Die Europäische Zentralbank (EZB) hat im Kampf gegen die hohe Inflation die Zinsen das siebente Mal in Folge angehoben und sieht auch damit das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht. "Wir haben noch eine Wegstrecke zu gehen", sagte EZB-Präsidentin Christine Lagarde am Donnerstag. "Das ist eine Reise, wir sind noch nicht angekommen." Die Geldpolitik sei inzwischen zwar restriktiv, aber noch nicht im ausreichenden Maße.
Die EZB hatte zuvor den Fuß etwas vom Gas genommen und die Zinsen lediglich um einen viertel Prozentpunkt angehoben. Der an den Finanzmärkten maßgebliche Einlagensatz, den Finanzinstitute für das Parken überschüssiger Gelder von der Notenbank erhalten, liegt damit künftig bei 3,25 Prozent. Das ist das höchste Niveau seit 2008. "Ich denke, man kann sagen, dass sich alle einig waren, dass eine Anhebung des Zinssatzes notwendig war und dass wir zweitens nicht pausieren, das ist ganz klar", sagte Lagarde.
In Reaktion darauf verlor der Euro leicht auf 1,1018 Dollar. Der Dollar-Index rückte um 0,1 Prozent vor auf 101,463 Stellen. Am Aktienmarkt lagen der Dax und der Euro-Stoxx-50 jeweils knapp 0,6 Prozent im Minus bei 15.724 beziehungsweise 4.283 Punkten.
"Die EZB tritt auf die Bremse, sie zieht aber nicht die Handbremse an", kommentierte Thomas Gitzel, Chefvolkswirt der VP Bank die Beschlüsse. Da der Inflationsdruck nur langsam nachlasse, werde die EZB auf ihren kommenden Sitzungen weiter an der Zinsschraube drehen müssen. Aus Sicht von Michael Heise, Chefvolkswirt bei HQ Trust, zeigt die EZB bei der Bekämpfung der Inflation weiter Entschlossenheit. "Schon im Juni ist ein weiterer Zinserhöhungsschritt wahrscheinlich, da bei gestiegenem Lohnkostendruck und den gegebenen Preiserhöhungsspielräumen der Unternehmen weiterhin deutliche Preissteigerungen, vor allem im Dienstleistungsbereich, zu erwarten sind", führte er aus.
Die EZB erklärte, die zukünftigen Beschlüsse des EZB-Rats würden dafür sorgen, dass die Zinsen auf ein ausreichend restriktives Niveau gebracht würden, um eine zeitnahe Rückkehr der Inflation zum mittelfristigen Zwei-Prozent-Ziel zu erreichen. Dabei machten die Währungshüter klar, dass sie weiter auf Sicht fahren und sich nicht im Voraus festlegen wollen.
Der zugrunde liegende Preisdruck im Euroraum sei nach wie vor hoch, sagte Lagarde. Der jüngste Zinsbeschluss basiere auf "fast einmütiger Zustimmung". Einige hätten einen stärkeren Schritt von einem halben Prozentpunkt für angebracht gehalten. Die Währungshüter kündigten zudem an, den Bilanzabbau zu beschleunigen. Im Zentrum stehen dabei die rund 3,2 Billionen Euro schweren Bestände an Papieren aus dem Programm zum Ankauf von Vermögenswerten (APP). Die EZB will nun ab Juli die Reinvestitionen ganz stoppen. Aktuell werden die Bestände aus dem APP bereits verringert, da die Tilgungsbeträge von Papieren bei Fälligkeit nicht mehr vollumfänglich reinvestiert werden.
Die EZB hatte im Juli 2022 nach Jahren der ultra-lockeren Geldpolitik eine Zinswende vollzogen und seitdem einschließlich des neuen Schritts die Schlüsselsätze um insgesamt 3,75 Prozentpunkte angehoben. In den USA hat die US-Notenbank Fed am Mittwoch die Zinsen ebenfalls um 0,25 Prozentpunkte hochgesetzt auf die neue Spanne von 5,0 bis 5,25 Prozent und steuert nun auf eine Pause zu. Dazu haben auch Sorgen um die Stabilität der Banken beigetragen, die durch die Not-Übernahme der US-Bank First Republic durch den Branchenriesen JP Morgan erneut angefacht worden waren.
Für die EZB ist der Kampf gegen den anhaltenden Preisschub in der 20-Ländergemeinschaft noch nicht gewonnen. Denn die Inflation liegt weiter deutlich über der angestrebten Zielmarke von zwei Prozent. Im April stieg die Teuerungsrate sogar leicht an auf 7,0 Prozent, nach 6,9 Prozent im März und 8,5 Prozent im Februar. Die wichtige Kernrate, bei der die schwankungsreichen Energie- und Rohstoffpreise herausgerechnet sind, ging im April nur minimal von 5,7 auf 5,6 Prozent zurück. Dies treibt viele Euro-Wächter um, denn das könnte anzeigen, dass die Zeit hoher Teuerung womöglich länger anhalten könnte als bisher gedacht.
Andererseits entfalten die bisherigen Schritte bereits ihre Wirkung. So ist das Bruttoinlandsprodukt in der Eurozone im ersten Quartal nur noch minimal um 0,1 Prozent gewachsen. Zudem zeigt die jüngste EZB-Umfrage unter Banken zur Kreditvergabe, dass sich die Nachfrage der Unternehmen nach Darlehen bereits abschwächt. Außerdem sind die Kreditstandards für Firmendarlehen zuletzt deutlich verschärft worden. (apa)