Die Europäische Zentralbank (EZB) dürfte ihre Leitzinsen morgen, Donnerstag, zum neunten Mal in Folge anheben. Damit rechnet nicht nur eine große Mehrheit von Notenbank-Experten. Auch an den Finanzmärkten sind sich die Anleger sicher, dass die EZB die Zinsen um 0,25 Prozentpunkte erhöht.
Der derzeit besonders wichtige Einlagensatz würde dann 3,75 Prozent betragen. Der Hauptrefinanzierungssatz läge bei 4,25 Prozent - und damit so hoch wie zuletzt im Jahr 2008 vor Ausbruch der Finanzkrise.
Ungewiss ist dagegen, wie es in der Euro-Geldpolitik nach der Sommerpause weitergeht - ob also die EZB ihren Inflationskampf mit weiteren Zinsstraffungen fortsetzt oder nicht. Das bedeutet, dass die EZB vor ihrer vorerst letzten Zinsanhebung stehen könnte. An den Finanzmärkten und unter Bankvolkswirten ist man sich in der Frage allerdings nicht sicher. Ziemlich sicher ist man sich allerdings, dass der Zinsgipfel im Euroraum bald erreicht sein dürfte. Seit Sommer 2022 hat die EZB ihre Leitzinsen um insgesamt vier Prozentpunkte angehoben - so rasch und deutlich wie nie zuvor in ihrer noch jungen Geschichte.
Aus der Notenbank selbst kamen bis zuletzt unterschiedliche Signale, was die künftige Geldpolitik angeht. Von den vielen Bemerkungen riefen die Äußerungen des niederländischen Zentralbankchefs Klaas Knot besonderes Interesse hervor. Der für seine straffe Linie bekannte Knot sagte, eine Zinserhöhung im Juli sei eine Notwendigkeit, eine weitere Anhebung auf der darauffolgenden Sitzung im September aber nur eine Möglichkeit. Für Knots Verhältnisse ist das eine geldpolitisch sehr vorsichtige Aussage.
Der ungewisse geldpolitische Ausblick ist vor allem eine Folge der fragilen Konjunktur: Die Inflation ist in den vergangenen Monaten zwar deutlich gesunken. Allerdings hat sich an dem grundlegenden Preistrend so viel nicht verändert, wie die immer noch hohe Kerninflation zeigt. Auf der anderen Seite beginnt sich die wirtschaftliche Dynamik spürbar abzuschwächen. Dafür sprechen die zunehmend trüberen Einkaufsmanagerindizes von S&P Global. Die deutsche Wirtschaft sticht dabei negativ heraus, weil sie sich wesentlich schwächer als andere große Euro-Volkswirtschaften entwickelt.
Ob die EZB ihre Zinsen nach dem Sommer weiter anhebt, ist unter Volkswirten entsprechend ungewiss. ING-Chefökonom Carsten Brzeski ist sich zumindest sicher, dass die EZB am Donnerstag keine weitere Zinsanhebung konkret in Aussicht stellt - so wie es Präsidentin Christine Lagarde auf den beiden vorherigen Sitzungen getan hat. Brzeski erwartet vielmehr, dass die Notenbank ihre Geldpolitik noch stärker von der konjunkturellen Entwicklung abhängig macht.
Die Volkswirte von der Deutschen Bank halten eine weitere Zinsanhebung im September zwar für möglich, allerdings nicht für ausgemacht. Für sie ist sogar der Zinskurs nach September nicht in Stein gemeißelt. Die Analysten meinen: Unabhängig davon, ob der Leitzins nach dem Sommer nochmals angehoben wird oder nicht, könnten die Leitzinsen auch nach September weiter steigen. (apa)