Die Stimmung im Gewerbe und Handwerk ist wieder so schlecht wie zum Höhepunkt der Coronakrise. "Es ist nicht nur keine Normalität eingekehrt, sondern der Krisenmodus zurückgekehrt", sagte Christina Enichlmair von der KMU Forschung Austria am Donnerstag bei einem Pressegespräch. Den Betrieben gingen die Aufträge und das Personal aus. Verschärfte Kreditvorgaben, steigende Zinsen und Kosten erschwerten die Leistbarkeit von Bauprojekten. Zudem gebe es einen Fachkräftemangel.
"Ein Tischler, der sonst 30 oder 40 Aufträge zu dieser Zeit hat, hat jetzt nix", sagte Renate Scheichelbauer-Schuster, Obfrau der Bundessparte Gewerbe und Handwerk in der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ). Wer derzeit noch Aufträge habe, arbeite welche von früher ab. 2021 und Anfang 2022 sei die Konjunktur noch gut gewesen und die Auftragsbücher seien gut gefüllt gewesen. Mit dem Angriffskrieg Russlands in der Ukraine habe sich das Blatt gewendet. "Was wir jetzt sehen, ist, dass die zukünftigen Aufträge ausbleiben", so Scheichelbauer-Schuster anlässlich einer vierteljährlichen Konjunkturumfrage.
Besonders schlecht sei die Lage im Bau- und baunahen Gewerbe. "Das ist eigentlich unsere Konjunkturlokomotive und die droht zum Stillstand zu kommen", betonte Scheichelbauer-Schuster. Die Betriebe bekommen hier den Einbruch im privaten Wohnbau zu spüren. Die konsumnahen Bereiche wie Gesundheitsberufe, Fahrzeugtechnik oder Friseure wiederum würden darunter leiden, dass viele Konsumentinnen und Konsumenten sparten und sich durch die Pandemie das Konsumverhalten geändert habe. Mindestens 80 Prozent der Unternehmen verzeichneten den Angaben zufolge im vierten Quartal reale Umsatzverluste.
Laut Berechnungen der KMU Forschung Austria fehlen im Gewerbe und Handwerk 60.000 bis 70.000 Fachkräfte. Scheichelbauer-Schuster begrüßte die angekündigte Abschaffung der geblockten Altersteilzeit, die helfen würde, dass ältere Beschäftigte länger in Arbeitsverhältnissen blieben. Auch bei den Lehrlingen würden quer durch alle Branchen Leute gesucht, räumte die Obfrau ein. Mit rund 47.000 Lehrlingen befinden sich die Hälfte aller Lehrlinge in Österreich in einem Beruf im Handwerk und Gewerbe.
Die Branche konnte die Einbußen der Coronajahre auch 2022 nicht wettmachen. Das Jahresergebnis 2022 wird nach vorläufigen Schätzungen ein reales Minus ergeben. Bereinigt um Preissteigerungen dürfte die Lücke zum Vor-Pandemie-Niveau mehr als 15 Prozent betragen.
Die Branchenvertreter fordern zur Ankurbelung der Konjunktur und Unterstützung der Unternehmen eine Verlängerung der Investitionsprämie um ein Jahr, bis Ende 2023 ausgedehnte Garantien für Betriebsmittelkredite und einen Verlustrücktrag auf Dauer. Ein Verlustrücktrag bietet die Möglichkeit, Verluste eines Jahres mit vorangegangenen Gewinnen zu verrechnen. Auch hofft die Interessenvertretung auf eine möglichst rasche und unbürokratische Abwicklung des Energiekostenzuschusses.
Energieintensive Branchen seien derzeit besonders betroffen, so Scheichelbauer-Schuster. Hatten Bäcker in den Jahren 2016 bis 2020 noch durchschnittlich Gewinne von 2,52 Prozent der Betriebsleistung erzielt, werde nun daraus bei einer Steigerung der Energiekosten um 200 Prozent ein Verlust von minus 3,25 Prozent, zeigt eine Berechnung der KMU Forschung Austria.
Für Sabine Jungwirth, Bundessprecherin der Grünen Wirtschaft, würden
die Kleinbetriebe aber auch von der "ÖVP-dominierten" WKO keine
Unterstützung erhalten. Scheichelbauer-Schuster habe vergessen zu
erwähnen, dass hier das ÖVP-geführte Wirtschaftsministerium säumig sei,
so Jungwirth in einer Aussendung. Noch immer sei es kleineren
Unternehmen nicht möglich, von Energiekostenzuschüssen zu profitieren.
"Im Bundesministerium für Wirtschaft ist man offensichtlich der Meinung,
dass die österreichische Wirtschaft nur aus Industriebetrieben und
Großkonzernen besteht", sagt Jungwirth. (apa)