Die Europäische Zentralbank (EZB) kann sich aus Sicht ihrer Präsidentin Christine Lagarde im Kampf gegen die Inflation auch nach zehn Zinserhöhungen noch nicht entspannt zurücklehnen. Die EZB habe ihre Geldpolitik erheblich gestrafft, dies zeige zunehmend Wirkung und der Inflationsdruck lasse nach, sagte Lagarde am Dienstag auf einer Veranstaltung mit dem deutschen Finanzminister Christian Lindner in Berlin.
"Aber es ist noch zu früh, damit zu beginnen, den Sieg zu verkünden", betonte die EZB-Präsidentin. In der aktuellen Phase müsse die EZB die verschiedenen Einflussfaktoren der Inflation genau beobachten. "Wir müssen die Entwicklungen aufmerksam verfolgen, bis wir eindeutige Belege dafür sehen, dass die Voraussetzungen für eine dauerhafte Rückkehr der Inflation zu unserem Zielwert gegeben sind," führte sie aus. Die Notenbank müsse ihren Fokus stets unbeirrt auf das Preisstabilitätsmandat richten. "Erwarten Sie kein Zögern", sagte Lagarde.
Die EZB werde die Risiken einer hartnäckigen Inflation weiter scharf im Blick halten müssen, führte die Notenbankchefin aus. Ein wichtiger Faktor für die EZB in diesem Zusammenhang ist, ob die kräftigen Lohnzuwächse im Euroraum weiterhin vor allem Aufholeffekte darstellen und ob Unternehmen die höheren Löhne über ihre Gewinnmargen auffangen. Auch muss die EZB darauf achten, dass die langfristigen Inflationserwartungen in der Spur bleiben. Unlängst hatte Lagarde gesagt, es sei in den nächsten paar Quartalen nicht mit einer Änderung der Zinsen zu rechnen. Ähnlich äußerte sich am Montagabend auch Frankreichs Notenbankchef Francois Villeroy de Galhau.
Die Gesamtinflation werde in den kommenden Monaten voraussichtlich wieder leicht ansteigen, vor allem aufgrund von Basiseffekten, die mit den vergangenen Preisschüben zusammenhingen, sagte Lagarde. "Aber wir sollten eine weitere Abschwächung des Inflationsdrucks sehen", fügte sie hinzu. Die EZB hatte im Oktober nach einer Serie von Zinsanhebungen angesichts der schwächelnden Konjunktur und deutlich sinkenden Inflationszahlen eine Zinspause beschlossen.
Der am Finanzmarkt richtungsweisende Einlagensatz, den Banken für das Parken überschüssiger Gelder von der Notenbank erhalten, wurde bei 4,00 Prozent belassen - das höchste Niveau seit dem Beginn der Währungsunion 1999. Noch im Juni 2022 hatte der Satz bei minus 0,50 Prozent gelegen. Am Finanzmarkt wird bereits mit ersten Zinssenkungen in der ersten Hälfte 2024 gerechnet. Die EZB strebt 2,0 Prozent Inflation als Optimalwert für die Wirtschaft an. Im Oktober lag die Inflation noch bei 2,9 Prozent. (apa)