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Der Schatz im Silbersee – reloaded

Eine Vision wird Standard. Viel Wasser ist die Donau hinunter geflossen, seit ein hoffnungsvoller Schreiberling über die Widerstände gegen eine Ökosiedlung berichtete. Heute sind viele der einst spektakulären Ideen des Architekten Helmut Deubner zum allgemeinen Standard geworden.
Reinhard Krémer

Eine Vision wird Standard. Viel Wasser ist die Donau hinunter geflossen, seit ein hoffnungsvoller Schreiberling über die Widerstände gegen eine Ökosiedlung berichtete. Heute sind viele der einst spektakulären Ideen des Architekten Helmut Deubner zum allgemeinen Standard geworden.

Vor mehreren Jahrzehnten, es war im Jahr 1984, hörte ein junger, schlanker und stets umtriebiger Volontär einer Lokalzeitung von dem Plan, in den unendlichen Weiten des Marchfelds östlich der Bundeshauptstadt, im Trabanten der Bezirkshauptstadt Gänserndorf mit dem klingenden Namen „Gänserndorf Süd“, eine, wie damals stets verlässliche Quellen berichteten, völlig wahnwitzige Wohnsiedlung zu errichten. Als wahnwitzig wurde damals die Bauweise, die viel Holz vorsah – in einer Zeit, in der man von den Vorteilen von Stahl und Beton fast grenzenlos überzeugt war – angesehen. „Ökosiedlung“ sollte das Bauwerk heißen und allein der Name machte es schon verdächtig. Werden sich gar noch latzhosentragende, vollbartbewaffnete Ökofuzzis (dieses Wort gab es damals noch nicht; man bevorzugte den weitaus exakteren Terminus „Körndlfresser“) in der ruhigen Gegend ansiedeln? Gammler (wer kann sich an diese kreative Wortschöpfung noch erinnern?) vielleicht am Ende?

Die Bevölkerung war ohnehin schon gespalten, schwelte doch bereits der Konflikt des geplanten Kraftwerks in der Hainburger Au, der im Dezember 1984 vollends eskalierte. Den Befürwortern war damals völlig klar, dass Österreichs Energieprobleme nur mit dem großräumigen Fällen von Bäumen und dem massiven Einsatz von Beton gelöst werden konnten. Mehr Unruhe im sonst so ländlich beschaulichen Leben konnte man nicht ertragen.

Und dann gab es noch nicht verstummen wollende Gerüchte über eine Kläranlage in der dubiosen Siedlung, deren Hauptbestandteil eine Art See sein sollte und in der man das eigene Gaga saubermachen wollte – den kritischen und natürlich allzeit höchst sachkundigen, mit in zahlreichen Stammtischrunden erprobtem Spezialwissen ausgerüsteten Beobachtern war natürlich sofort völlig klar, dass das niemals, wirklich NIEMALS, funktionieren konnte.

Konzipiert mit Herz und Hirn

Dem Jungspund der Zeitung hingegen war natürlich klar, dass dies zehn Kilometer vom Eisernen Vorhang entfernt, wo die Welt, wie wir sie kannten, zu Ende war, DIE Story des Jahres werden könnte. Er nahm also mit dem Mastermind der Idee Kontakt auf und der erwies sich wider Erwarten keineswegs als ein klandestiner Verschwörer, der heimtückisch sektiererische Aktivisten nahe am Herzen der in jenen Jahren alles andere als pulsierenden Bezirkshauptstadt ansiedeln wollte. Und das Ganze vielleicht noch mit Unterstützung der öffentlichen Hand, weil die Finanzierung über das Bundes-Sonderwohnbauproramm und einen Forschungsauftrag des BMFWA erfolgen sollte – na, da könnt’ ja wirklich jeder kommen!

Der offenherzige, freundliche Architekt präsentierte voller Stolz den Plan einer Siedlung, die mit Herz und Hirn nach ökologischen Gesichtspunkten konzipiert war. Die Baumaterialien waren vorwiegend Ziegel und Holz, das Ganze in Waldnähe und am Ende des Baues lag der von Teilen der Eingeborenen mit schrägen Blicken bedachte See. Dem Volontär fiel nichts Verdächtiges oder gar Anrüchiges auf und so schrieb er einen Artikel, der im Titel so etwas wie „Der Schatz im Silbersee“ nach dem Lieblingsbuch des Landesfürsten trug.

Die Bevölkerung war fürs Erste beruhigt, die Siedlung wurde gebaut und bezogen – überraschenderweise nicht von haschrauchenden Latzhosenträgern, sondern vielmehr von honorigen, meist bestsituierten und gut etablierten Bürgern - als das nächste Ungemach über den lauteren Architekten hereinbrach: Der dubiose See, der ja Teil der Kläranlage sein sollte, stieß auf den Zorn der Obrigkeit.

Dorfplatz oder Kirchenplatz?

Inzwischen war auch ruchbar geworden, dass in dem Bauwerk noch allerlei seltsame und in höchstem Maße verdächtige Komponenten eingebaut worden waren: Die „Ökosiedlung Gärtnerhof“, wie sie sich nannte, war nach baubiologischer und ökologischer Bauweise geplant und errichtet worden – allein dies sorgte für endlosen Diskussionsstoff bei den Meinungsmachern am Stammtisch. Und einen kleinen Dorfplatz mit Brunnenanlage sollte es dort auch geben … wofür? Platz zur Kommunikation war doch vor der Kirche ausreichend vorhanden!

Besonderes Augenmerk hatte der Architekt, Helmut Deubner war der Name des Revoluzzers, auf die gesundheitlichen Bedürfnisse der Menschen gelegt , wie auf eine geringe Schadstoffbelastung der Innenräume, geringen E-Smog oder angenehme Farben, Oberflächen und vieles mehr. Schlimm genug – wer brauchte diesen Mumpitz?

Der Mann verwendete auch Materialien, die wieder recycelt werden können oder in der Lebenszyklusanalyse – was war das überhaupt? - eine möglichst geringe Umweltbelastung darstellen. Er nutzte die passive und aktive Solarenergie, indem er die Gebäude nach Süden ausrichtete und diese in der Höhe von Süden nach Norden staffelte, um dadurch eine geringe Beschattung zu erreichen. Außerdem sorgte der Planer für eine hochwertige Wärmedämmung der Gebäudehülle. Ein neues soziales Konzept forcierte Deubner durch die Errichtung von Gemeinschaftsräumen für Veranstaltungen, ein Saunahaus, einen Badeteich oder die Nutzung von Eigengärten für den Gemüsebau und anderes mehr. Dass das Saunahaus bei einfachen ruralen Gemütern den Gedanken an ausufernde Orgien auslöste, daran konnte er beim besten Willen nicht denken.

Der Furor der Obrigkeit

Als Deubner schließlich noch das Regenwasser für Toiletten, Waschmaschinen, die Gartenbewässerung und auch zur Körperpflege nutzte, runzelten Beobachter die Stirn. Der Einbau von Komposttoiletten und der Einbau einer Pflanzenkläranlage zur Reinigung der Fäkal-und Abwässer sowie der ominöse „See“ schalteten die Gehirne vieler Kleingeister auf „Overload“.

Man wollte den Architekten umgehend zwingen, das Schmutzwasser der Siedlung nicht selbst mit irgendwelchen alchemistischen und selbstgeschnitzten Methoden in Ordnung zu bringen, sondern gefälligst an das bestehende Klärnetz des Ortes anzuschließen, wie es Gott gewollt hat, weil diese verschrobene Idee mit dem blöden See ja ohnehin niemals funktionieren konnte und würde - und basta.

Der geneigte Leser ahnt es bereits – der Planer gab nicht auf und schlug Rabatz – auch darum, weil seine Idee kostengünstiger für die Bewohner und besser für die Umwelt war. „Das Land Niederösterreich hat das damalige Gesetz zur Kanalanschlussverpflichtung auf Grund unseres Einspruches beim Verwaltungsgerichtshof und nach einer Argumente-Sendung von Walter Schiejok im ORF geändert beziehungsweise aufgehoben“, erzählt Helmut Deubner von seinem Sieg gegen die Mühlen der Bürokratie, als ihn der einst flaumige Twen, längst zum Mann mit ergrauendem Bart und respektablem Umfang gereift, erneut zum Gespräch bittet.

Die „Ökosiedlung Gärtnerhof“, inzwischen weit und breit ehrfurchtsvoll nur „Die Biosiedlung“ genannt, ist rundherum von Beginn an zum vollen Erfolg geworden: „Das Objekt hat 80 bis 90 Bewohner, gesamt 30 Wohneinheiten mit unmittelbar aneinander angrenzenden Wohnungen. Die Nachfrage ist sehr gut; es waren schon bei Bezug der Wohneinheiten alle Wohnungen vergeben“, erzählt der Architekt.

Vom Revoluzzer zum anerkannten Experten

Dass im Lauf der Zeit auch Probleme aufgetaucht sind, streitet Deubner nicht ab – diese scheinen aber gering, wenn man an andere Projekte denkt: „Die Entfernung zur Schnellbahn (rund acht Kilometer entfernt; Anm.) war für ältere Mitbewohner manchmal schwierig. Die Instandhaltung der ökologischen Einrichtungen ist teilweise mit Aufwand verbunden. Manchen Leuten wurde dies zeitweise zu viel“, sagt der Architekt. Und wie geht es dem einstigen Revoluzzer drei Jahrzehnte später jetzt mit der Obrigkeit: „Heute haben wir als Gemeinschaft und als Planer ein gutes kooperatives Verhältnis zur Gemeinde. Auch fließen unsere Ideen und Vorschläge teilweise in die Bauten der Gemeinde ein“, berichtet Helmut Deubner, der nicht an die große Glocke hängt, dass er Gründungsmitglied und Leiter (1989 – 2003; Anm.) des Instituts für Baubiologie und Ökologie, kurz IBO, war. Dort fanden die Ideen und Vertreter des ökologischen Bauens, inkl. Messtechniken, Qualitätssicherung und Forschung, eine Plattform mit internationalem Stellenwert, so Deubner. Ihm war es wichtig, ein breites Netzwerk von Fachleuten aus interdisziplinären Bereichen zu fördern: „Diese Arbeit verdichtete sich zunehmend und mündete 1991 in der Gründung des ,Global Network of Organisation for Environmentally-Conscious and Healthy Building‘.“

Sein Credo: „Humanökologische Architektur bedeutet für mich Ausrichtung auf menschliche Grundbedürfnisse wie Geborgenheit, Rückzugsmöglichkeit, soziale Kontaktmöglichkeit verbunden mit schadstoffarmer Innenraumbelastung wie Luft, E-Smog oder Lärm. Das alles in einem Kontext mit ökologischer Bauweise wie der Verwendung von Baustoffen mit einer geringen ökologischen Belastung.“

Die Technologie hat sich rasant weiterentwickelt, sagt Helmut Deubner: „Die Siedlung gab viele auf Forschungsergebnisse begründete Impulse, die sowohl im In- und Ausland von Universitäten überprüft und evaluiert wurden. Auch gab es eine Reihe von Diplomarbeiten, die darüber verfasst wurden.“

Der Querdenker hat also auf allen Ebenen gesiegt, viele seiner Ideen sind heute allgemein anerkannter Standard geworden. Und so war es fast schon die logische Konsequenz, dass man ihn in die Lehrtätigkeit an der WU Wien und an der Donauuniversität Krems berief, um sein Wissen weiterzugeben.

The legacy lives on

Aktuelle Projekte gibt’s genug: „Es wurden von uns in letzter Zeit einige Musterprojekte im Wohnbau und Kindergartenbau als Passiv- oder Plus-Energiebauten umgesetzt“, erzählt Deubner, dessen Büro jetzt durch zwei junge Leiter übernommen wurde: „Der eine ist mein Sohn, der andere ein spanischer Kollege, die das Ideengut nun weiterentwickeln.“ Sie errichteten zum Beispiel den Landeskindergarten Gänserndorf in Holzriegelkonstruktion und Plus-Energie-Standard – mit spektakulärer Optik – oder den Kindergarten Gnadendorf in Holzrahmenkonstruktion in Passivhausbauweise.

Auch wenn der Architekt jetzt ein wenig kürzer tritt – an Visionen mangelt es ihm nicht: „Es scheint mir wichtig, an den Bedürfnissen der Menschen nicht vorbeizuplanen. In Zeiten mit wirtschaftlichen Problemen ist es wichtig, dass auch das Umland von Städten als Versorgungseinrichtung gut funktioniert, und dazu ist es notwendig, dass auch Eigenversorgung möglich ist. Mir scheint dies wichtig, da damit - wenn auch im kleinen Rahmen - ein Beitrag zum Weltfrieden geleistet werden könnte.“

Und sonst? „Noch vieles - das würde aber diesen Rahmen hier sprengen …“, lacht Helmut Deubner.


ÖKOSIEDLUNG GÄRTNERHOF Gänserndorf/NÖ

Fertigstellung im Sept. 2018

Siedlung mit 11 Hofhäusern und 10 Wohnungen mit 2.600 Quadratmetern auf einem 7.200 Quadratmeter großen Grundstück, Massiv-/ Holzbauweise

Kosten: 65 Millionen Schilling (4 Millionen Euro)

Projektleitung: Mag. Arch. Ing. Helmut Deubner, Ing. Ewald Kunst, DI Maria Riegler