Der Rechtsstreit rund um das projektierte Heumarkt-Hochhaus von Michael Tojners Wertinvest ist um eine Facette reicher. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) kam in seinem heute Donnerstag veröffentlichten Urteil zu dem Schluss, dass die Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung bei einem Städtebauprojekt nicht ausschließlich von dessen Größe abhängen darf. Wenn ein EU-Staat Schwellenwerte festlegt, seien andere Aspekte wie der Standort zu berücksichtigen.
Befinde sich das Projekt - wie das beim Heumarkt-Hochhaus der Fall sei - im Kerngebiet einer UNESCO-Welterbestätte, sei das Kriterium Standort besonders relevant, so die Luxemburger Richter. Laut österreichischem Recht muss eine Umweltverträglichkeitsprüfung für Städtebauprojekte ab einer Fläche von mindestens 15 Hektar und einer Bruttogeschossfläche von mehr als 150.000 Quadratmeter durchgeführt werden. Das Heumarkt-Projekt liegt mit 1,55 Hektar bzw. 89.000 Quadratmeter unter den Schwellenwerten.
Die rechtliche Angelegenheit rund um die umstrittene Heumarkt-Bebauung, wegen der die Wiener Innenstadt nach wie vor auf der Roten Liste der gefährdeten UNESCO-Welterbestätten aufscheint, ist äußerst kompliziert. Die juristischen Streitigkeiten befassten in den vergangenen Jahren u.a. bereits das Bundesverwaltungsgericht, den Verfassungsgerichtshof und den Verwaltungsgerichtshof.
Zuletzt wandte sich das österreichische Verwaltungsgericht mit der Frage, ob die österreichische Regel EU-konform ist, an den EuGH. Dieser betonte in seinem Urteil, Unionsrecht stehe gegen zu hohe Schwellenwerte, die in der Praxis alle oder nahezu alle Projekte einer bestimmten Art von vornherein der Pflicht zu Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung entziehen würden.
Die Umweltorganisation "Alliance for Nature", die für eine UVP-Pflicht für das Heumarkt-Projekt kämpft, interpretiert das EuGH-Urteil als Erfolg. "Zukünftig müssen in Österreich nicht nur Stadtteile, sondern auch einzelne Bauprojekte, die ihrem Wesen nach 'städtisch' sind, einer Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) unterzogen werden, dies bevor andere Genehmigungen - darunter insb. Baubewilligung - erteilt werden", hielt Piotr Pyka, Anwalt der NGO, in einer Aussendung fest. "Die Baubewilligung für das umstrittene Projekt am Heumarkt, für das bislang keine UVP durchgeführt wurde, rückt daher in weite Ferne", lautet die Schlussfolgerung des Juristen. Für das Projekt müsse nämlich zunächst eine Einzelfallprüfung zur Beurteilung der UVP-Pflicht durchgeführt werden.
"Dass bei Bauprojekten nicht nur die technische Sicherheit oder die Flächenwidmung, sondern auch deren Auswirkungen auf die Umwelt, zu der auch das Weltkulturerbe gehört, mitberücksichtigt werden müssen, galt bislang in Österreich nur für die Errichtung neuer Stadtteile, nicht aber für einzelne Gebäude als 'Städtebauprojekte'", führte Pyka aus. Er wird sich außerdem gemeinsam mit "Alliance for Nature"-Generalsekretär Christian Schuhböck in einer Pressekonferenz am morgigen Freitag zum EuGH-Urteil äußern.
Seitens des Projektbetreibers Wertinvest gab es am Donnerstag ein lediglich kurzes schriftliches Statement. "Nach dem EuGH-Urteil liegt die weitere Entscheidung zum Projekt nun beim Wiener Landesverwaltungsgericht", hielt Geschäftsführerin Daniela Enzi gegenüber der APA fest: "Wir arbeiten aber bereits seit 2021 in enger Abstimmung mit der Stadt Wien und den verantwortlichen Ministerien an einem adaptierten, redimensionierten Projekt 'Heumarkt Neu'."
Elisabeth Olischar, Planungssprecherin der Wiener ÖVP, sieht nun die Stadtregierung am Zug. "Der Ball liegt nun wieder bei der Stadt Wien, die jetzt offenlegen muss, wie es weitergehen soll", meinte sie in einer Aussendung. Es stellten sich zahlreiche Fragen: "So ist bis heute nicht bekannt, wie die aktuelle Projektversion mit der ominösen 'Wohnscheibe' aussieht. Das ist bei einem Vorhaben mit dieser Tragweite untragbar", kritisierte die Oppositionspolitikerin. Eine Welterbe-konforme Lösung in der Heumarkt-Causa sei mehr als überfällig.
Hinweis: Im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens können die Gerichte der Mitgliedstaaten in einem bei ihnen anhängigen Rechtsstreit dem Gerichtshof Fragen nach der Auslegung des Unionsrechts oder nach der Gültigkeit einer Handlung der Union vorlegen. Der Gerichtshof entscheidet nicht über den nationalen Rechtsstreit.
Es ist Sache des nationalen Gerichts, über die Rechtssache im Einklang mit der Entscheidung des Gerichtshofs zu entscheiden. Diese Entscheidung des Gerichtshofs bindet in gleicher Weise andere nationale Gerichte, die mit einem ähnlichen Problem befasst werden.
Damit liegt der Ball nun wieder beim Wiener Landesverwaltungsgericht. (apa/red)