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Genug geredet!

Was für ein politischer Frühling in Österreich. Durch die Bundespräsidentenwahlen blieb im Land kein Stein mehr auf dem anderen.
Hans Ulreich

Was für ein politischer Frühling in Österreich. Durch die Bundespräsidentenwahlen blieb im Land kein Stein mehr auf dem anderen. Das spannende Finish bei den Stichwahlen stellte jedes EM-Qualifikationsspiel in den Schatten. Selten – so denke ich – wurde mit derart viel Emotion gewählt oder auch nicht gewählt. Jetzt haben wir einen – politisch vollkommen unbeschriebenen – neuen Bundeskanzler und einen Bundespräsidenten, der mit dem Großparteiensystem nichts am Hut hat. Ich hatte diesmal die Möglichkeit, aufgrund einer kurzen beruflichen Auszeit die gesamte Stichwahlberichterstattung in den österreichischen TV-Stationen uneingeschränkt mitzuverfolgen.

Zur bunten Wahlbeobachtergesellschaft reihten sich von Anfang an Wahlkommentatoren, die dem vermeintlich unmündigen Zuseher dann gleich eine Interpretation zum vorher Gesagten mitlieferten. Kaum hatte ein Kandidat oder ein Mitglied der Bundesregierung ein Statement beendet, wurde dieses schon von sogenannten „Politexperten“ bis ins Detail zerpflückt. Ratschläge über Ratschläge, wie es der Kandidat hätte besser machen können, was der neue Kanzler nicht oder zusätzlich hätte sagen sollen, wie der Vizekanzler daneben besser ausgesehen hätte und und und.

Natürlich wurde auch mitgeliefert, wie das Gesagte nun auf den Zuschauer zu wirken habe. Selbst denken war nicht mehr notwendig, die Interpretation wurde in Expertenton abgepackt gleich nachgeliefert. Doch Politik ist kein Tanzwettbewerb, bei dem uns allein die Rolle des Zuschauers zukommt. Sie schafft Rahmenbedingungen für unseren intimsten Alltag. Da braucht es keine zwischengeschaltene „Jury“ in Form von Politikberatern, die sofort alles besser wissen und uns ihre Gedanken vorsetzen. Da kann und will jeder einzelne Zuschauer zu- allererst einmal selbst entscheiden.

Der neue Bundespräsident hat sich fest vorgenommen, dass es in sechs Jahren jedem Österreicher im Land ein wenig besser geht. Bundeskanzler Christian Kern hat uns gemeinsam mit Vizekanzler Reinhold Mitterlehner einen „New Deal“ für einen Aufschwung in Österreich bis 2025 versprochen.

Den Rat der vermeintlichen „Experten“, dass sie das jetzt einmal unter Beweis stellen müssen, will ich so nicht hinnehmen. Denn um einen Umbruch in bessere Zeiten zu schaffen, genügt es eben nicht, andauernd die anderen oder die „da oben“ zu kritisieren und zuzuschauen. Vielmehr müssen wir alle uns in einem möglichen Maß einbringen und versuchen, das Land nach vorne zu bringen.

Wir müssen – genauso wie es sich die Regierung vorgenommen hat – zu Inhalten statt zu Emotionen zurückkehren. Vorschläge und Lösungen müssen auf Praxistauglichkeit geprüft werden, statt daran gemessen zu werden, wer sie auf den Tisch legt. Wenn wir Arbeitslosigkeit, Wohnraummangel, Bildung und soziale Unsicherheit wirklich bekämpfen wollen, dann muss mit Kritik und Verweigerung endlich Schluss sein.

Im Mietrechtsbereich haben sich zwar nicht auf politischer Ebene, aber jedenfalls unter den Experten bereits seit langem breite, konstruktive Koalitionen gebildet.

Die Wiener Fachgruppe der Immobilientreuhänder und die private Immobilienwirtschaft haben ideologische Grenzen hintangestellt und fachliche Begegnungszonen geschaffen. Wir reden mit Interessensvertretungen der Mieter, der Konsumenten, der Arbeiter und mit Wohnbaugenossenschaften über anstehende Reformen zu Miet- und Baurecht, Flächenwidmungen und Steuerrecht. Zusammen suchen wir Lösungen für dringend benötigten Wohnraum, besonders in Wien.

Natürlich ist es subjektiv immer angenehmer, wenn man auf seiner Vorteilsposition beharrt und keinen Schritt davon abweicht. Das Endergebnis für einen selber wäre dann ja auch viel vorteilhafter. Aber Österreich ist an einem Punkt angekommen, wo deutlich wird, dass das Beharren auf Einzelinteressen das Land nicht weiter, sondern nur weiter nach unten bringt.

Wenn wir wirklich genug haben vom Stillstand, dann ist ein Protestkreuzerl bei einer Neinsagerpartei nicht das richtige Mittel. Eine Blockade, damit sich im Eigenbereich nur ja nichts verändert, genauso wenig. Und schon gar nicht das Zurücklehnen, Zuschauen und Dauerbeurteilen der anderen.

Wir, das heißt jeder einzelne von uns, wird sich in seinem Bereich bewegen müssen, damit es für uns alle wieder aufwärts geht.