Von 6. Februar bis 2. März war die Erfolgsausstellung „Über Tourismus“ des Architekturzentrum Wien in der VHS Kulturgarage in aspern Seestadt zu sehen. Im Rahmen der Abschlussveranstaltung diskutierten Ende Februar Cornelia Dlabaja (Stiftungsprofessur für nachhaltige Stadt- und Tourismusentwicklung, FHWien der WKW), Daniela Kolesa (Leitung Destinationsmanagement, WienTourismus), Katharina Ritter (Co-Kuratorin der Ausstellung, Az W) und Florian Van der Bellen (Head of Destination Development, PKF hospitality), wie Tourismus zum Wohle aller gestaltet werden kann.
Unter Moderation von Journalistin Astrid Kuffner drehte sich die Diskussion um Fragen wie: Welche Strategien braucht es für einen nachhaltigeren Tourismus? Wie können Raumplanung und Architektur dazu beitragen, dass Tourismus seinen wirtschaftlichen Nutzen bewahrt, ohne Städte und Landschaften zu überlasten? Und wer ist dafür verantwortlich, dass Urlaubsdestinationen und ihre Bevölkerung vor Auswüchsen geschützt werden?
Immer zu viel oder zu wenig?
Im Zuge seiner Begrüßung brachte Wien 3420-CEO Gerhard Schuster einen wesentlichen Aspekt des Tourismus in die Diskussion ein: Es gibt meist zu viel oder zu wenig davon. Es gelte also, die richtige Balance zu finden.
Wie Daniela Kolesa ausführte, müssten in erster Linie die Einheimischen „ihre“ Stadt nutzen können und als lebenswert empfinden. Dass auch Gäste gerne kommen, soll Mehrwert für die Bevölkerung bedeuten – etwa indem die Vielfalt der Kunst und Kultur von der zusätzlichen Nachfrage profitiert. Um diese Ausgewogenheit zu schützen, brauche es Regulierungen. Laut Kolesa sei Wien hier besonders gut aufgestellt. Der soziale, geförderte Wohnbau in der Stadt und Einschränkungen beispielsweise bei Kurzzeit-Vermietungen seien wesentliche Stellschrauben, um die Verdrängung der Bevölkerung aus touristischen Hotspots zu verhindern, wie dies in anderen frequentierten Städten wie Lissabon, Barcelona oder Venedig geschehen ist. Doch freilich stehe auch Wien – und hier besonders das historische Stadtzentrum – vor der Herausforderung, sich vor der Vereinnahmung schützen zu müssen, um authentisch zu bleiben. WienTourismus etwa führt daher im Jahr ca. 4.000 Umfragen zu zahlreichen Aspekten des Tourismus durch, um „painpoints“ zu identifizieren und Lösungen zu erarbeiten.
Dezentralisierung – von der Seestadt lernen
Cornelia Dlabaja, im Rahmen ihrer ethnografischen Forschung und ihrer ersten von mittlerweile drei Wohnzufriedenheits-Studien selbst temporär Bewohnerin der Seestadt, sieht im Stadtteil eine besonders nachhaltige Tourismusdestination. „Als geplante Stadt aus einem Guss bietet sie ganz andere Voraussetzungen als historisch gewachsene Stadtzentren und verträgt Tourismus schon allein aufgrund des räumlichen Angebots sehr gut“, so Dlabaja. Die Forscherin ist der Meinung, dass andere Orte hier viel von der Seestadt lernen könnten.
Einem neuen, innovativen Teil Wiens beim Wachsen zusehen zu können – damit bewirbt WienTourismus die Seestadt als „besuchenswertes Wiener Grätzel der Zukunft“ im Rahmen seiner Heartbeat Streets-Kampagne. Insbesondere wiederkehrende Besucher*innen werden in Stadtteile außerhalb der historischen City gelenkt. Im Sinne der polyzentralen Stadt und dem Konzept der Dezentralisierung wird Städtetourismus so neu gedacht. Es gehe darum Wien in seiner Lebendigkeit und Unterschiedlichkeit zu präsentieren, so Kolesa.
Ein „Luxusproblem“ Wiens nennt es Florian Van der Bellen, der Destinationen auf der ganzen Welt berät und bei ihrer Tourismusstrategie begleitet. Als sichere und weltberühmte Stadt stellt er Wien ein außerordentlich gutes Zeugnis als Tourismusziel aus. Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern sei es Österreich möglich gewesen, in 80 Jahren Frieden und Aufschwung an diesen Punkt zu gelangen. Nur wenige Destinationen hätten eine echte Tourismusstrategie – und wenn, dann erst zu einem sehr späten Zeitpunkt, an dem es immer schwieriger werde, gegenzusteuern.
Natürlich sind Städte und ländliche Gegenden in Österreich jedoch schon allein aufgrund ihrer Größe ganz unterschiedlich von Tourismus „betroffen“. Unbestreitbar hätten manche Orte in abgeschiedenen Regionen wohl nur „überlebt“, weil mit den Urlauber*innen auch materieller Wohlstand kam. Der Tourismus verändere Orte laut Katharina Ritter jedoch oft so sehr, dass diese für die Einheimischen wieder unattraktiv oder auch unleistbar werden. Daher sei es entscheidend, sich die Frage zu stellen, welche Ziele eine Destination mit ihrer Tourismusstrategie verfolgt und wo bewusst Grenzen gezogen werden können.
Worin sich alle Diskutant*innen einig waren: Es braucht die Durchsetzung und Kontrolle von bestehenden Regularien, um Übertourismus entgegenzuwirken und eine gesunde Balance zu halten. Konsens herrschte aber auch darüber, dass der Tourismus ein ganz wesentlicher Wirtschaftszweig und Teil unseres Lebensstils ist, von dem alle profitieren können. Ein entscheidender Hebel im Sinne der Nachhaltigkeit sei das Bewusstsein von uns allen, auf Reisen Gast zu sein und das zu respektieren und zu bewahren, weshalb wir gekommen sind.