Wie es wird im Handel, kann niemand sagen, der tatsächlich etwas vom Handel versteht. Aber wie es nicht mehr sein wird, das kann man schon sehr sicher sagen. Zum Vergleich: Die Immobilienbranche fliegt nicht mehr, einzelne vielleicht noch, aber die Branche ist am Boden der Tatsachen angelangt. Was soll denn noch passieren, neben der Diskussion vom Negativzins oder Wohnungen in Wien, die 13.000 Euro pro Quadratmeter kosten, wenn sie nicht in Lagen sind, in denen Sie nicht tot über dem Zaun hängen wollen. Wer heute Geld hat, hat echt ein Problem, denn die Immobilienbranche ist in der Zwischenzeit so sexy wie eine Magen-Darm-Grippe. Auch dem Handel fliegt gerade alles um die Ohren und die Handlungsstrategien im Handel, die ich so beobachte, hängen vom Verzweiflungsgrad des Marketingleiters ab und variieren von -20 Prozent Rabatt auf Alles bis -70 Prozent auf Alles. Ich meine damit nicht die Sondersituation, die wir jetzt aufgrund von COVID und den aktuellen Lagerthematiken und Abwertungen haben.
Der Tsunami kommt
Ich weiß nicht, warum so viele Menschen nicht begreifen, dass der stationäre Handel massiven Veränderungen ausgesetzt ist und diese noch nicht mal so richtig eingesetzt haben. Der Tsunami kommt noch. Und wenn ich höre, dass wir doch alle den Kontakt im Handel brauchen und die Menschen und das Einkaufserlebnis, dann ist das viel zu profan und oberflächlich und erinnert mich an die Vereinigung der Stummfilmemacher in den 1920ern, die allen erklärt hatten, dass sich der Ton nicht durchsetzen würde im Kino. Und das zeigt mir, dass der Tsunami kommt und diese Personen am Strand sitzen und nur darüber nachdenken, ob sie den richtigen Sonnenschutzfaktor benutzen.
Problem Leerstand
Der Handel braucht die stationäre Fläche nicht mehr. Auch nicht in den Top-Lagen. Nein, auch eine Mariahilferstraße oder die größten Shopping-Center braucht der Händler nicht mehr unbedingt, und wenn er dort nicht ordentlich Geld verdient, dann schon gar nicht mehr. Wissen Sie, warum der Leerstand nicht schon bei 50 Prozent ist in manchen Centern? Weil die Mieter nicht aus den Verträgen rauskommen. Und neue Verträge werden nicht mehr für länger als fünf Jahre unterschrieben. Manche sehr bedeutende Marken unterschreiben nur mehr – maximal! – für drei Jahre und Umsatzmiete und Betriebskosten. Diese Cashcow Asset-Klasse ist also offiziell keine Cashcow mehr. Amen. COVID hin oder her. Würde ich Handelsimmobilien besitzen, würde ich diese sofort neu rechnen und der Realität in die Augen schauen, denn dann gehöre ich wenigstens nicht zu der Sonnenschutzfaktor Community. Sondern zu denen, die erkannt haben, dass man neue Wege gehen muss. Gute Kapitäne beten nicht für schönes Wetter und jammern nicht, dass das Schiff nicht passt oder die Mannschaft. Gute Kapitäne sehen einen Tsunami kommen und tun alles, um die Mannschaft zu Höchstleistungen zu motivieren und das Schiff sicher in den Hafen zu bringen. Ach ja, und ich kann es nicht oft genug wiederholen: Gute Kapitäne sind nicht männlich oder weiblich, sondern menschlich.