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Die Jugend von heute gibt es nicht

Traditionelle Bindungen verlieren rasant an Bedeutung. Die meisten jungen Menschen definieren sich nicht mehr über politische Weltanschauungen oder soziale Klassen, über Religionszugehörigkeit oder familiäre Traditionen. Sondern über individuelle Wahlakte.
Erwin Soravia

Traditionelle Bindungen verlieren rasant an Bedeutung. Die meisten jungen Menschen definieren sich nicht mehr über politische Weltanschauungen oder soziale Klassen, über Religionszugehörigkeit oder familiäre Traditionen. Sondern über individuelle Wahlakte.

Die Verkommenheit der Jugend von heute ist der Dauerbrenner unter den Stammtischgesprächen. Einmal ist sie zu faul, ein anderes Mal zu strebsam. Sie sei, so hört man, zu aufmüpfig. Oder nicht doch zu angepasst? Sie hat keine Werte – oder die falschen. Sie gebe sich dem narzisstischen Körperkult hin oder hänge den ganzen Tag nur vor dem Computer ab. Sind diese offensichtlichen Widersprüche nun einfach halbgares Klischee, Ausdruck dessen, dass Erwachsene „die Jugend“ einfach nicht verstehen oder ist schlicht jeweils ein Teil des Gegensatzpaares falsch? Tatsächlich ist das eine wie das andere gleichermaßen berechtigt, denn die Jugend gibt es nicht, genauso wenig wie „die Erwachsenen“. Unter jungen Menschen gibt es angepasste und rebellische, fleißige und faule, Sportskanonen und Couchpotatoes. Damit könnte der Artikel enden, alles Wichtige scheint gesagt zu sein. Warum also weitermachen?

Eines gibt es doch, was die heute junge Generation von allen anderen (und diese voneinander) unterscheidet. Das sind die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, unter denen sie aufwachsen und die sie prägen. Der Mensch sozialisiert sich nun mal nicht von selber. Er ist nicht die Summe seiner Anlagen oder individuellen Erfahrungen, sondern mindestens im gleichen Ausmaß ein Produkt der Zeit, in der er lebt und auf die er keinen Einfluss hat. Deswegen ist der Generationenbegriff auch nicht hinfällig, denn jede Generation macht ganz bestimmte Erfahrungen, die andere Generationen nicht kennen. Dass es die Jugend trotzdem nicht gibt, erklärt sich damit, dass nicht alle Jugendlichen gleich auf diese Erfahrungen reagieren. Um ein Beispiel zu nennen: Den Menschen steht es heute offen, wie sie ihr partnerschaftliches Zusammenleben organisieren. Wer mit 30 noch nicht verheiratet ist, wird, anders als das früher der Fall war, deswegen nicht mehr schief angeschaut.

Trend heißt Individualisierung liegt im Trend

Den Begriff der „wilden Ehe“ kennt kein Mensch mehr. Und trotzdem gibt es noch Jugendliche, die heiraten wollen, andere wiederum sind glücklich darüber, dass sie ihre Homosexualität offen leben können.

Sucht man nach einem Gesellschaftstrend, der die heute junge Generation ganz entscheidend prägt, stößt man schnell auf die Individualisierung. Unsere individualisierte Gesellschaft zeichnet sich dadurch aus, dass traditionelle Bindungen rasant an Bedeutung verlieren. Die meisten jungen Menschen definieren sich nicht mehr über politische Weltanschauungen oder soziale Klassen, über Religionszugehörigkeit oder familiäre Traditionen. Sondern über individuelle Wahlakte. Um beim Beispiel von oben zu bleiben: sie heiraten nicht mehr, weil es von ihnen erwartet wird, sondern weil sie es wollen. Bei der Berufswahl sind individuelle Vorlieben entscheidend, nicht der Beruf des Vaters.

Dass Faktoren wie die soziale Herkunft nach wie vor entscheidend sind, wird dabei meist ausgeblendet. Da Traditionen keine Rolle mehr spielen, fehlt auch ein verbindlicher Leitfaden für ein gelungenes Leben. Ich kann mich nicht an den Pfarrer, den Lehrer oder den Parteivorsitzenden wenden, wenn ich einmal nicht mehr weiter weiß, es geht darum, „selbst Verantwortung zu übernehmen“, „motiviert“ und „eigeninitiativ“ zu sein. Die Entscheidungsfreiheit ist mit dem Zwang erkauft, dauernd entscheiden zu müssen. Schlüsselbegriff heißt Selbstverwirklichung

Die macht sich auch in dem Verhältnis der Jugend zur Arbeit bemerkbar. Fragt man Jugendliche, wie sie sich ihren Traumberuf vorstellen, so wird man als erstes hören, dass sie einen Job wollen, der „zu mir“ passt, der also mit individuellen Wünschen, Vorstellungen und Persönlichkeitsmerkmalen kompatibel ist. Besonders wichtig ist, dass man sich mit einem Beruf identifizieren kann. Harte Fakten wie Verdienst oder Karrieremöglichkeiten treten in den Hintergrund und sind deutlich weniger bedeutsam, als das noch in der Elterngeneration der Fall ist. Der Schlüsselbegriff heißt hier Selbstverwirklichung. Das bedeutet zwar, je nach sozialem Milieu, immer etwas anderes.

Wo den einen ein prestigereicher Job wichtig ist, suchen die anderen nach einem mit sozialer Verantwortung. Wo die einen vor allem wollen, dass ihr Job mit viel Freizeit vereinbar ist, wollen andere in dem, was sie tun, aufgehen. Genauso vielfältig und widersprüchlich, wie sich die junge Generation präsentiert, sind auch ihre Anforderungen an den Beruf. Wichtig ist aber, dass monetäre Anreize alleine nicht mehr ziehen, die Anspruchshaltungen sind verhältnismäßig, manchmal sogar unverhältnismäßig hoch.

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Wie lässt sich nun etwas Struktur in dieses unübersichtliche Bild bringen? Im Rahmen einer breit angelegten Untersuchung haben wir vier unterschiedliche Anspruchshaltungen in Bezug auf die Arbeit identifizieren:

Keine konkreten Wünsche und Vorstellungen

Die Orientierungslosen haben gar keine konkreten Wünsche und Vorstellungen hinsichtlich ihrer beruflichen Zukunft. Sie verfügen häufig über keine abgeschlossene Ausbildung, ihnen fehlt es an den Qualifikationen, die am Arbeitsmarkt heute nachgefragt werden. Deswegen sind sie sehr schwer vermittelbar und müssen sich in gering qualifizierten, schlecht bezahlten Jobs durchschlagen. Naturgemäß räumen sie der Arbeit in ihrem Leben auch keine wichtige Bedeutung bei. Man arbeitet, um Geld zu verdienen. Eine Möglichkeit zur Identifikation mit dem Arbeitgeber fehlt. Selbstverwirklichung findet in der Freizeit statt. Diesem Typus gehören knapp 10 Prozent der Jugendlichen an.

Die Nicht-Jetzt-Akteure sind mit rund 40 Prozent die größte Gruppe. Sie stellen sehr hohe Ansprüche an den Beruf, die in der Praxis kaum zu befriedigen sind. Sie möchten sich mit ihrem Job und dem Arbeitgeber identifizieren, ihnen ist ihre Freizeit wichtig und auf guten Verdienst möchten sie auch nicht verzichten. Da jeder konkrete Job an diesen Ansprüchen scheitern muss, sind sie schnell unzufrieden. Regelmäßige Jobwechsel sind an der Tagesordnung, da dieser Typus immer hofft, dass der nächste Job vielleicht mehr mit dem zu tun hat, was sie sich wünschen. Da er aber immer nur die gleichen Enttäuschungen bereithält, entwickelt der Nicht-Jetzt-Akteur häufig eine fatalistische Grundhaltung in Bezug auf das Arbeitsleben.

Die Traditionell-Soliden wollen im Großen und Ganzen so arbeiten, wie ihre Eltern oder Großeltern. Ihnen kommt es vor allem auf Stabilität und Sicherheit an. Sie lehnen den Typus des flexiblen Arbeitskraftunternehmers ab. Idealerweise verbringt man das gesamte Berufsleben bei ein und demselben Arbeitgeber, wo man langsam, aber stetig in der Hierarchie aufsteigt. Wir haben es also mit einer recht loyalen Gruppe zu tun. Ihre Berufsbiographien wollen sie möglichst kontinuierlich gestalten, sie sind auf die Vermeidung von Stress aus und empfinden den zeitgenössischen Arbeitsmarkt als Zumutung. Rund ein Drittel der Jugendlichen lässt sich diesem Typus zuordnen.

Die Eigeninitiativen, die rund 15 Prozent der jungen Population umfassen, haben Vorstellungen, die mit jenen aus zeitgenössischen Karriereratgebern übereinstimmen. Sie sind hochqualifiziert und legen beachtliche Eigeninitiative an den Tag. Ihnen ist Karriere im klassischen Sinne verhältnismäßig wichtig, allerdings geht es ihnen weniger um deren materielle Aspekte, sondern um die Selbstbestätigung, die ihnen daraus erwächst. Da sie sich alles zutrauen und sie auch dazu bereit sind, dem Beruf Opfer zu bringen, ist die Gefahr der Überforderung groß.

Natürlich kommen all diese Typen in ihrer Reinform im echten Leben selten vor. Sie verstehen sich als ein Modell, das die Orientierung erleichtern soll. Wahrscheinlich tragen wir alle Aspekte jedes dieser Typen in uns, beobachten aber auch, dass diejenigen des einen Typus stärker, eines anderen schwächer ausgeprägt sind. Genauso ist es auch bei der Jugend, die es nicht gibt.

Aber das haben wir ja schon festgestellt.