Ist der Realismus mittlerweile in der Immobilienbranche eingekehrt?
Karl Derfler: Nein. Bei einigen Markteilnehmern würde, wenn sie die Lage realistisch betrachten, die ein Einsicht kommen müssen, dass es nur einen Ausweg gibt – dass es eigentlich nur mehr über die Insolvenz einen Neustart gibt.
Ich glaube es ist aber auch wichtig die Immobilienbranche ins rechte Licht zu rücken. Dazu gehört das Bewusstsein, dass unsere Branche immer in Korrelation zu den Finanzmärkten steht. Erstens weil sie eine alternative Möglichkeit anbietet Geld gewinnbringend anzulegen und zugleich die Zinsentwicklung auf mehreren Ebenen - häufig auch gleichzeitig - Auswirkungen auf verschiedene Aspekte des Immobiliengeschäftes hat. So haben beispielsweise die negativen Zinsen der Corona Ära das Fondsvolumen aller österreichischen Immobilienfonds auf mehr als 11 Milliarden Euro aufgeblasen (am 31.12.2022), nicht einmal zwei-ein-Viertel Jahre später liegen wir bei 7,4 Milliarden Euro, also fast einem Drittel weniger und dem Niveau von Ende 2017. Zieht man die Liquiditätsreserve ab, muss der Markt also theoretische drei Milliarden Euro Volumenreduktion in knapp mehr als zwei Jahren verkraften. Die das bedeutend mitverursachenden Zinserhöhungen haben aber damit nicht nur die Exitpipeline der Developer verstopft, sondern auch die Finanzierungen der Projekte verteuert und ebenso den Markt der Endkunden massiv abgebremst. Die KIM Verordnung hat ihr Übriges beigetragen. Zu allem Überdruss haben die Zinserhöhungen auch zu passiven Grenzverletzungen bei institutionellen Investoren geführt, sprich die Anleihevolumen haben bewertungstechnisch dermaßen verloren, dass plötzlich die bestehenden Immobilienvolumen einen zu hohen Anteil in der Asset Allocation bilden und institutionelle Kunden damit auch als Investoren ausfielen. Zusammengefasst: Eine Ursache, vier dramatische Auswirkungen, und das muss uns bewusst sein, wenn wir - durchaus hoffnungsvoll - in die Zukunft schauen.
Haben wir den Tiefpunkt der Krise erreicht?
Auch wenn sich die EZB jetzt anschickt, die Zinsen sukzessive zu senken, ist es doch so wie mit dem Hochwasser. Drei Tage Hochwasser reichen, die Schadensbewältigung dauert dann aber Jahre. Den Vertrauensverlust kann man auch nicht mit „Gesundbeten“ oder „Gesundtrinken“ wieder herstellen. Ich vermisse in Österreich den Mut zur Wahrheit, die Basisvoraussetzung für zukünftiges Vertrauen ist.
Aber wie gehen wir jetzt wirklich um damit?
Vielleicht wird die Mietpreisbremse zum Anlass genommen, sich beim Thema Zinshaus der Realität anzunähern. In den letzten zehn Jahren waren Zinshäuser überteuert, was zu einer großen Blase geführt hat.
Mit der Mietpreisbremse ist jetzt der richtige Zeitpunkt gekommen, sich langsam der Realität zuzuwenden. Die Bewertungen waren bei weitem nicht dort, wo die Realität liegt. Man braucht sich nur die wenigen aktuell stattfindenden Versteigerungen und die dabei erzielten Preise anzuschauen. Österreich hat allerdings eine beeindruckende Tendenz auch in der Krise hinterherzugehen und manche hoffen, dass sie bis zum nächsten Aufschwung einfach in den Winterschlaf gehen können.
Wir sollten uns nicht mehr damit beschäftigen, welches Immobilienunternehmen heute insolvent ist oder wer es morgen sein wird, sondern wie wir die Welt danach wieder neu aufbauen.
Es ist wichtig, sich von der Vorstellung zu lösen, dass eine Insolvenz eine Schande ist. Sie ist vielmehr eine Konsequenz des Eingangs angeführten Systems. Wir müssen einen Paradigmenwechsel einleiten.
Wir sollten uns vielmehr damit beschäftigen, wie wir entweder Insolvenzen konstruktiv vermeiden, aber auch, wie wir das das Insolvenzrecht immobilienfit bekommen. Ich vermisse hier Vorstöße der Interessensverbände und Kammern. In der Insolvenz versuchen dann manche Masseverwalter den Job des Entwicklers oder Investmentmaklers oder des Finanzierungsberaters zu übernehmen, die Realität erinnert aber eher an eine geschützte Werkstatt, die alle anderen Parteien zu sicheren Verlierern abstempelt.
Wie lange spielen die Banken mit? Man hört, die Banken prolongieren Kreditlinien, wo es geht.
Wie wir gerade festgestellt haben, ist das ja auch kein Wunder und in Anbetracht des Flächenbrands durchaus sinnvoll. Fairerweise muss man sich auch bewusst sein, dass die Finanzmarktaufsichten die Banken auch unter massiven Druck setzen. Wurden Finanzkrisen im vorigen Jahrhundert mit stabilisierenden Gesetzen deutlich abgefedert und dann über Jahrzehnte weg inflationiert, macht das System heute massiven Druck auf die Banken, NPLs (non performing loans) ehestens verlustbringend auszuscheiden. Ich möchte jetzt gar nicht auf die damit einhergehende Spekulation möglicher Inverstoren eingehen, aber Faktum ist, dass den Banken durch das Auskehren der NPLs wichtiges Eigenkapital für die Kreditvergabe fehlt. Wenn jetzt noch die Eigenkapitalvorschriften für die Vergabe der Gewerbeimmobilienkredite verschärft werden, dann ist das zusätzliches Gift für den zu erhoffenden Wiederaufschwung.
Die Herausforderungen sollen bei kleinen Banken größer sein, doch steht dann nicht eine große Mutter dahinter?
Viele kleine Banken haben in den letzten Jahren geglaubt ins Zinshausgeschäft einsteigen zu müssen und haben dort dann Kredite vergeben, wo andere schon lange „Nein“ gesagt haben. Das führt auch dazu, dass viele Zinshaus-Developer ein zerstreutes Kreditportfolio haben. Die haben es geschafft, dass 40, 50 Banken ihr Portfolio finanzieren. Und für viele dieser kleinen Banken ist natürlich die Situation auch bereits existentiell.
Die große Mutter hat jetzt nicht die große Freude. Das heißt, wenn die große Mutter die kleine Tochter aufnimmt, dann wird der Geschäftsleiter der kleinen Bank selten überleben.
Kommen wir wieder zu Frage zurück: „Wie gehen wir damit um?“
Was wir mit ADEQAT versuchen, ist ein Netzwerk an selbstständigen Unternehmen aufzubauen. Es erinnert ein wenig an das gute alte Raiffeisensystem aus dem neunzehnten Jahrhundert, wo viele Bauern miteinander gemeinsam sich Maschinen teilen und ihre Höfe zwar jeder selbst bewirtschaftet, aber gemeinsam damit viel stärker auch in der Vermarktung sind. In der Praxis heißt das, dass wir ein internationales Investoren Netzwerk aufbauen konnten, das von UK über Deutschland, die Schweiz bis zu Investoren aus der Türkei reicht, um damit den österreichischen Markt mit frischem Geld zu versorgen. So ergeben sich Suchanfragen in praktisch allen Asset Klassen. Natürlich muss man sagen, die Kernsegmente Wohnen und Büro sind nach wie vor sehr schwierig, weil die Preisvorstellungen selten zusammengehen. Aber in den Assetklassen Logistik, Serviced Appartements, Fachmarktcenter oder EKZs gibt es die Investoren, die einsteigen wollen. Auch die Nachfrage nach Datencenter wird massiv unterschätzt, hier mangelt es an guten Projekten.
Die Budgetrede letzte Woche bzw. die Sparmaßnahmen der Regierung sind nicht wirklich hilfreich, um die Immobilienbranche wieder zu beleben? Stichwort Share Deals!
Ich möchte dazu gar nicht Stellung nehmen, dazu haben wir ja unsere Verbände. Wir kümmern uns zwischenzeitlich um die Belebung des Immobilienmarktes!
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Karl Derfler ist erfahrener Investmentexperte und begann seine Karriere im Immobilienbereich als Projektentwickler im Raiffeisen Sektor. Danach war er zwanzig Jahre lang als Geschäftsführer der Bank Austria Real Invest GmbH (ehemalige M.A.I.L Finanzberatung) tätig und zeichnete u.a. die Gründung und Etablierung des größten und erfolgreichsten Immobilienfonds in Österreich verantwortlich.
Seit 2009 spezialisierte er sich mit der Derfler Helbich Gruppe auf Family Office Services sowie Investment- und Bauträgergeschäfte und gründete folglich ADEQAT.