Wie schwierig das Thema ist, zeigt die aktuelle Debatte über einen Vorstoß der EU-Kommission. Dieser sieht vor, dass auch Investitionen in neue Gaskraftwerke insbesondere auf Wunsch Deutschlands übergangsweise als klimafreundlich eingestuft werden können. Zudem sollen Investitionen in neue Atomkraftwerke - unter anderem in Frankreich geplant - unter bestimmten Bedingungen als "grün" klassifiziert werden können. Kritiker befürchten, dass dadurch die sogenannte Klima-Taxonomie der EU Schaden nimmt. Diese Einstufung von Wirtschaftstätigkeiten soll mehr Geld in nachhaltige Technologien und Unternehmen lenken und so wesentlich zur Klimaneutralität Europas bis 2050 beitragen.
"Die Deutsche Kreditwirtschaft unterstützt grundsätzlich die Idee der EU-Taxonomie", schreibt der Dachverband der fünf großen Bankenverbände in Deutschland. Auf diese Weise bekämen Anlegerinnen und Anlegern zusätzliche Transparenz. Es müsse jedoch sichergestellt werden, dass nachhaltige Finanzierung auch tatsächlich nachhaltig sei, sonst stehe die Glaubwürdigkeit aller Akteure auf dem Spiel. "Die zugrundeliegenden Kriterien müssen nachvollziehbar sowie praktikabel sein und auf Basis wissenschaftlicher Standards abgeleitet werden", fordert die Deutsche Kreditwirtschaft (DK). "Nur so kann eine glaubwürdige und akzeptierte Taxonomie erreicht werden."
Genau das ist der Knackpunkt. Die geplante Berücksichtigung von Atomkraft und Erdgas führe das "ursprünglich als Beschleuniger der nachhaltigen Transformation gedachte Instrument ad absurdum", kritisiert beispielsweise die GLS Bank, die sich als größte und älteste sozial-ökologische Bank Deutschlands bezeichnet.
"Nachdem schon keine sozialen Kriterien in der Taxonomie berücksichtigt waren, zerstört die Aufnahme von Atom- und Gasenergie jegliches Vertrauen umweltbewusster Anlegerinnen und Anleger in dieses Gütesiegel für nachhaltige Geldanlagen", meint GLS-Chef Thomas Jorberg. "Es ist ein Signal der Beliebigkeit, nicht-nachhaltige Technologien für ein Nachhaltigkeitssiegel zuzulassen."
Auch Ingo Speich, Leiter Nachhaltigkeit bei der Dekabank, sieht die Entwicklung mit Sorge: "Dadurch, dass auch Industriepolitik gemacht wird, wird der Taxonomie Glaubwürdigkeit genommen." Allerdings sei das Brüsseler Regelwerk mit der Konzentration auf Klimawandel und Klimaschutz aktuell ohnehin "viel zu eng, um am breiten Kapitalmarkt Beachtung zu finden", sagt Speich. "Das wird sich ändern, weil sie in den nächsten Jahren breiter gefasst werden soll."
Einen noch größeren Schub für "grüne" Geldanlagen erwartet Speich kurzfristig durch Vorgaben, die bereits ab dem 2. August dieses Jahres greifen: Berater, die Fonds, ETF, Anleihen und Co an den Mann oder die Frau bringen wollen, sind von da an verpflichtet, Kunden nach ihren Präferenzen beim Thema Nachhaltigkeit zu befragen.
Allerdings belegt der europäische Streit um die Anerkennung von Atomkraft und Erdgas als klimafreundlich, wie dehnbar der Begriff "Nachhaltigkeit" ist. "Im Sprachgebrauch gibt es unterschiedliche Konzepte zum zuweilen schillernden Nachhaltigkeitsbegriff", konstatierte schon früher die Finanzaufsicht BaFin und mahnte Verbraucher: "Seien Sie sich dessen bewusst."
Dass der Vorstoß der EU-Kommission noch gestoppt werden kann, gilt als äußerst unwahrscheinlich. Dazu müssten sich mindestens 20 Staaten zusammenschließen, die mindestens 65 Prozent der EU-Gesamtbevölkerung vertreten - oder mindestens 353 Abgeordnete im EU-Parlament.
EU-Taxonomie hin, Marktstandard her - wer als Anlegerin oder Anleger "Greenwashing" bei der "grünen" Geldanlage vermeiden möchte, wird aller Voraussicht nach auch künftig selber genau hinschauen müssen. (apa)