Die EU-Entwaldungsverordnung, die ab 1. Jänner 2025 gelten sollte und laut Plänen der EU-Kommission nun aber verschoben werden soll, sehen Forschende als wichtig und ihre zügige Umsetzung als "wünschenswert", um die durch Forst- und Landwirtschaftsaktivitäten entstandene Entwaldung und Degradierung der Wälder einzugrenzen. Ökologisch sei eine Verschiebung nicht vertretbar, so Waldökologe Georg Gratzer zur APA. Politologin Daniela Kleinschmit ortet Risiken, aber auch Chancen.
Die EU-Entwaldungsverordnung soll verhindern, dass Produkte (z.B. Holz und Soja) auf den europäischen Markt kommen, für deren Herstellung es zu Entwaldung kam - also eine Waldfläche dauerhaft in Agrarfläche umgewandelt wurde. "Mit der Eingrenzung der Entwaldung soll durch die Vermeidung von CO2 und durch die erhaltene Senkenfunktion der Wälder dem Klimawandel entgegnet werden", sagte Kleinschmit, Präsidentin der "International Union of Forest Research Organizations" (IUFRO), ein in Wien ansässiger Forschungsverbund, zur APA. Gleichzeitig werde der Erhalt der Wälder zu einer Stärkung der Biodiversität in den Produktionsländern beitragen. Man gehe zudem davon aus, dass "negative Effekte der Entwaldung auf die Existenz der waldnahen und direkt waldabhängigen - teilweise besonders vulnerablen - Gesellschaften eingegrenzt werden können", so die Professorin für Forst- und Umweltpolitik der Uni Freiburg. Insgesamt verspreche man sich, dass produzierende Länder durch die Initiative "langfristig nachhaltiger und resilienter wirtschaften".
Dass die Europäische Entwaldungsregulierung (EUDR), anders als vorangegangene Instrumente, "die Lösung nicht allein in der Waldpolitik sieht, sondern die landwirtschaftliche Produktion - als ein Hauptverursacher der Entwaldung - in das Instrument einbezieht, ist nachvollziehbar und konsequent", meinte Kleinschmit. Der Prozess der Politikformulierung stehe dagegen u.a. "insbesondere in der Kritik von internationalen Handelspartnern, die sich wenig oder überhaupt nicht einbezogen fühlen".
Die EU-Kommission brachte eine zusätzliche Übergangsfrist von zwölf Monaten ins Spiel, um laut eigener Aussage eine "ordnungsgemäße und wirksame Umsetzung" zu gewährleisten. Entwaldung, Konsequenzen des Klimawandels und der Verlust der Biodiversität erforderten aber dringende Lösungen, so die IUFRO-Präsidentin: "Konsequenzen sind bereits jetzt deutlich spürbar und betreffen insbesondere die besonders vulnerablen Gesellschaften. Aus diesem Grund ist schnelles Handeln gefordert und ein Aufschub zu vermeiden." Aber: "Wenn eine zeitliche Verzögerung dazu führen kann, Unsicherheiten bei der Umsetzung durch klare Handreichungen zu reduzieren, kann die zeitliche Verschiebung zu einer anschließenden zügigen und umfassenden Umsetzung beitragen." Gleichzeitig ergebe sich aber ein Risiko, "dass einige Akteure die zeitliche Verschiebung der Umsetzung nutzen, um die Initiative als Ganzes in Frage zu stellen". Wie damit von Europaparlament und EU-Kommission in der neuen Zusammensetzung umgegangen werde, bleibe abzuwarten.
Georg Gratzer vom Institut für Waldökologie der Universität für Bodenkultur (Boku) Wien sieht in der Verordnung jedenfalls einen "notwendigen Schritt". Eine Verschiebung würde er bedauern: Laut FAO-Schätzung werden pro Jahr zehn Mio. Hektar Wald global entwaldet und in andere Landnutzungen überführt - eine Umsetzung der EUDR würde hier zumindest einen Teil abfangen. Aus ökologischer Sicht sei eine Verschiebung nicht vertretbar.
In der Bundesregierung gingen die Meinungen der beiden Koalitionspartner ÖVP und Grüne mit Bezug auf die EU-Entwaldungsverordnung auseinander. Die Bedenken gegen eine zeitgerechte Umsetzung der Verordnung, die Agrarminister Norbert Totschnig (ÖVP) teilt und die sich mitunter auch gegen den Vorbereitungsstand richten, aber bisweilen auch Ängste vor Überregulierung und unnötiger Auflagen betreffen, kann Gratzer in forstwirtschaftlicher Hinsicht nicht nachvollziehen: Die von der Verordnung eingeforderte Sorgfaltserklärung inklusive der Bereitstellung von Geodaten, die den Ursprung der Holzprodukte nachweisen, sei machbar: "Es sollte für Waldbesitzerinnen und Waldbesitzer und mit der heute bereitgestellten Technologie keine Schwierigkeiten darstellen, dem nachzukommen", so der Forscher. Selbst Forstbehörden würden heute schon die Koordinaten einzelner Bäume, für deren Erhaltung Förderungen bezahlt werden, erheben. Zudem werde Österreich in der Regelung wohl auch als "low risk"-Land eingestuft und damit im Vergleich zu anderen Ländern weniger gefordert sein.
Gratzer weist aber auch auf indirekte Entwaldungseffekte hin, die in der Entwaldungsverordnung nicht erfasst werden: So stammt z.B. ein großer Teil des Sojas aus dem Cerrado in Brasilien, das als Baumsavanne nicht von der Entwaldungsverordnung geschützt wird. "Eine Umwandlung dieser artenreichen Baumsavannen in Sojafelder bewirkt eine Verdrängung der Viehzüchter in den Amazonas und eine Entwaldung in diesen Gebieten", meinte Gratzer.
Anke Schaffartzik, Sozialökologin von der Central European University in Wien, sagte zur APA: "Ich würde die Waldverordnung nicht als 'bürokratisches' Tool verstehen, als dass sie momentan teilweise diskutiert wird, sondern als Grundlage für eine zeitgerechte, moderne Form der 'Buchhaltung'." Kein - im Kapitalismus erfolgreicher - Betrieb würde monetär gesehen einfach einen Teil der Wertschöpfungskette ausklammern oder ignorieren, "wenn es aber um die Umwelt- und Sozialfolgen von Produktion geht, wird genau das getan".
Klima- und Umweltschutz im Allgemeinen und das Verhindern von Entwaldung im Besonderen sei jedenfalls eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und zumindest Aufgabe all derer, die die entwaldeten Flächen für ihre Produktion nutzen: "Wer die Folgen von Sturm Boris in Europa erlebt oder gesehen hat, versteht wie wichtig der Wald auch für den Hochwasserschutz ist: in vielen Gegenden sind Wasser, Erde, Baumstämme über entwaldete Hänge in die Täler geschossen. Wir müssen ein Auge auf Entwaldung haben und können schwer argumentieren, dass wir es nicht tun, weil es mühsam ist."
"Natürlich stellt die Wald-Verordnung eine zusätzliche Mühe dar", so die Forscherin: "Aber dann geht es vielleicht eher darum, schnell entsprechende Unterstützung für die Umsetzung der Verordnung sicherzustellen, als sie zu verzögern." Die Forscherin hält "die Rhetorik, mit der eine zügige Umsetzung verhindert wird, für schädlicher als eine leichte Verzögerung, wenn es denn bei einer leichten Verzögerung bliebe". Nachdem das niemand garantieren könne und man dringend - und international - Maßnahmen für die Transparenz von Lieferketten umsetzen müsse, "wäre eine zügige Umsetzung wünschenswert".
Wenn das Europäische Parlament und der Rat (der Mitgliedstaaten, Anm.) der Kommission folgen, würde das Gesetz für große Unternehmen erst am 30. Dezember 2025 und für Kleinst- und Kleinunternehmen am 30. Juni 2026 in Kraft treten. Mehrere globale Partner hätten drei Monate vor dem ursprünglich für kommenden Jahreswechsel geplanten Umsetzungstermin wiederholt Bedenken hinsichtlich ihres Vorbereitungsstands geäußert, begründet die Kommission ihre Entscheidung in einer Aussendung. Die verlängerte Frist stelle "in keiner Weise die Ziele oder den Inhalt des Gesetzes in Frage". (apa)