Die Finanzierungsbedingungen auf dem europäischen Immobilienmarkt ändern sich derzeit sehr schnell, nachdem die Europäische Zentralbank (EZB) die Leitzinsen angehoben hat. Wir erleben eine Neuverteilung der Karten, deren Ausmaß derzeit noch schwer abschätzbar ist. Investoren werden den Markt beobachten, bis die allfälligen Preiskorrekturen stattgefunden haben. Gleichzeitig werden sie ihre Akquisitionsstrategien anpassen, um die besten Chancen zu nutzen und weiterhin in Assets zu investieren, die angesichts des Kontextes die höchste Sicherheit bieten, da immer noch genug Liquidität vorhanden ist.
Nachdem die Renditen im zweiten Quartal 2022 überwiegend stabil blieben, kam es durch die Erwartung einer Leitzinserhöhung zu Dekompressionen. Bei den am stärksten nachgefragten Immobilien gab es in geringerem Ausmaß eine Renditekompression. In der ersten Jahreshälfte 2022 wurden auf dem europäischen Immobilienmarkt insgesamt 136 Milliarden Euro investiert – eine Steigerung von 6 % im Jahresvergleich. 40 Milliarden davon entfielen auf Immobilien im Vereinigten Königreich (unverändert im Jahresvergleich). Das Investitionsvolumen in Italien stieg stark an auf sechs Milliarden Euro (+70 %). Auch in Spanien (6 Milliarden Euro, +13 %) und Frankreich (16 Milliarden Euro, +11 %) legte die Investitionssumme zu. Mit einem Anlagevolumen von 23 Milliarden schrumpften die Investitionen auf dem deutschen Immobilienmarkt mit -28 % besonders stark. Auch in den Niederlanden floss mit 6 Milliarden Euro weniger Geld in Immobilien (-12 %).
Nach Anlageklassen betrachtet standen in der ersten Jahreshälfte 2022 Büroimmobilien mit 45 Milliarden Euro an erster Stelle, gefolgt von Wohnimmobilien (33 Milliarden Euro), Logistikimmobilien (31 Milliarden Euro), Einzelhandelsimmobilien (18 Milliarden Euro), Hotelimmobilien (6 Milliarden Euro) und Gesundheitsimmobilien (3 Milliarden Euro).
Büroimmobilien
Der Appetit der Investoren auf Büroimmobilien hielt in der ersten Jahreshälfte 2022 unvermindert an. Das Transaktionsvolumen in Europa summierte sich auf 45 Milliarden Euro (+6 % im Jahresvergleich). Dabei behielten Investoren ihre Vorliebe für das Vereinigte Königreich (13 Milliarden Euro, +52 %). Investitionen in Frankreich hielten Kurs mit nahezu 7 Milliarden Euro (unverändert im Jahresvergleich). In Deutschland hingegen verhielten sich Anleger aufgrund der Wirtschaftsrisiken in Zusammenhang mit der Abhängigkeit des Landes von Gaslieferungen abwartend (7 Milliarden Euro, -44 %). „Bemerkenswert ist, dass am Ende des zweiten Quartals in einigen Core-Märkten und in dezentraleren Sekundärmärkten ein Renditeanstieg zu beobachten war, während es bei der Mehrheit der analysierten Märkte keine Veränderungen von Quartal zu Quartal gab. Das belegt, dass Investoren den Anstieg der Anleihezinsen bereits einpreisen wollten“, erläutert Primonial-Experte Natter. „Im Widerspruch dazu steht, dass es über ein Jahr gesehen in Richtung einer Renditekompression geht, so liegen die Renditen in ausgeprägten Core-Märkten wie Paris, München, Berlin oder Mailand unter 3 Prozent.“ Hintergrund seien die veränderten Rahmenbedingungen durch den Russland-Ukraine-Konflikt.
Die Schaffung neuer Arbeitsplätze in Europa und der Bedarf an modernisierten Büroflächen wirkten sich zugunsten von Anmietungen aus. Bei knapp zwei Drittel der untersuchten Märkte in Europa war der Leerstand rückläufig, während für ein Fünftel des Angebots zwischen dem ersten und zweiten Quartal 2022 die Leerstandsquote anstieg. In zentralen Lagen in Paris, Berlin, München, Wien oder Zürich liegt der Leerstand unter 5 %. „Allerdings wurden dort widersprüchliche Trends verzeichnet: Während sich der Leerstand an den attraktivsten Standorten reduzierte, nahm er in nicht attraktiven Vierteln zu“, räumt Natter ein.
Einzelhandelsimmobilien
Investoren kehrten nach und nach zu Einzelhandelsimmobilien zurück, denn im Zusammenhang mit dem Ende der Pandemie boten sich neue Chancen. Das Investitionsvolumen in Einzelhandelsimmobilien in Europa belief sich im ersten Halbjahr 2022 insgesamt auf über 17 Milliarden Euro (+23 % im Jahresvergleich). Deutschland verzeichnete eine Abschwächung mit einem Engagement von knapp 3 Milliarden Euro (-26 % im Jahresvergleich), gefolgt von Frankreich mit 2 Milliarden Euro (+163 %), Spanien mit 800 Millionen Euro (+56 %) und den Niederlanden mit rund 550 Millionen Euro (-3 %). Die Renditen für Einzelhandelsimmobilien blieben bei der Mehrheit der Märkte zwischen dem ersten Quartal 2022 und dem zweiten Quartal 2022 stabil. Bei einer kleinen Minderheit der Märkte mit hohen Verbraucherströmen kam es zu einer Renditekompression, während in weniger attraktiven Segmenten erneut ein Renditeanstieg zu verzeichnen war. „Die Trends bei den Mieten zeigen einen leichten Anstieg für Ladenlokale im Erdgeschoss und eine stabile Entwicklung bei den Einkaufszentren“, ergänzt Natter.
Wohnimmobilien
Investitionen in Wohnimmobilien in Europa behaupteten ihren zweiten Platz hinter den Büroimmobilien mit einem Volumen von über 33 Milliarden Euro in der ersten Jahreshälfte 2022 (+6 % im Jahresvergleich). In der Eurozone entfielen nahezu 7 Milliarden Euro an Investitionen auf Deutschland (-30 %), gefolgt von Frankreich mit über 4 Milliarden Euro (+23 %), Spanien mit 1,6 Milliarden Euro (+116 %) und den Niederlanden mit 1,5 Milliarden Euro (-28 %). Außerhalb der Eurozone war das Vereinigte Königreich mit Investitionen von mehr als 7 Milliarden Euro (+60 %) am aktivsten, gefolgt von Schweden mit mehr als 4 Milliarden Euro (+231 %) und Dänemark mit mehr als 2,6 Milliarden Euro (-21 % im Jahresvergleich). Die Spitzenrenditen blieben zwischen Ende 2021 und Ende Juni 2022 überwiegend stabil. In der Eurozone verzeichnen Paris, Wien und München mit unter 3 % die niedrigsten Spitzenrenditen. „Obwohl der Risikoaufschlag zwischen Wohnimmobilienrenditen und 10-jährigen Staatsanleihen immer noch zugunsten von Wohnimmobilien spricht, so muss er dennoch im Auge behalten werden“, ordnet Natter ein. „Es ist davon auszugehen, dass rechtliche Bestimmungen oder Regulierungen zur Begrenzung von Mietpreiserhöhungen zwischen zwei Vermietungen auf bestimmten angespannten Märkten für Transparenz bei den Mieten sorgen und allzu starke Erhöhungen korrigieren werden.“ Der europäische Wohnungsbau zeigt Anzeichen einer Erholung. Allerdings gibt es auch einen starken Kostenanstieg. Gleichzeitig sind die Zinssätze trotz der Steigerung immer noch niedrig. Beide Faktoren trugen zum Anstieg der Preise für Wohnimmobilien am Ende des zweiten Quartals 2022 bei.
Gesundheitsimmobilien
„Trotz des großen Interesses der Investoren an Gesundheitsimmobilien auf dem europäischen Markt wurden die Transaktionen in der ersten Jahreshälfte 2022 durch das mangelnde Angebot eingeschränkt“, resümiert Primonial-Reserach-Head Natter. Das Investitionsvolumen für Seniorenresidenzen und Pflegeheime belief sich in Europa insgesamt auf über 3 Milliarden Euro, ein Rückgang gegenüber dem Vorjahr. In Europa konzentrierten sich die Kapitalzuflüsse auf Deutschland, wo in der ersten Jahreshälfte 2022 eine Milliarde Euro investiert wurde, gefolgt vom Vereinigten Königreich mit knapp 700 Millionen Euro, Schweden mit 350 Millionen Euro, Frankreich mit rund 300 Millionen Euro und den Niederlanden mit etwas mehr als 200 Millionen Euro. Bei den Spitzenrenditen für Gesundheitsimmobilien, das heißt für Immobilien, die in einem dicht besiedelten Stadtgebiet liegen und den Erwartungen der Käufer auf der ganzen Linie entsprechen, wurde über ein Jahr eine Renditekompression verzeichnet. „In der ersten Jahreshälfte 2022 stieg das demografische Potenzial für die Nachfrage nach neuen Gesundheitsimmobilien in den wichtigsten europäischen Ländern weiter an. Die Entwicklung des Angebots an Gesundheitsimmobilien muss mit dieser Entwicklung Schritt halten, während gleichzeitig die Renovierung des veralteten Bestands sichergestellt werden muss“, so Natter.
Hotelimmobilien
„Der Hotelsektor gewinnt wieder an Attraktivität für Investoren. Wenn der Krieg in der Ukraine die Investoren etwas zurückhaltender agieren ließ, so galt dies nicht für Touristen“, beobachtet Primonial-Spezialist Natter. Der Markt für Hotelimmobilien belief sich am Ende der ersten Jahreshälfte 2022 auf mehr als 6 Milliarden Euro und blieb damit im Jahresvergleich stabil. In Europa konzentrierte sich das Kapital auf das Vereinigte Königreich mit Investitionen von mehr als 2 Milliarden Euro, gefolgt von Spanien mit etwas mehr als einer Milliarde Euro, Frankreich mit knapp einer Milliarde Euro und Deutschland mit 500 Millionen Euro. „Der Hotelsektor zeichnete sich durch eine allgemeine Stabilität seiner Spitzenrenditen auf allen europäischen Märkten zwischen dem erstenund dem zweiten Quartal 2022 aus. Über ein Jahr betrachtet zeigt der Trend, gestützt auf die schrittweise Überwindung der Covid-Krise, in Richtung einer Renditekompression zwischen 50 und 75 Basispunkten“, so Natter. Die Anzahl der in Europa bis zum Ende des ersten Halbjahres 2022 verkauften oder vermieteten Hotelzimmer stieg nach der Lockerung der Gesundheitsbeschränkungen sehr schnell an (+124 % im Jahresvergleich). Es gab somit einen positiven Basiseffekt zugunsten der ersten sechs Monate des Jahres 2022 im Vergleich zu den Beschränkungen, die 2021 im selben Zeitraum bestanden. Allerdings trug der Krieg in der Ukraine zu einem inflationären Kostendruck bei.