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Im Häf’n ist was los...

Ein innovatives und einzigartiges Projekt stellt die Justizhaftanstalt Korneuburg dar, in der nicht nur absolute Sicherheit, sondern auch bauliche Funktionalität und Niedrigenergieverbrauch höchste Priorität genießen.
Michael Neubauer

Ein innovatives und einzigartiges Projekt stellt die Justizhaftanstalt Korneuburg dar, in der nicht nur absolute Sicherheit, sondern auch bauliche Funktionalität und Niedrigenergieverbrauch höchste Priorität genießen.

Hand aufs Herz: Wer von Ihnen hat schon einmal die Möglichkeit gehabt, einen Rundgang durch eine Justizanstalt zu machen? Und noch dazu geführt von einer Frau Oberstleutnant? Das Gefängnis Korneuburg liegt nur einige Gehminuten vom Bahnhof entfernt. Der Weg vom Bahnhof aus führt beschaulich an einer liebevoll gepflegten Kleingartensiedlung, sowie an bemüht modern gebauten Wohnblöcken der Siedlungsgenossenschaft Alpenland vorbei, direkt auf einen großen, kahlen Platz mit einem Springbrunnen. Der Haupteingang der Justizanstalt fällt erst auf den zweiten Blick auf. Nachdem nirgends sonst ein weiterer Eingang zu entdecken ist, muss dies wohl der Haupteingang der Justizanstalt sein. Nach einem kurzen Rundumblick fällt auf – nein, die Mauer gibt es wirklich nicht. Man steht direkt in einem netten Wohngebiet, aber trotzdem vor einer Justizanstalt.

Justizanstalt Korneuburg _ 004 © cityfoto

Der Eingangsbereich ist mit glattem, grauem Stein ausgekleidet - sehr modern und kalt wie ein Banktresor. Jeder, der die Justizanstalt betritt, muss sich ausweisen. Den genauen Blicken des Wachpersonals entgeht nichts. Wir werden bereits erwartet. Unsere Mobiltelefone müssen wir abgeben. Dann dürfen wir weiter. Eine schwere Glastür fällt hinter uns zu. Jetzt kommen wir ohne fremde Hilfe nicht mehr raus. Ein Gefühl, das uns bis zum Verlassen der Justizanstalt nicht mehr loslässt. Schlüssel sind keine zu sehen. Auf- und zugesperrt wird mit elektronischen Schlüsseln. Wie wir später erfahren werden, hat jeder Justizwachsbeamte seinen eigenen persönlichen „Schlüssel“, der auch auf seine speziellen Zugangsberechtigungen programmiert ist.

Im ersten Stock wartet bereits Oberstleutnant Heidemarie Heinz, Vize-Anstaltsleiterin und Leiterin des Wirtschaftsbereichs. Die dunkelblaue Uniform sitzt perfekt, wie auch die Antworten auf unsere vielen Fragen. „Gericht und Justizanstalt im Passivhausstandard gebaut und durch einen unterirdischen Gang verbunden – das ist ein einzigartiges Pilotprojekt in Österreich. Es ist das erste Gebäude, das von der Bundesimmobiliengesellschaft im Passivhausstandard gebaut und zertifiziert wurde“, berichtet Heinz sichtlich stolz. Dass sie von „ihrem“ Gebäude – sie war schon in der Planungsphase mit dabei - begeistert ist, ist nicht zu übersehen und –hören. „Es war ein kompletter Neubau. Der gesamte Gebäudekomplex umfasst rund 17.000 Quadratmeter. Mit der Planung wurde 2007 begonnen. Unter 34 Mitbewerbern hat sich die ARGE Dieter Mathoi Architekten ZT GmbH & Architekturwerkstatt din a4 ZT GmbH aus Innsbruck durchgesetzt und wurde als Generalplaner beauftragt. Im September 2009 erfolgte der Spatenstich und im September 2012 konnten wir in dieses Gebäude übersiedeln.“

Die alte Justizanstalt - direkt in der Innenstadt Korneuburgs gleich neben dem Rathaus - war aus allen Nähten geplatzt. „Die Gerichtsakten mussten mit Einkaufswägen über den Hauptplatz zur Staatsanwaltschaft gefahren werden. Die Situation war unerträglich“, beschreibt Heinz die Situation.

Die neue Justizanstalt Korneuburg ist für 267 Haftplätze konzipiert. „Meistens sind wir zu 100 Prozent ausgelastet.“ Das Erdgeschoß beherbergt unter anderem den Aufnahme- und Entlassungsbereich, Besucher- und Vernehmungszone, den Sportbereich sowie die Wirtschafts- und Arbeitsbetriebe. Im ersten Stock sind der allgemeine Verwaltungsbereich sowie die Freigänger-Abteilung und Gästezimmer untergebracht. Die einzelnen Haftabteilungen sind vom ersten Stock bis zum vierten Stock T-förmig übereinander angeordnet. Bei der Konzeption der Justizanstalt wurde auf genaue Einhaltung der funktionellen Zusammenhänge sowie auf Entflechtung der Wegführungen in den offenen Bereichen, in Halbgesperre und in Gesperre Wert gelegt. Die einzelnen Haftabteilungen sind ab dem ersten Obergeschoß T-förmig übereinander angeordnet. Diese Anordnung ermöglicht eine Unterteilung der einzelnen Abteilungen, welche von einem gemeinsamen zentralen Dienstzimmer überwacht werden.

Justizanstalt Korneuburg _ 015 © cityfoto

 Dass bei einem derartig speziell genutzten Bau Sicherheit oberstes Gebot hat, versteht sich von selbst. Der Bau ist in Beton ausgeführt. „Die Fenstergitter sind aus Stahl und entsprechen den für diesen Bau vorgesehenen Bauvorschriften.“ Dickere Mauern – ja, aber nicht der Sicherheit wegen. Die Fassaden mit Dämmstärken von bis zu 36 Zentimetern ermöglichen einen effizienten Energieeinsatz. Normalerweise ist eine größere Außensicherung vorgesehen. Dies konnte hier nicht realisiert werden. „Die Eigensicherung hat absolute Priorität, was wegen der offenen Abteilungen absolut notwendig ist. „Jeder im Haus besitzt ein spezielles Sicherheitstelefon, das auch über eine eigene Alarmvorrichtung verfügt“, erklärt Heinz. Störsender für Mobiletelefone gibt es nicht, dafür kommen aber Handyfinder zum Einsatz. „Vor allem im Nachtdienst“, wie Heinz berichtet.

Ein internationales Haus

Viel mehr Sorgen bereiten Heinz die Kommunikationsprobleme mit den Insassen. „Durchschnittlich haben wir Angehörige von 35 bis 44 Nationen in der Justizanstalt. Und diese Insassen sprechen natürlich auch 35 bis 44 verschiedene Sprachen.“ Ein Grund dafür liegt darin, dass auch der Flughafen Wien zum „Einlieferungsgebiet“ gehört. „Wir versuchen es mit Englisch. Damit kommen wir in der Regel gut durch. Leider wird vor allem in den russischsprachigen Ländern kaum Englisch gesprochen.“ Wenn es um heikle Dinge geht, würden gerichtlich beeidete Dolmetscher hinzugezogen. „Im medizinischen Bereich ist vorgesehen, sich bei Verständigungsproblemen über den Computer eines Videodolmetschers zu bedienen. Also so etwas wie Skypen. Das wird uns sehr helfen.“

Treppauf, treppab. Kondition ist gefragt. Alle Insassen dürfen sich aus sicherheitstechnischen Gründen nur in den inneren Gängen des Gebäudes bewegen. Wir hingegen können auch die Gänge, die an den Außenmauern liegen, nutzen. Das Problem dabei: Das ist natürlich nicht unbedingt kürzer. Mittlerweile haben wir die Orientierung völlig verloren. Die vielen Türen, Stockwerks- und Richtungsänderungen haben uns aus dem Konzept gebracht. Ohne Hilfe würden wir nicht mehr hinausfinden. Vieles haben wir gesehen. Die Ein- bzw. Zwei-Mann(Frau)-Zelle. Die Krankenabteilung. Die Mutter-Kind-Zellen und auch die Langzeitbesuchsbereiche, jenen Bereich, in dem auch längere Familienkontakte möglich sind. Im Erdgeschoß befinden sich die Werkstätten der Tischlerei und Schreinerei. „Arbeiten und Ausbildung ist für alle Insassen für die Resozialisierung besonders wichtig“, so Heinz. „Leider können nicht alle Insassen in den Arbeitsprozess eingegliedert werden. In vielen Fällen sind die mangelnden Sprachkenntnisse ein Hemmschuh.“ Glücklicherweise gibt es im ganzen Gebäude ausreichend Lifte. Auch hier wurde auf Nachhaltigkeit geachtet. „Energieeffizienz war ein Kriterium. Nach einem Beobachtungszeitraum von drei Jahren wird überprüft, ob die angebotenen Werte eingehalten werden. Bei Nichteinhaltung der zugesagten Energieeffizienz, wird ein Teil des erhöhten Haftungsrücklasses einbehalten“.

Justizanstalt Korneuburg _ 059 © cityfoto

Ein Quäntchen Freiheit

Aufgrund der Passivhausbauweise sind alle Räume mit einer mechanischen Lüftung ausgestattet. Entsprechend der Nutzung sind die verschiedenen Lüftungsanlagen mit regenerativen Wärmetauschern (Rückgewinnung von Feuchte und Wärme) oder rekuperativen Wärmetauschern (Rückgewinnung von Wärme) ausgestattet. Die Abluft der Küche wird zwecks Geruchsbeseitigung und Schonung der technischen Anlagen einer UV-Behandlung unterzogen. Dies hat einen besseren Wirkungsgrad der Wärmerückgewinnung zur Folge.

Eine Besonderheit - trotz Passivhausstandard - gibt es in dieser Justizanstalt: Alle Fenster können geöffnet werden. Alle Zellenfenster öffnen sich in das Innere der Haftanstalt. Die Zellen, aber auch die Gänge, die von den Häftlingen benutzt werden dürfen, liegen aus Sicherheitsgründen nicht an den Außenwänden der Justizanstalt.

„Dass die Fenster geöffnet werden können, war im vergangenen Sommer besonders wichtig“, erinnert sich Heinz an die heißen Tage zurück. Wichtig ist es aber auch, da viele der jungen Insassen – in der überwiegenden Mehrheit zwischen 20 und 30 Jahre alt - Raucher sind. Zusätzlich gibt es in jeder Ein- bis Zwei-Mann-Haftzelle einen zusätzlichen Rauchertaster zur Lüftung für das Raumklima. Für Nichtraucher gibt es eigene Zellen, denn: „Das Quäntchen Freiheit sollte gegeben sein,“ meint Heidemarie Heinz dazu.

Justizanstalt Korneuburg _ 037 © cityfoto

Ein gemeinsames Heizsystem für Justiz und Gericht

Die Energieversorgung für das gesamte Objekt, Heizung, Lüftung und Warmwasser, erfolgt über eine gemeinsame Heizzentrale, die sich im ersten Untergeschoß zwischen den beiden Bauteilen Justizanstalt und Gericht befindet. Die Energiebereitstellung erfolgt über eine Wärmepumpe mit Grundwassernutzung. Die Räumlichkeiten werden über die Fußbodenheizung sowie über Luftheizregister im Lüftungssystem beheizt. „Damit entfallen die Heizkörper und es gibt in den Haftzellen auch keine Versteckmöglichkeiten. Das Grundwasser wird in den Sommermonaten ebenfalls zur Kühlung herangezogen.“

Zum Thema Brandschutz

Und was passiert, wenn‘s brennt? In der Justizanstalt und im Gericht Korneuburg hat die Sicherheitsfirma PKE alle Hochsicherheits-Maßnahmen betreut. Eduard Anger, PKE Projekttechniker, erklärt: „Wenn der Feueralarm falsch ist, kann der zuständige Beamte den Alarm sofort abstellen. Sollte sich der Alarm als richtig erweisen, dann müssen dank des hochkomplizierten Sicherheitssystems im Gefängnis nur die betroffenen Areale evakuiert werden.“

Im Überschwemmungsgebiet

Für die WC-Spülung, Feuerlöschanlagen sowie für die Gartenbewässerung wird Brunnenwasser verwendet. Die Warmwasserbereitung der Justizanstalt erfolgt durch eine Solaranlage auf den Dächern, durch Wärmerückgewinnung der Kühlzellen und mittels Gaskessel. Probleme bereitet vor allem das Grundwasser, da sich das Objekt im Überschwemmungsgebiet der Donau befindet. Regelmäßig kommt es zu Wassereintritten. Dann muss das Wasser mit Pumpen aus dem Gebäude geschaffen werden. „Die gesamte Baumängelbehebung betrifft vor allem diese Wasserproblematik“, erklärt Heinz. „Das haben wir aber mittlerweile im Griff.“ Noch aber sind die Wasserränder des letzten Wassereinbruchs im Erdgeschoß, vor allem im großen Veranstaltungssaal, deutlich an den Wänden zu sehen. „Demnächst kommt der Maler – dann sieht man hier nichts mehr.“


Justizzentrum Korneuburg

  • Baubeginn: September 2009
  • Fertigstellung: August 2012
  • Nettogrundrissfläche Gericht: rund 16.900 Quadratmeter
  • Nettogrundrissfläche Justizanstalt: rund 17.000 Quadratmeter
  • Nettogrundrissfläche Technik & Tiefgarage: rund 3.600 Quadratmeter
  • Errichtungskosten (netto): rund 77 Millionen Euro
  • Bauherr: BIG Bundesimmobilien­gesellschaft mbH
  • Mieter: Bundesministerium für Justiz (BMJ)
  • Nutzer: Landesgericht, Bezirksgericht, Staatsanwaltschaft und Justizanstalt Korneuburg
  • Architekt/Generalplaner: Arge Dieter Mathoi Architekten und Architekturwerkstatt din a4
  • Örtliche Bauaufsicht: TDC Team Depisch Consult – ZT GmbH