Alle Welt braucht Ressourcen: Wir müssen Produkte herstellen, Energie gewinnen, den Wohlstand wachsen lassen. (Wirtschafts)wachstum ist das erklärte Ziel aller Staaten. Aber Ressourcen sind – wie so vieles – begrenzt. Ein Phänomen, das spätestens 1972 bekannt wurde, als das Wirtschaftsforscher-Paar Donella und Dennis Meadows für den Club of Rome „Die Grenzen des Wachstums“ in einer umfassenden Studie aufzeigte. Alternativen müssen her, vor allem in der Rohstoffgewinnung. Denn offensichtlich liegt viel brach, wie TU Wien-Assistenzprofessor Johann Fellner meint. Der Mitarbeiter am Institut für Wassergüte, Ressourcenmanagement und Abfallwirtschaft beschäftigt sich schon seit geraumer Zeit mit zwei neuen bzw. alten Quellen in diesem Zusammenhang: „Urban Mining“ und „Landfill Mining“. Wege, die es erlauben, bereits verwendete Ressourcen wieder zu verwenden.
Beim Urban Mining gilt die Stadt als Mine. Rohstoffe werden aus abgerissenen Gebäuden oder überflüssigen (nicht mehr benötigten) Produkten gewonnen. „Die norwegische Stadt Norrköping beherbergt beispielsweise allein 560 Tonnen Kupfer, verbaut in stillgelegten Leitungen unter der Stadt“, erzählt Fellner. Urban Mining sucht Wege, diese Ressourcen rückzugewinnen. Beim Landfill Mining konzentriert sich der Ressourcenabbau auf Mülldeponien, wo also jene Stoffe gelagert werden, die in der Vergangenheit aufgrund technologischer oder ökonomischer Rahmenbedingungen als nicht rückgewinnbar eingestuft wurden.
[caption id="attachment_804" align="alignleft" width="300"] (c) Fotolia[/caption]So vielversprechend das Konzept klingen mag, der Weg dorthin ist nicht so leicht, räumt Fellner ein: „Gerade beim Urban Mining übersteigen die Kosten der Rückgewinnung oft den Marktwert der Rohstoffe um ein Vielfaches.“ Und wirklich nachhaltig sei auch dieses Konzept nicht – denn es verschiebt das Problem der endlichen Ressourcen nur, anstatt es zu lösen. Aber, so der Experte: „Wenn man nicht ohne steigenden Ressourcenverbrauch wachsen kann, ist es umso wichtiger zu wissen, woher diese Ressourcen kommen und dass diese schonend gewonnen werden.“ Fellner präsentierte in einem Vortrag zum Thema „Wo lagern die Ressourcen der Zukunft?“ mögliche Rohstoffquellen der Zukunft, die neben der Erschließung außereuropäischer Rohstoffe eine Förderung der Versorgung aus EU-internen Quellen ermöglichen. Ein effizienterer Umgang mit Ressourcen und insbesondere ein verstärktes Recycling seien dabei unabdingbar, so Fellner. Ressourcenpotenzial ist dabei vorhanden, auch in Österreich, erläutert der TU-Wissenschafter Fellner anhand von Beispielen.
So haben Untersuchungen des Materialumsatzes hoch entwickelter Volkswirtschaften gezeigt, dass Bauwerke den größten Bestand an materiellen Ressourcen (z.B. Stahl, Aluminium, Holz, Kunststoffe, Kupfer) in der Anthroposphäre darstellen. Dieses Materiallager wächst (derzeit um ca. drei Prozent pro Jahr) und gewinnt als Rohstoffquelle mehr und mehr an Bedeutung.
Insgesamt beträgt das Pro-Kopf-Lager über 400 Tonnen an materiellen Ressourcen, die zukünftig im Fall der Renovierung oder Erneuerung von Bauwerken oder Infrastruktureinrichtungen als potenzielle Sekundärressourcen zur Verfügung stehen, erklärt Fellner. Global gesehen erreicht oder übersteigt die in unseren Städten und Siedlungen verbaute Rohstoffmenge für einzelne Metalle bereits jene Menge, die sich in Form von abbauwürdigen Erzen noch in der Erdkruste befindet (etwa Kupfer oder Zink). Fellner: „Demzufolge ist das Rohstoffpotenzial für Urban Mining von signifikanter Bedeutung und wird aufgrund der Tatsache, dass unsere urbanen Lager, also unsere Städte, weiter wachsen, zunehmend wichtiger werden.“
Dieses bestehende Wachstum des urbanen Lagers führt allerdings auch vor Augen, dass durch die Gewinnung von Rohstoffen aus dem bestehenden Lager nur ein Teil des zukünftigen Ressourcenverbrauchs gedeckt werden kann, da dieser höher ist als der Ressourcenverbrauch in der Vergangenheit. Des Weiteren ist im Hinblick auf Urban Mining zu berücksichtigen, dass potenzielle Sekundärrohstoffe erst am Ende der Nutzungsdauer von Gebäuden (mit dem Abbruch) zur Verfügung stehen, sieht Ressourcenexperte Fellner hier Grenzen: „Nur vereinzelt (z.B. abgeklemmte Leitungen) kann unmittelbar auf die Rohstoffe zurückgegriffen werden.“ Das heißt, die zeitliche Komponente spielt bei Urban Mining Aktivitäten eine zentrale Rolle. Die Zeit ist auch von Bedeutung hinsichtlich des Aufwandes zur Rückgewinnung von Rohstoffen. Während in der Vergangenheit Bauwerke oder Konsumgüter zumeist aus einer überschaubaren Anzahl an unterschiedlichen Rohstoffen errichtet bzw. produziert wurden, hat sich die Komplexität in den letzten Jahrzehnten deutlich erhöht.
Dies, erläutert Fellner, führe zwangsläufig auch dazu, dass sich der Aufwand für die Rückgewinnung von Rohstoffen zukünftig deutlich erhöhen werde. So ist beispielsweise bereits jetzt zu beobachten, dass der maschinelle Aufwand und damit auch die Kosten für den Abbruch und das Recycling von jüngeren Gebäuden deutlich höher sind, als jene bei Gebäuden, die vor über 100 Jahren errichtet wurden. Nicht zuletzt müsse auch erwähnt werden, meint Fellner, dass bestehende Technologien es nur bedingt erlauben, Rohstoffe (z.B. Kupfer aus abgeklemmten Erdleitungen) gewinnbringend aus dem urbanen Lager zu gewinnen: „Hier bedarf es in der Zukunft jedenfalls technologischer Innovationen.“
Im Gegensatz zum urbanen Lager (potenzielle Quelle für Urban Mining) stehen jene Rohstoffe, die sich in Deponien befinden, theoretisch unmittelbar zur Verfügung, da sie nicht mehr genutzt werden, betont Ressourcenexperte Fellner zunächst das Positive. Die Menge der Rohstoffe auf Deponien ist allerdings deutlich geringer als jene in unseren Städten, errechnete Fellner: Untersuchungen an einzelnen Deponien und Hochrechnungen für alle in Österreich in der Vergangenheit deponierten Abfälle zeigen, dass für viele Rohstoffe zumeist deutlich weniger als zehn Prozent aller anthropogenen Ressourcen auf Deponien zu finden sind. Während das gesamte österreichische Pro-Kopf-Lager an Kupfer (Cu) bei etwa 300 kg liegt, lagern auf Deponien nur rund 20 kg, d.h. weniger als sieben Prozent. Ein ähnliches Bild zeigt sich für Aluminium und Eisen. Das erzeugt nicht unbedingt Euphorie. Und es geht weiter: Selbst unter der Annahme, dass alle Rohstoffe auf Deponien zu 100 Prozent rückgewinnbar sind, lässt sich damit (beispielsweise für Metalle) der österreichische Verbrauch nur für ein oder maximal zwei Jahre decken, rechnet TU-Wissenschafter Fellner vor.
Eine Ausnahme dabei stellt der Nährstoff Phosphor dar: Insgesamt lagern auf österreichischen Deponien rund 300.000 Tonnen Phosphor. Dies entspricht dem durchschnittlichen Phosphor-Import Österreichs über einen Zeitraum von nahezu 20 Jahren. Fellner: „Bei detaillierter Betrachtung zeigt sich allerdings, dass der überwiegende Teil des Phosphors in einer Form deponiert wurde, die auch zukünftig selbst bei sehr stark steigenden Rohstoffpreisen eine Rückgewinnung wirtschaftlich unmöglich macht.“ In näherer Zukunft erscheint lediglich jener Phosphor, der auf Aschedeponien (70.000 Tonnen) lagert (Rückgewinnungskosten um Faktor 4 bis 5 über dem aktuellen Weltmarktpreis), einer Rückgewinnung potenziell zugänglich, ringt Fellner Landfill Mining doch noch etwas an konkreten Zukunftsaussichten ab. Denn Beispiele aus der Vergangenheit zeigen, was alles möglich ist.
So wurden beispielsweise in den 70er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts große Mengen an Germanium aus deponierten Galvanikschlämmen der Zink- und Bleiverhüttung gewonnen. Österreich war durch dieses Landfill Mining Projekt, das in der Vergangenheit in Kärnten im Umfeld von Bleiberg durchgeführt wurde, unter den fünf bedeutendsten Germaniumherstellern weltweit. Der Wert des rückgewonnenen Germaniums lag bei knapp 200 Millionen Euro.
Wissenschaftler Fellner will dennoch an den Konzepten zur „Städtischen Mine“ festhalten. Denn: „Trotz zu bewältigender Herausforderungen – z.B. hinsichtlich Technologien – stellen Urban Mining und Landfill Mining Konzepte dar, die für sich zwar alleine klarerweise nicht unseren Rohstoffbedarf decken, allerdings dazu beitragen können, unsere Abhängigkeit von geogenen Lagerstätten und damit von Rohstoffimporten zu reduzieren.“ Außerdem, hält Fellner fest, seien diese beiden Konzepte nicht nur aus der Ressourcenperspektive, sondern auch aus Umweltsicht für eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung zwingend erforderlich: „Schließlich stellt vor allem die Kapazität der Geo-, Hydro- und Atmosphäre für die Aufnahme anthropogener Reststoffe eine zunehmend sichtbarer werdende Begrenzung für den Materialumsatz unserer Volkswirtschaften dar – sprich: CO2-Anreicherung in der Atmosphäre und damit verbundener Klimawandel.“
Wird also Ökologie gegen Ökonomie oft ausgespielt?
Fellner: „In vielen Bereichen wird Urban Mining oder Landfill Mining sehr stark von Umweltaspekten getrieben. Das heißt, Deponierückbau oder Wertstoffgewinnung aus Abfällen erfolgt primär aufgrund des Umweltschutzes oder zu vermeidender Deponierungskosten und erst sekundär aufgrund des Rohstoffwertes.“
Ausnahme dazu bildet vielleicht das Recycling von Elektronikschrott, so Fellner weiter, das zwar auch aufgrund des Umweltschutzes notwendig ist, allerdings ist es da auch aufgrund des Wertstoffgehaltes ökonomisch sinnvoll.Bei Landfill Mining sieht Rohstoffexperte Fellner die Wettbewerbsfähigkeit „zumeist noch deutlich geringer“. Aus Rohstoffsicht werde es seiner Meinung nach auch in den nächsten Jahrzehnten nicht wirtschaftlich werden, Materialien aus Deponien (alten Hausmülldeponien) rückzugewinnen, „außer die Umwelt ist gefährdet und man muss ohnehin Maßnahmen setzen.“
Etwas anders könnte die Geschichte bei Deponien sein, auf denen Industrieabfälle abgelagert wurden: „Dazu gibt es auch Beispiele aus der Vergangenheit, aber auch Gegenwart, wo Landfill Mining wirtschaftlich attraktiv war, wie beim Beispiel Germaniumproduktion im Kärntner Bleiberg. Oder die Firma Baumit, die als Inputmaterial für ihr Zementwerk in Wopfing beispielsweise Ablagerungen, die während des Kohleabbaus in Grünbach am Schneeberg angelegt wurden, verwendet. Kohle, die zu großen Teilen mit Ton vermischt ist, wurde damals deponiert und wird nun ausgegraben und in geringen Mengen als Rohstoff für die Zementproduktion verwendet.“ Welche Branchen oder Firmen könnten von Urban Mining oder Landfill Mining profitieren? Fellner: „Abfallwirtschaftsfirmen, Firmen, die Aufbereitungstechnologien entwickeln, aber auch Inhaber der Ressourcen bzw. zukünftiger Abfälle könnten profitieren. So kann es wohl für Netzbetreiber interessant sein zu wissen, wie alte, nicht mehr in Betrieb befindliche Leitungen ausgebaut werden können.“