Aus Sicht von EZB-Chefvolkswirt Philip Lane gibt es nach wie vor gute Gründe, von einer sanften Landung der Wirtschaft im Euroraum auszugehen. In früheren derartigen Perioden sei es unter anderem zu einer Kreditklemme gekommen, sagte Lane am Donnerstag in einem Vortrag an der irischen Unversity of Limerick. "Wir bleiben ziemlich optimistisch, dass dies nicht diese Art von Episode ist." Unternehmen stellten sich nicht auf eine Rezession ein.
Die Wirtschaft durchlaufe eine Periode mit Wachstum an der Nulllinie. "Und daher gibt es für das Szenario einer sanften Landung, dass wir haben, immer noch gute Gründe."
In ihren jüngsten Wirtschaftsprognosen vom September waren die Volkswirte der Europäischen Zentralbank (EZB) für heuer nur noch von einem schmalen Wirtschaftswachstum von 0,7 Prozent ausgegangen. Noch im Juni hatten sie ein Plus von 0,9 Prozent erwartet. Im dritten Quartal sank die Wirtschaftsleistung (BIP) in der 20-Ländergemeinschaft sogar um 0,1 Prozent, nachdem die Wirtschaft im Frühjahr noch um 0,2 Prozent gewachsen war.
Die EZB hat im Kampf gegen die Inflation mit einer Serie von zehn Zinsanhebungen die Schlüsselsätze inzwischen auf ein Rekordniveau gehievt. Der Leitzins, zu dem sich Banken frisches Geld bei der Notenbank besorgen können, beträgt nun 4,5 Prozent. Der am Finanzmarkt maßgebliche Einlagensatz, den Geldhäuser für das Parken überschüssiger Gelder von der Notenbank erhalten, liegt bei 4,00 Prozent. Das ist das höchste Niveau seit dem Start der Währungsunion 1999.
Die Inflation ist mittlerweile im Sinkflug und lag im Oktober nur noch bei 2,9 Prozent. Noch im Herbst 2022 hatte sie bei über zehn Prozent gelegen. Zum aktuellen Zinsniveau sagte Lane, vier Prozent seien nicht normal. Das sei kein Zinssatz für die Ewigkeit. Am Finanzmarkt wird bereits mit ersten Zinssenkungen im kommenden Jahr gerechnet.
Sorge bereitet Lane der Anstieg der Energiepreise, der durch die Eskalation im Nahostkonflikt zuletzt verstärkt wurde. Die günstige Dynamik bei den Energiepreisen habe sich in den vergangenen Monaten umgekehrt. Es gebe seit dem Sommer einen Energieschock. "Die Ölpreise gehen ziemlich nach oben, die Gaspreise gehen ziemlich nach oben." Und das interagiere nun auch mit dem Krieg in Nahost. Ende Juni lag der Preis für das Norseeöl Brent noch bei rund 71 Dollar. An diesem Donnerstag lag er zeitweise bei über 86 Dollar (knapp 82 Euro) je Fass. (apa)