Ein Drittel der österreichischen Betriebe verliert Umsätze wegen fehlender Mitarbeiter:innen, unbesetzte Stellen sind in jedem zweiten Unternehmen ein Problem. Besonders Unternehmen in Kärnten und Burgenland haben die große Probleme bei der Rekrutierung von Fachkräften – Vorarlberg die geringsten.
Der Mittelstand als Motor der österreichischen Wirtschaft ist bekannt für seine Anpassungsfähigkeit und Innovationskraft. Doch die strukturellen Veränderungen am Arbeitsmarkt stellen insbesondere kleine und mittelgroße Unternehmen vor massive Herausforderungen. Für 67 Prozent der Mittelstandsunternehmen stellt der Fachkräftemangel auch weiterhin das größte Wachstumsrisiko dar – im Vergleich zu Jahresbeginn keine Veränderung (66 %). Neben dem Fachkräftemangel gelten die potenzielle Rezession (65 %), hohe Energiepreise (61 %) und die Inflation (62 %) als weitere zentrale Risiken.
Aktuell geben 71 Prozent der befragten Unternehmen an, dass es ihnen schwerfällt, neue und ausreichend qualifizierte Mitarbeitende zu finden. Damit hat sich die Situation gegenüber dem Jahresbeginn 2024, als noch 82 Prozent die Rekrutierung als schwierig bezeichneten, zumindest leicht entspannt. Besonders problematisch bleibt die Lage jedoch in spezifischen Sektoren wie dem Immobilien- und Baugewerbe, wo 36 Prozent der Unternehmen die Fachkräfterekrutierung als „sehr schwer“ einstufen. Im Tourismusbereich melden 30 Prozent der Betriebe eine „sehr schwierige“ Situation, während der Gesundheits- und Life-Science-Sektor mit 15 Prozent vergleichsweise am wenigsten betroffen ist.
Regionale Unterschiede: Ost-West-Gefälle
Ein genauer Blick auf die Bundesländer zeigt, dass der Fachkräftemangel regional unterschiedlich ausgeprägt ist. Besonders stark betroffen sind die Unternehmen in Kärnten, wo 42 Prozent die Situation als „sehr schwierig“ bewerten. Ähnlich prekär stellt sich die Lage im Burgenland dar, wo 38 Prozent der Unternehmen mit erheblichen Schwierigkeiten bei der Rekrutierung kämpfen, in Salzburg berichten 35 Prozent von einer ähnlich angespannten Situation. Im Gegensatz dazu zeigt sich Vorarlberg weniger betroffen: Hier bewerten lediglich 18 Prozent der Betriebe die Rekrutierung als „sehr schwierig“.
Als wichtigsten Grund für den Fachkräftemangel in österreichischen Unternehmen machen die befragten Betriebe die mangelnde Bereitschaft unter Bewerber:innen bzw. Arbeitskräften aus, in Vollzeit zu arbeiten (61 %). Zweitwichtigster Grund ist aus Sicht der Betriebe der demografische Wandel bzw. die Alterung der Bevölkerung (39 %). Auch die mangelnde Ausbildung und Qualifikation der Bewerber:innen ist nach Angaben der Unternehmen ein Grund für den Fachkräftemangel (36 %). Nur rund jeder vierte Betrieb (24 %) prangert die unzureichende Unterstützung seitens der Regierung an – zu Jahresbeginn lag dieser Anteil noch bei 31 Prozent.
Der Ausblick auf die kommenden Jahre bleibt düster: 84 Prozent der Unternehmen gehen davon aus, dass sich der Fachkräftemangel weiter verschärfen wird. Besonders pessimistisch sind der Gesundheits- und Life-Science-Sektor (94 %) sowie kleinere Unternehmen, die bereits heute mit Ressourcenproblemen zu kämpfen haben (90 %). Nur eine verschwindend geringe Minderheit von zwei Prozent erwartet keine Verschärfung der Lage.
„Der Fachkräftemangel ist ein strukturelles Problem, das nicht von heute auf morgen gelöst werden kann. Besonders kleinere Unternehmen sind in diesem intensiven Wettbewerb um Talente stark gefordert, da sie häufig weniger Ressourcen für komplexe Rekrutierungsprozesse haben. Der Druck steigt, neue Strategien zur Gewinnung und Bindung von Fachkräften zu entwickeln, um wettbewerbsfähig zu bleiben.“—Erich Lehner, Partner und Mittelstandsexperte bei EY Österreich
Das sind Ergebnisse der Studie „Beschäftigung und Fachkräftemangel in Österreich“ der Prüfungs- und Beratungsorganisation EY. Dafür wurden österreichweit rund 500 Verantwortliche von mittelständischen Unternehmen mit 30 bis 2.000 Mitarbeiter:innen befragt.
Beschäftigungslage bleibt angespannt
Laut der aktuellen Erhebung planen 23 Prozent der Unternehmen in Österreich in den kommenden Monaten neue Mitarbeitende einzustellen. Dieser Anteil liegt etwas höher als in den Befragungen der letzten zwei Jahre, in denen jeweils 21 Prozent Neueinstellungen anstrebten. Gleichzeitig bleibt der Anteil der Betriebe, die Stellen abbauen wollen, mit 18 Prozent aber auf dem hohen Niveau vom Jahresbeginn 2024. Noch höher lag dieser Anteil nur zu Jahresbeginn 2009, auf dem Höhepunkt der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise.
Unterm Strich zeigt die Studie eine verhaltene Beschäftigungsdynamik im Mittelstand: Im Durchschnitt planen die befragten Unternehmen, ihre Belegschaft in den kommenden sechs Monaten um 3,5 Prozent zu reduzieren. Das bedeutet eine der schwächsten Entwicklungen der letzten Jahre. Besonders hervorzuheben ist der regionale Vergleich: Während die Beschäftigungsprognose in Wien mit 32 Prozent an der Spitze liegt, sind es im Burgenland lediglich 14 Prozent der Unternehmen, die Neueinstellungen planen.
Die hohe Zahl an unbesetzten Stellen bleibt ein zentrales Symptom des Fachkräftemangels. Mehr als die Hälfte der befragten Unternehmen (54 %) gibt an, derzeit offene Positionen nicht besetzen zu können. Besonders betroffen ist der Gesundheits- und Life-Science-Sektor, in dem 79 Prozent der Betriebe unbesetzte Stellen melden. Im Tourismusbereich liegt dieser Anteil bei 67 Prozent, was die Herausforderungen in einer Branche unterstreicht, die bereits seit Jahren mit strukturellen Problemen zu kämpfen hat.
Regional betrachtet zeigt sich Wien mit 62 Prozent an der Spitze der offenen Stellen, während die Zahlen im Burgenland (40 %) und in der Steiermark (41 %) deutlich niedriger ausfallen. Insbesondere Produktionsbereiche sind betroffen: 27 Prozent der Unternehmen geben an, hier offene Stellen zu haben. Ebenfalls stark betroffen sind Marketing, Vertrieb und Kundendienst mit 20 Prozent. Im Gegensatz dazu gibt es in den Bereichen Forschung und Entwicklung, Finanzen sowie Geschäftsleitung mit je fünf Prozent deutlich weniger unbesetzte Positionen. „Die langfristigen Folgen der Vakanzen sind spürbar: Viele Unternehmen können geplante Projekte nicht umsetzen, die Effizienz leidet, und das Wachstum bleibt hinter den Erwartungen zurück“, fasst Lehner zusammen.
Umsatzeinbußen und Kostenbelastungen durch fehlendes Personal
Die wirtschaftlichen Auswirkungen des Fachkräftemangels sind bereits jetzt spürbar. 35 Prozent der mittelständischen Unternehmen berichten von Umsatzeinbußen oder nicht realisierten Potenzialen infolge unbesetzter Stellen.
Zwei Drittel (65 %) der Unternehmen geben an, keine Einbußen zu verzeichnen oder vom Fachkräftemangel nicht betroffen zu sein, ein Grund für diese scheinbar positive Entwicklung könnte aber sein, dass sich auf dem Arbeitsmarkt zurzeit wenig bewegt – es entstehen also kaum neue Jobs oder Veränderungen. Dazu kommt, dass die wirtschaftliche Lage aktuell schwierig ist und viele Unternehmen vorsichtig handeln. Besonders stark betroffen ist der Gesundheitssektor, wo 15 Prozent der Unternehmen erhebliche Umsatzeinbußen verzeichnen, gefolgt vom Tourismus mit 13 Prozent.
Ein weiterer Kostentreiber ist der Anstieg der Rekrutierungskosten. Jedes zweite Unternehmen verzeichnet gestiegene Ausgaben für die Suche nach Fachkräften in den letzten fünf Jahren, nur acht Prozent berichten von gesunkenen Rekrutierungskosten. Im Durchschnitt liegt der Kostenanstieg bei knapp 13 Prozent. Am stärksten betroffen ist erneut der Bereich Gesundheit und Life Science (plus 24 %), die geringsten Kostensteigerungen weist der Bereich Soziales, Wissenschaft und Bildung (plus 5 %) auf. Regional betrachtet führen Unternehmen in Oberösterreich mit einem durchschnittlichen Anstieg von 23 Prozent die Liste an, während Wiener Unternehmen mit nur acht Prozent am besten abschneiden.
„Es braucht innovative und ressourcenschonende Lösungen, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Der Einsatz von KI-gestützten Tools kann dabei unterstützen, den Rekrutierungsprozess effizienter und kostengünstiger zu gestalten und gleichzeitig die richtigen Talente zu identifizieren. Moderne Technologien ermöglichen es, Bewerbungsprozesse zu automatisieren und Kandidaten gezielter anzusprechen, was insbesondere für mittelständische Unternehmen von großer Bedeutung ist. So können wertvolle Ressourcen gespart und die Zeit bis zur Besetzung offener Stellen deutlich verkürzt werden“, betont Erich Lehner.
Bildungsinitiativen und politische Unterstützung als Stellschrauben im Talentekampf
Um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, setzen mittelständische Unternehmen auf gezielte Maßnahmen. Die Intensivierung von Aus- und Weiterbildungsprogrammen (54 %), die Flexibilisierung der Arbeitszeitgestaltung (52 %) und das Angebot von Zusatzleistungen und Benefits (50 %) sind die am häufigsten genannten Strategien, um als Arbeitgeber attraktiver zu werden.
Dennoch bleibt der Ruf nach politischer Unterstützung laut. Denn der Fachkräftemangel ist nicht nur ein Problem der Unternehmen, sondern auch ein gesellschaftliches und politisches Thema. Rund 36 Prozent der befragten Unternehmen bewerten die aktuellen staatlichen Maßnahmen als unzureichend, während nur zehn Prozent eine positive Einschätzung abgeben. Die Forderungen sind klar: 54 Prozent der Unternehmen erwarten eine stärkere Förderung von Bildungseinrichtungen und gezielte Kooperationen mit Unternehmen (44 %), sowie eine Erhöhung der Attraktivität spezifischer Arbeitsplätze (42 %) und der gezielten Zuwanderung von qualifizierten Arbeitskräften (39 %).
„Die Politik muss handeln und dabei vor allem die langfristigen Weichen stellen“, betont Erich Lehner, Partner und Mittelstandsexperte bei EY Österreich. „Bildungsinitiativen, effizientere Anerkennungsverfahren und gezielte Unterstützung von Weiterbildungsprogrammen sind zentrale Stellschrauben. Es braucht jetzt ein klares Bekenntnis zu nachhaltigen Lösungen, um den Mittelstand zu stärken und dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Wenn wir hier nicht schnell reagieren, riskieren wir, den Anschluss an den internationalen Wettbewerb zu verlieren und langfristige wirtschaftliche Chancen zu vergeben.“