Die Justierungen in der aktuellen Bauordnungs-Novelle helfen bei dem einen oder anderem Projekt, werden aber keine enorme Dynamik im ‚klassischen‘ Dachgeschoß-Ausbau nach sich ziehen“, bleibt Bauträger-Berater Klaus Wolfinger gelassen. Viel wichtiger erscheinen ihm ganz andere Parameter: „Sind im Einzelfall statische Ertüchtigungsmaßnahmen erforderlich bzw. sind diese wirtschaftlich?“ Das Thema innerstädtische Nachverdichtung wird im Rahmen der Fachdebatte übrigens inzwischen lieber unter dem Begriff „Bestandsentwicklung“ geführt. „Nicht für jeden ist der Begriff ‚Dichte‘ positiv besetzt“, feixt Wolfinger.
Ab wann zahlt sich nun die eine oder andere Verdichtungsmaßnahme aus? Wolfinger: „Eindeutig für die Errichtung zusätzlicher Wohnungen im innerstädtischen Bereich. Und da geht es nicht nur um DG-Ausbauten, sondern auch um das Schließen von Baulücken, die Aufzonung bzw. da oder dort auch um Hofbebauungen – sprich, dass keine zusätzlichen Infrastruktur-Investitionen für die öffentliche Hand erforderlich sind.“
Natürlich wird es auch weiterhin reinen Neubau in Stadtentwicklungsgebieten geben. Denn ohne diese Volumina kann der angesichts des beeindruckenden Bevölkerungswachstums gestiegene Wohnraumbedarf nicht gedeckt werden, so der Bauträger-Berater: „Selbstverständlich kann man nicht in jeder Gasse und auf jedem zweiten Haus noch zusätzliche Kubatur realisieren. Wenn man mit offenen Augen durch die Stadt geht, erkennt man aber an vielen Stellen Potenziale, wo auch die Bewohner des Bestandes durch ergänzende Wohnungen und der damit einhergehenden Urbanisierung durchaus noch profitieren können.“
Selbstverständlich seien alle diese Projekte sensibel zu entwickeln und dabei auch die Interessen der Öffentlichkeit zu berücksichtigen, z.B. durch eine attraktive Erdgeschoss-Zone, Begrünung und sonstige über die Parzelle hinaus wirkende qualitative Verbesserungen.
[caption id="attachment_4121" align="alignleft" width="300"] Michael PiseckyMichael Pisecky, Wiener Fachverbandsobmann der Immobilientreuhänder, will ohnehin keine Abgrenzung: „Nachverdichtung und Neubau sind kein Gegensatzpaar! Nachverdichtung UND Neubau sind nötig, weil wir bis zu 200.000 zusätzliche Wohnungen in Wien bis 2050 brauchen – Nachverdichtung könnte knapp die Hälfte davon bringen.“ Vorteile der Nachverdichtung wären, bestätigt auch Pisecky, dass die Infrastruktur bereits vorhanden sei bzw. deren Nutzung steige: „Dadurch kann die öffentliche Hand in Zeiten knapper Budgets relativ günstig Neuwohnraum schaffen.“
Und noch mehr spreche für Verdichtung: „Durch die kontinuierlich gesunkene und immer noch sinkende Anzahl an Bewohnern pro Haushalt ist auch keine Gefahr der Überbelegung gegeben. Außerdem haben immer mehr – derzeit über 30 Prozent – der Haushalte kein Auto, es besteht also nicht die Gefahr der Verknappung von Parkraum. Nachverdichtung bringt in der Regel hochwertigen Wohnraum in stark nachgefragten Gebieten.“
Potenzial ist für den Fachverbandsobmann genügend vorhanden: „Das Potenzial geht bis 100.000 Wohnungen. Ein DG-Ausbau ‚rechnet‘ sich ab einem Verkaufspreis von 3.500 Euro pro Quadratmeter oder einer frei vereinbarten Miete von 12 Euro pro Quadratmeter.“ Freilich müssen auch die Nachteile in die Rechnung miteinbezogen werden: Etwas höhere Baukosten (denen aber die Ersparnis bei den Infrastrukturkosten und ein höherer Anteil an Beschäftigten im Bau gegenüberstehen) und ein temporärer Nachteil für die bestehenden Bewohner durch Umbauarbeiten. Aber, so Pisecky: „Dafür bekommen sie kostengünstig neu renovierte Häuser.“
Für Architekt Jakob Dunkl von querkraft ist die Nachverdichtung „die mit Abstand sinnvollste Form der Stadterweiterung.“ Dachausbauten müssen unbedingt weiterhin erleichtert und stark gefördert werden, ist er überzeugt und gibt auch die öffentlichen Infrastrukturkosten als stärkstes Argument an. Außerdem müssen keine neuen Flächen versiegelt werden, weil das „Bauland“ unter dem neuen Dachausbau bereits vorhanden und erschlossen ist.
„Alte Häuser erhalten durch Dachausbauten in der Regel neue Steigleitungen, einen Lift, eine Brandrauchentlüftung für das Stiegenhaus, einen neuen Fahrradraum im Erdgeschoss oder vielleicht auch nur eine neue Gegensprechanlage. Die vorhandene Baustruktur wird jedenfalls aufgewertet. Durch die zumeist besser verdienenden Bewohner der Dachgeschoßwohnungen entsteht darüber hinaus eine sehr wünschenswerte soziale Durchmischung im bestehenden Wohngebäude.“ Nicht zu vergessen: „Durch die Dachterrassen mit zahlreichen Grünpflanzen wird das Mikroklima in der Stadt verbessert.“
Natürlich spricht Dunkl auch dem ästhetischen Faktor seinen Wert zu: „Die Lebendigkeit in der architektonischen Gestaltung oberhalb der Traufenkante ist auf jeden Fall den historischen 30 Grad geneigten Ziegeldächern vorzuziehen. Adieu Langeweile! Es lebe die Veränderung!“ Als Potenzial in Wien ortet Dunkl „jede unausgebaute Dachfläche“, und zwar wirklich jede, auch wenn kein Lift möglich ist: „Why not, wenn junge, gesunde Menschen dort einziehen wollen. Am liebsten sogar auf Bauten, die für manche als tabu gelten könnten: Kirchen, Amtsgebäude, Schlösser, Kulturbauten. Es lebe das Leben!“
Bauträger Conrad Bauer von baucon Immobilien setzt auf eine genaue Kalkulation: „Nach der Bauordnungsnovelle soll man zukünftig Dächer, die in der Flächenwidmung ‚G‘, also Gärtnerische Ausgestaltung, stehen, auch ansteilen dürfen. Das galt bisher als Zubau, man durfte aber immer schon im bestehenden Umriss ein Dachgeschoß einbauen. Man wird aber weiterhin alle Unterschriften von allen Miteigentümern benötigen, sowie einen Ingenieurbefund und aufwändige Erdbeben-Nachweise, eine umfangreiche Statik, eine Bauphysik usw.“ Da sich ein Ausbau erst ab 300 Quadratmeter erzielbarer Nutzfläche rechnet, werden nur eine Handvoll Projekte umgesetzt werden, die ausschließlich in „G“ stehen. Von einer Offensive oder spürbaren Erleichterung also keine Rede.
Die Forderung nach Verdichtung steht seit April 2006, dem ersten Merkblatt zum Dachausbau „leicht“, im Raum. Seither heißt es alle paar Monate, dass es bald leichter wird, ein Dachgeschoß auszubauen, weiß Bauer zu berichten. Tatsächlich (er)findet die Baubehörde ständig neue Dinge, um die Bewilligungsverfahren schwieriger zu machen: „Interpretationen über die Berechnung der Gebäudehöhe, der Giebelflächen, der Gaupen-Dimensionen, etc. ändern sich laufend, die Auflagen des Brandschutzes und die Anforderungen an die Barrierefreiheit und Bauphysik sind oft nicht gleichzeitig erfüllbar und nun wird auch die Stellplatzablöse auf 12.000 Euro angehoben.
Wohnungszusammenlegungen bringen auch kein Guthaben mehr, für mich steht der Neubau als Sieger fest.“ Nur sei da die Gestaltungsmöglichkeit aufgrund der Bauordnung stark eingeschränkt, meint Bauer: „Wenn man sich z.B. Visualisierungen vom neuen Stadtgebiet Seestadt Aspern ansieht, schaut das alles zum Verwechseln ähnlich. Form folgt der Fluchtlinie!“
Welches Potenzial hat Wien in Sachen Nachverdichtung? Bauer: „Ziemlich genau jedes fünfte Haus in Wien wurde vor dem ersten Weltkrieg, also in der Gründerzeit, errichtet, das sind rund 35.000 Gebäude. Nimmt man noch die Zwischen- und Nachkriegsbauten dazu, kommt man auf etwa 120.000 Gebäude, das entspricht ca. drei Viertel des Wiener Gebäudebestandes. Davon muss man aber mindestens die Hälfte für Gebäude mit nur ein bis zwei Wohneinheiten abziehen sowie Nicht-Wohngebäude, bleiben wahrscheinlich 40.000 Gebäude über. Bis 2004 wurden in Wien ungefähr 4.000 klassische Dachausbauten errichtet, somit wäre ein Potenzial von über 30.000 Gebäuden gegeben.“
Doch beim Dachausbau gibt es viele Dinge zu berücksichtigen, die dann nur mit großem (finanziellen) Aufwand zu bewerkstelligen sind: Man muss einen barrierefreien Aufzug einbauen. Hat man im Eingangsbereich ein paar Stufen, braucht man einen zusätzlichen Treppenlift. Man muss Garagen schaffen oder in der Nähe sicherstellen, weiß Bauträger Bauer von einigen schiefgegangenen Fällen aus der Praxis: „Etliche Häuser in Donau(kanal)-Nähe wurden auf Holzpfählen gegründet, die sind nun vermorscht und tragen nicht einmal mehr die derzeitige Last des Hauses, geschweige denn die Lasterhöhung durch einen Dachausbau.“
Die Folge: Aufwändige statische Verbesserungen in Wohnungen, die aber meist vermietet sind. Dazu kommt noch der Spießrutenlauf bei den Baubehörden für die Baubewilligung sowie die Ablehnung und Verzögerung durch die Nachbarn, berichtet Bauer: „Wenn dann die Grundrisse nicht gut geschnitten sind, es keine private Terrasse in Wohn-Ebene gibt und zu viele Schrägen, dann wird es eng mit der Rentabilität, selbst wenn man den Rohdachboden schon besitzt.“ Mit derzeit weniger als 100 Entwicklungs-Projekten in Wien sei das Potenzial für interessierte Käufer gut überschaubar – „um es positiv auszudrücken.“