Schlagwort BIM (Building Information Modeling). Ist BIM für historische Gebäude überhaupt verwendbar?
Reinhold Sahl: Das ist eine kryptische Frage. Ich glaube überhaupt, wir haben oft den Ansatz, dass wir versuchen, mit standardisierten Prozessen viele Dinge unserer Welt abzubilden. Das ist gerade in historischen Objekten nicht möglich. Denken Sie an den Bereich Klima- und Raumtechnik – da haben wir in jedem Gebäude, das wir betreuen, eine Individuallösung.
Die Kunst wird es sein, die Freiheit in der technischen Gestaltung trotz der Anwendung digitalisierter, standardisierter Prozesse zu bewahren. Im Hintergrund müssen standardisierte Prozesse ablaufen. Aber das Ergebnis muss möglichst flexibel sein. Es ist natürlich so, dass kein standardisierter Ablauf auf alle unsere Fragen passt. Er passt nicht von den Objekten her, er passt nicht von der Nutzerstruktur und auch nicht von den Menschen, die bei uns im System arbeiten. Das ist eine entscheidende Frage. Nicht nur für uns und unsere historischen Objekte, sondern für jede Organisation.
In jeder Welle, die technologische Veränderungen mit sich bringt, versucht man zu standardisieren. Dadurch geht Individualität verloren, bis dieses Pendel wieder in die andere Richtung ausschlägt.
… aber nicht immer zum Besten.
Natürlich nicht immer zum Besten. Entscheidend aber ist zu hinterfragen, welche Faktoren die Entwicklungen gefördert und welche sie gehemmt haben. Vor allem aber: Was ist das Ergebnis? Die Menschheitsgeschichte ist von Innovationswellen geprägt. Die Digitalisierung ist eine solche und wird aus gutem Grund als eine weitere Phase der Industriellen Revolution gesehen. Welches Ergebnis sie bringt, wissen wir noch nicht. Wo uns die Reise mit BIM hinführen wird? Lassen Sie sich überraschen.
Das BIM hat einen anderen Aspekt, der gerade für uns als Burghauptmannschaft Österreich interessant ist. Das BIM wird bei historischen Gebäuden im Wesentlichen dazu verwendet, den aktuellen Baubestand aufzunehmen. Gleichzeitig ist bei uns das Monitoring des Betriebs ein großes Anliegen. Die aufgezeichneten Daten können uns – und unseren Nutzern – helfen, den Betrieb zu optimieren und effektiv zu gestalten. Wichtig dabei ist, dass wir mit denselben Daten arbeiten können. Dass der Datenstamm der gleiche ist. Sonst haben wir den dreifachen Aufwand.
Aber wie bekommt man die Daten auf einen aktuellen Stand? Ich kann mir vorstellen, dass Sie zwar viele historische Daten haben, die aber nicht mehr mit dem aktuellen Stand übereinstimmen.
Das ist durchaus richtig. Man darf nicht der Auffassung sein, dass man bei historischen Objekten schon alles weiß. Vieles ist noch nicht erforscht. Das heißt, wir können nicht alles wissen.
Aber das Thema Digitalisierung auf BIM zu reduzieren, ist zu kurz gegriffen. Digitalisierung bedeutet, auch Dinge erlebbar zu machen! Die Kunst der Digitalisierung liegt daher darin, nicht im Datenmüll zu ersticken. Man muss auch den Datenmüll, der zwangsläufig mit der Zeit entsteht, in den Griff bekommen. Am besten wäre es natürlich, auch in der digitalen Welt Müll generell zu vermeiden. Wenn sich ein Datenstand verändert, bedeutet dies eine massive Veränderung des Gesamtsystems. Hier heißt die Lösung, auf dezentrale, überschaubare Systeme, die intelligent miteinander verknüpft sind, zu setzen. Das ist schon spannend, aber es steckt noch alles in den Kinderschuhen. Eines jedoch ist bereits jetzt klar: Nicht alles, was man tun kann, sollte auch getan werden.
Welcher Mieter kann mit den Daten etwas anfangen?
Für das Kunst- oder Naturhistorische Museum wird das sicher ein Thema werden. Ich war kürzlich bei einem Treffen der Stätten des Europäischen Kulturerbesiegels in Estland. Unter anderem wurde dort die Frage aufgeworfen, ob man die Digitalisierung nutzen sollte, um nicht nur etwas abzubilden, also etwas digital sichtbar zu machen, sondern gleichzeitig auch Dinge zu zeigen, die man – auch vor Ort – nicht sieht. Als ein Beispiel dafür kann ich die Hofburg Innsbruck nennen.
Im Jahr 2019 jährt sich der Todestag Kaiser Maximilians I. zum 500. Mal. Aus diesem Anlass wird in der Hofburg Innsbruck eine Ausstellung zu seinem Leben und Wirken gezeigt. Während seiner Regierungszeit erfolgten wesentliche bauliche Veränderungen, die heute nicht mehr offensichtlich sind. Digitale Werkzeuge ermöglichen uns, die Hofburg in ihren baugeschichtlichen Etappen dem Besucher erlebbar zu machen. Die versteckten Dinge zu sehen, kann zu einer anderen Wahrnehmung des Gesamten führen.
… also auf den Punkt gebracht: Digitalisierung soll einen Mehrwert bringen.
Es gibt viele Facetten und viele Ansätze, wie man die Digitalisierung einsetzen kann. Abseits von dem Gedanken, nur etwas digital zu machen, was physisch schon da ist. Es geht darum, mehr als das, was sichtbar ist, zu zeigen. Es geht aber auch darum zu individualisieren. Jeder Nutzer, jeder Besucher hat einen sehr persönlichen Zugang. Der Anspruch an die Digitalisierung ist es, Inhalte für alle nutzbar zu machen.
Digitalisierung ist kein Selbstzweck. Digitalisierung allein ist nicht das Ziel. Die Digitalisierung ist eine neue Welt, die durch ihre Rahmenbedingungen und die Werkzeuge, die man benutzt, gestaltet wird. Dazu gehören auch Entscheidungsfindungsprozesse, die wir als Gesellschaft brauchen, um zu wissen, wie wir Digitalisierung einsetzen und wie nicht. Es bleibt letztendlich eine Frage der Individualität und der Veränderung. Wir sind vielleicht ein Paradebeispiel dafür, wie man in einem gegebenen Umfeld die Digitalisierung und individuelle Arbeit in Einklang bringen kann.
Die Digitalisierung spielt auch eine Schlüsselrolle im Europäischen Jahr des Kulturerbes 2018.
Die Europäische Kommission in Brüssel hat das Themenjahr initiiert und unter das Motto „SHARING HERITAGE“ gestellt. Es soll ein verstärktes Gefühl der Zusammengehörigkeit vermitteln und vor allem junge Menschen ansprechen. Wo liegen gemeinsame Wurzeln? Welche Kultur verbindet uns? Was wollen wir erhalten? Diese und andere Fragen sollen 2018 auf europäischer und lokaler Ebene diskutiert werden. Die digitale Welt wäre eine gute Möglichkeit, diese Verknüpfungen herzustellen. In einer Form, die die Objekte nicht beeinträchtigt. Wie aber kann man viele Bürger in diese Gedankenwelt einbinden? Heuer fällt der Startschuss, um Initiativen zu initiieren, welche die Verbindung zwischen unserem gebauten kulturellen Erbe mit Musik, Theater und den europäischen Werten sichtbar machen und festigen. Mit der Digitalisierung können wir Dinge zeigen, die man sonst nicht sieht. Das Innere nach außen tragen.