zirkularität ergeben.