Der Preisschub im Euroraum beginnt sich nach Einschätzung von EZB-Vizechef Luis de Guindos allmählich abzuschwächen. Zwar bleibe der zugrundeliegende Preisdruck weiterhin stark, doch die meisten Indikatoren hätten begonnen, ein Nachlassen anzuzeigen, sagte der Stellvertreter von EZB-Präsidentin Christine Lagarde am Freitag in einem Vortrag am King's College in London.
"Obwohl die Bandbreite der Messgrößen für die zugrundeliegende Inflation im historischen Vergleich immer noch groß ist, hat sie zuletzt begonnen, sich zu verengen," führte er aus.
Die Europäische Zentralbank (EZB) achtet genau auf die zugrundeliegenden Inflationstrends. Sie sind ein wichtiger Faktor für die Festlegung der Geldpolitik in der Eurozone. Zuletzt hatte sich die Gesamtinflation in der 20-Länder-Gemeinschaft von 6,1 Prozent im Mai auf 5,5 Prozent abgeschwächt im Juni. Damit liegt das Inflationsziel der Euro-Wächter von zwei Prozent aber immer noch weit entfernt. Die Kerninflation, in der die schwankungsreichen Preise für Energie und Lebensmittel einberechnet werden, war sogar von 5,3 Prozent im Mai auf 5,4 Prozent leicht gestiegen.
Viele Währungshüter treibt dies um. Die hohe Kernrate bereite Sorgen, sagte der Präsident der Deutschen Bundesbank, Joachim Nagel, am Donnerstag in Stuttgart. "Die Oberfläche unseres Motors ist zwar nicht mehr ganz so heiß. Aber der Kern ist noch immer überhitzt, er muss weiter abgekühlt werden", merkte er an.
De Guindos stellte in seinem Vortrag auch klar, dass die EZB mit ihrem Straffungskurs noch nicht das Ende der Fahnenstange erreicht habe. "Unser Job ist noch nicht erledigt," sagte er. Die Währungshüter beobachteten die Inflationsentwicklung im Dienstleistungssektor sowie die Entwicklung der Arbeitskosten genau. Diese seien mittlerweile wichtige Treiber der Gesamtinflation.
Die Löhne waren im Euroraum zuletzt kräftig gestiegen. Die Preise im Dienstleistungssektor reagieren besonders stark auf die Lohnkosten. "Steigende Löhne erhöhen den Inflationsdruck auf arbeitsintensive Dienstleistungen", sagte der EZB-Vize. Allerdings seien die Inflationsaussichten mit einer erheblichen Unsicherheit behaftet. Daher werde die EZB in ihrer Geldpolitik weiter datenabhängig voranschreiten. De Guindos zufolge werden sich die bereits erfolgten Zinserhöhungen noch über Jahre hinweg auswirken. 2022 sei die Inflation dadurch nur um einen halben Prozentpunkt gedrückt worden, führte er aus. Im Zeitraum 2023 bis 2025 werde der inflationssenkende Effekt dagegen im Schnitt bei zwei Prozentpunkten liegen.
Die EZB hat die Zinsen seit Sommer 2022 bereits achtmal in Folge erhöht. Der Leitzins, zu dem sich Geschäftsbanken frisches Geld bei der EZB besorgen können, liegt mittlerweile bei 4,0 Prozent. Der an den Finanzmärkten richtungsweisende Einlagensatz beträgt mittlerweile 3,50 Prozent - das höchste Niveau seit 22 Jahren. Für die Zinssitzung am 27. Juli in Frankfurt hat EZB-Präsidentin Lagarde bereits eine weitere Anhebung in Aussicht gestellt. (apa)