Nachdem meine bisherigen Kommentare auf der akademischen Seite im ImmoFokus sich vor allem mit Forschungsaspekten beschäftigt haben, möchte ich diesmal gerne etwas aus dem zweiten großen Aufgabenbereich, der Lehre, berichten. An der Wirtschaftsuniversität bieten wir ein Wahlfach „Immobilienwirtschaft und Standort“ an. Das hat die Aufgabe, fundiert wirtschaftswissenschaftlich ausgebildeten WU-Studierenden Zusatzkenntnisse in Immobilienwirtschaft zu vermitteln. Natürlich kann man in zwei Lehrveranstaltungen zu je zwei Semesterwochenstunden nicht alles abdecken. Die beschränkte Stundenanzahl ist aber oft hilfreich, um sich auf das Wesentliche zu konzentrieren.
In der ersten der beiden Lehrveranstaltungen trachten wir danach, die Grundlagen zu vermitteln. Das macht meine Kollegin, Doris Oboril, ganz ausgezeichnet. Die zweite Lehrveranstaltung zielt darauf ab, dass die Studierenden in Gruppen eine immobilienwirtschaftliche Forschungsfrage untersuchen. Denn universitäre Lehre soll ja nicht nur Fakten vermitteln, sondern auch die Fähigkeit, selbst Probleme zu identifizieren, zu analysieren und Antworten auf die dabei auftretenden Fragen zu finden.
Um die Inhalte der Lehrveranstaltung nicht zu akademisch werden zu lassen, halte ich die Lehrveranstaltung gerne mit einem Partner aus der Praxis ab; in diesem Semester mit Philipp Kaufmann. Nachdem im letzten Semester die Frage im Zentrum gestanden ist, wie man Geschäfte in Neubaugebiete bringen kann, stürzen wir uns nun auf die alteingesessenen Geschäfte; nämlich auf jene außerhalb der Einkaufsstraßen. Während die Beziehung zwischen Einkaufsstraßen und Einkaufszentren heiß diskutiert wird, werden die Erdgeschoßzonen in den Nebenstraßen gerne übersehen. Sie tragen aber einen erheblichen Teil der Nahversorgung und sind auch für die Immobiliennutzung essentiell. Die leerstehenden Geschäftslokale im Nachbarhaus drücken das Image der Straße und beeinträchtigen den Geschäftserfolg meiner eigenen Erdgeschoßmieter. All das drückt auf die Mieteinnahmen und damit auch auf den Wert meiner eigenen Immobilie.
Als Grundlage für weitere Analysen erheben die Gruppen derzeit den aktuellen Geschäftsbestand in ausgewählten Gebieten Wiens wie dem Stuwerviertel, dem Servitenviertel oder am Spittelberg. Damit auch andere etwas von dieser Arbeit haben, tragen wir die Ergebnisse der Erhebung in OpenStreetMap ein. Wenn Sie also in diesen Karten bald Gassen mit vielen vermerkten Geschäften sehen, dann wissen Sie, dass unsere StudentInnen da am Werk waren. Auf der Grundlage dieser Datenbasis können wir im weiteren Verlauf der Lehrveranstaltung Fragen beantworten wie: Welche Geschäftsarten sind in einem bestimmten Viertel besonders stark vertreten, welche fehlen? Ballen sich einzelne Nutzungen irgendwo besonders? Finden wir bestimmte Nutzungen häufig in direkter Nachbarschaft? Gehen sich andere Nutzungen eher aus dem Weg? Was unterscheidet die Geschäfte im Servitenviertel von jenen im Freihausviertel? Usw. Natürlich werden sich die StudentInnen auch direkt mit ihren Untersuchungsgebieten und deren Geschäften beschäftigen. Was dabei genau zu untersuchen sein wird, muss aber erst in gemeinsamen Diskussionen auf Basis der Ergebnisse der Erhebung erarbeitet werden. Eine spannende Lehrveranstaltung wird es auf jeden Fall.
Gunther Maier ist Professor an der Wirtschaftsuniversität Wien, Leiter des Forschungsinstituts für Raum- und Immobilienwirtschaft und gemeinsam mit Shanaka Herath Autor von „Immobilienbewertung mit hedonischen Preismodellen“, das im März bei Springer erscheinen wird.