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EZB-Zinssenkung erwartet - Debatte um den Weg danach im Fokus

Zinssenkung um 0,25 Prozentpunkte erwartet - Neue Inflationsdaten sprechen für vorsichtige Gangart - Mögliche weitere Schritte im September und Dezember erwartet
Michael Neubauer
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© APA/dpa/Boris Roessler | Experten gehen davon aus, dass die EZB in der kommenden Woche die Zinsen senken wird

Die Europäische Zentralbank (EZB) steht nach ihrem steilen Straffungskurs im Kampf gegen die Inflation am Donnerstag vor ihrer ersten Zinssenkung. Auch die zuletzt gestiegene Inflation wird Volkswirten zufolge die Euro-Wächter um EZB-Präsidentin Christine Lagarde nicht davon abhalten. Die Inflation war im Mai auf 2,6 Prozent gestiegen, womit sie sich wieder etwas von der EZB-Zielmarke von 2,0 Prozent entfernte. Im April lag sie noch bei 2,4 Prozent.

Experten erwarten daher heftige Diskussionen unter den Währungshütern über den weiteren Zinspfad. "Die geldpolitische Diskussion wird am kommenden Donnerstag vor diesem Hintergrund sicher sehr intensiv, die fest geplante erste Zinssenkung im Juni um 0,25 Prozentpunkte wird hierdurch jedoch auf den letzten Metern nicht mehr umgestoßen", meint etwa NordLB-Chefvolkswirt Christian Lips.

Der am Finanzmarkt maßgebliche Einlagensatz, den Geldhäuser erhalten, wenn sie bei der Notenbank überschüssige Gelder parken, würde damit auf 3,75 Prozent sinken vom derzeitigen Rekordniveau von 4,00 Prozent. Der Leitzins würde auf 4,25 Prozent gehen von 4,50 Prozent. "Ein Verzicht auf diesen Zinsschritt wäre eine herbe Enttäuschung für die Marktakteure und würde die Glaubwürdigkeit der Notenbank grundlegend beschädigen", sagt Christian Reicherter, Analyst bei der DZ Bank.

Nicht nur die jüngsten Inflationsdaten dürften Volkswirten zufolge für eine vorsichtige Gangart der EZB sprechen. Auch das Lohnwachstum im ersten Quartal war zuletzt überraschend kräftig ausgefallen. Die Lohnentwicklung galt zuletzt als einer der Haupttreiber der Inflation im Euroraum. Sorgen dürfte der EZB zudem bereiten, dass sich die Kerninflationsrate im Mai wieder erhöht hat - und zwar auf 2,9 Prozent von 2,7 Prozent im April. Dieses Messgröße, in der die schwankungsanfälligen Preise für Energie- und Lebensmittel sowie für Alkohol und Tabak ausgeklammert werden, gilt als guter Indikator für die zugrunde liegenden Inflationstrends.

Am kommenden Donnerstag gehe es nicht darum, ob die EZB lockere, sondern wie stark die Währungshüter 2024 die Zinsen reduzieren würden, meint der Chefvolkswirt der VP Bank, Thomas Gitzel. "Ob es zu den ursprünglich erwarteten deutlichen Zinssenkungen kommt, bleibt in Anbetracht des Anstiegs der Kerninflationsrate jetzt fraglich." Daniel Hartmann, Chefvolkswirt des Vermögensverwalters Bantleon, glaubt, dass die Inflationsdaten zwar keinen Aufschub der Zinswende auslösen werden. "Diejenigen Währungshüter, die mit Blick nach vorne für einen flachen Zinssenkungspfad plädieren, das heißt nur einmal im Quartal eine Senkung, dürften aber Rückenwind verspüren."

Zu ihren Beratungen dürften den Währungshütern auch neue Inflations- und Wachstumsvorhersagen der Notenbank-Volkswirte für den Euroraum vorliegen. "Wir erwarten eine leichte Korrektur nach oben der Wachstums- und Inflationsprognosen für 2024 und vielleicht sogar für 2025", schreiben die Volkswirte Ruben Segura-Cayuela und Evelyn Herrmann von der Bank of America. Sie erwarten eine Inflationsprognose von 2,4 Prozent und eine Wachstumsprognose von 0,7 bis 0,8 Prozent. Noch im März hatten EZB-Volkswirte für 2024 eine Teuerungsrate von 2,3 Prozent und ein Wirtschaftswachstum von 0,6 Prozent vorhergesagt.

Diese Vorhersagen werden jedes Vierteljahr veröffentlicht und liegen den Währungshütern nach Juni dann wieder zu den Sitzungen im September und Dezember vor. Aus Sicht von Commerzbank-Volkswirt Marco Wagner sprechen die Kommentare und Interviews der EZB-Ratsmitglieder in den vergangenen Wochen dafür, dass die Mehrheit der Eurowächter einen graduellen Ansatz bevorzugt. "Folglich dürften die Zinsentscheidungen eher quartalsweise und zu den Sitzungsterminen mit neuen Projektionen getroffen werden." Das hieße: Im Juli würde die EZB erst einmal pausieren. (apa)