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Klima-Glossar: Lieferkettengesetz

Globalisierte Produktionsprozesse liefern günstige Produkte in reiche Länder, oft auf Kosten von Menschenrechten und Umweltstandards in Produktionsländern
Michael Neubauer
EU Lieferkettengesetz
EU Lieferkettengesetz
© AdobeStock Cevahir

Im Zuge der Globalisierung haben sich Produktionsprozesse, Waren- und Kapitalflüsse weltweit enorm vernetzt. Europäische und amerikanische Unternehmen haben viele ihrer Produktionsschritte in weit entfernte Regionen verlagert, weil sich dort billiger produzieren lässt. Reiche Länder profitieren von einer breiten Palette an günstigen Waren, oft auf Kosten der Menschenrechte und Umweltstandards in den Produktionsländern. Ein Lieferkettengesetz soll das in Zukunft verhindern.

Moderne Lieferketten erstrecken sich über die ganze Welt und sind oft hoch komplex. Smartphones werden etwa in den USA entwickelt, die Rohstoffe für den Touchscreen stammen aus China, das Lithium für den Akku aus Bolivien, das Gold in der SIM-Karte aus Südafrika, das Kupfer für die Kontakte kommt aus Chile, die seltenen Erden für Mikroprozessoren aus Indien. Verarbeitet werden die Rohstoffe zum Beispiel in Indonesien, in China wird daraus dann das Smartphone gebaut. Vertrieben wird etwa über ein Tochterunternehmen im steuerschonenden Irland, gekauft und genutzt wird das Mobiltelefon weltweit. Am Ende landet es als Elektroschrott auf den Müllhalden im Ghana oder Nigeria und verschmutzt dort Trinkwasser und Böden.

So oder so ähnlich sehen die Produktionsprozesse vieler Produkte aus, die in Österreich alltäglich von vielen Menschen gekauft und genutzt werden. Kaffee kommt aus Südamerika, Gemüse aus Afrika und die neueste Mode aus Bangladesch. Die Arbeitsbedingungen in den Produktionsländern sind oft extrem schlecht, die Arbeitstage lang und die Löhne weit unter dem Existenzminimum. Auch Kinder müssen häufig unter diesen Bedingungen arbeiten, um das Familieneinkommen aufzubessern. Die Wahrung der Menschenrechte und Umweltstandards spielen dabei häufig kaum eine Rolle. Für Verbraucherinnen und Verbraucher sind Herkunft und Produktionsbedingungen schwer nachvollziehbar und nachhaltiger Konsum deshalb oft unmöglich.

Am 24. Mai 2024 wurde ein EU-Lieferkettengesetz verabschiedet, damit große Unternehmen künftig vor europäischen Gerichten zur Verantwortung gezogen werden können, wenn sie Menschenrechte und Umweltschutz entlang ihrer Lieferkette missachten. Das EU-Parlament hat bereits im März 2021 ein entsprechendes EU-Gesetz gefordert. Die EU-Staaten konnten sich aber erst nach mehreren Anläufen im März 2024 auf einen gemeinsamen Kompromiss einigen - trotz des Widerstands einiger Länder, darunter Österreich. Im Verhandlungsprozess wurden die neuen EU-Regeln stark abgeschwächt. Statt für Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten und mindestens 150 Mio. Euro Umsatz sollen sie nur noch für Firmen mit 1.000 Beschäftigten und 450 Mio. Euro Umsatz gelten. Die deutsche "Initiative Lieferkettengesetz" schätzt, dass statt 16.000 EU-Unternehmen nur noch 5.500 EU-Firmen die neuen Regeln einhalten müssen.

Abhängig von der Unternehmensgröße erhalten die betroffenen Firmen eine Übergangsfrist, um sich auf die neuen Regeln einzustellen. Nach drei Jahren sollen die Vorgaben für Firmen mit mehr als 5.000 Beschäftigten und mehr als 1,5 Mrd. Euro Umsatz weltweit gelten, nach vier Jahren sinken diese Grenzen dann auf 4.000 Beschäftigte und 900 Mio. Umsatz, nach fünf Jahren gelten die Regeln schließlich für Unternehmen mit 1.000 Beschäftigten und 450 Mio. Euro Umsatz.

Als Strafen können zum Beispiel die namentliche Anprangerung oder Geldstrafen in Höhe von bis zu 5 Prozent des weltweiten Nettoumsatzes des Unternehmens verhängt werden. Größere Unternehmen (mit einem Jahresumsatz von über 150 Mio. Euro) müssen zudem sicherstellen, dass ihr Geschäftsmodell und ihre Strategie auf die Begrenzung der globalen Erderwärmung von maximal 1,5 Grad ausgerichtet sind, also die Pariser Klimaziele einhalten.

Die deutsche sowie die österreichische Wirtschaft hatten sich gegen die neuen EU-Regeln ausgesprochen. Sie kritisierten unter anderem kaum erfüllbare Dokumentationspflichten. Die deutsche Regierung hatte sich auf Druck der FDP enthalten. Auch der österreichische Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) stimmte dem Vorschlag nicht zu. Nachdem Italien seinen Widerstand aufgab, kam die notwendige Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten schließlich zustande. (apa)