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COVID-19 Pandemie: Gutachten stärkt Mietern den Rücken - Vermieter haben schlechte Karten

Trotz klarer Regelung im ABGB sind Gastronomen, Kaffeesieder und Hoteliers mit Forderungen von Vermietern und Verpächtern bis hin zu Räumungsklagen konfrontiert. Insbesondere auch deshalb, weil der Gesetzgeber im Rahmen der COVID-19 Gesetzgebung keine ausreichende Klarstellung getroffen hat. Ein von den Fachgruppen Gastronomie, Kaffeehäuser und Hotellerie bei Univ. Prof. Dr. Brigitta Zöchling-Jud, Professorin für Zivilrecht und Dekanin der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten stärkt die Position von Mietern und Pächtern.
Michael Neubauer
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Die Paragraphen 1104 f ABGB geben klare Regeln für den Fall der Pandemie vor, nichtsdestotrotz sehen sich Mieter / Pächter mit (teilweise massiven) Forderungen von Vermietern / Verpächtern und Mietzins- und Räumungsklagen konfrontiert. Dazu ist noch strittig, ob staatliche Unterstützungen das Recht von Mietern, Mietzinsentfall- oder Minderung geltend zu machen, beschränken.

Die Minderung wirkt ex lege, so dass ein zu viel entrichteter Zins nach bereicherungsrechtlichen Grundsätzen zurückgefordert werden kann. 

Ob und inwieweit die COVID-19 Pandemie zu einer gänzlichen oder teilweisen Unbrauchbarkeit des Bestandobjektes führt, ist stets am "bedungenen Gebrauch" zu messen. Maßgebend ist also der Vertrag. Dabei kommt es nicht nur auf ausdrücklich Vereinbarungen an, sondern auch auf den gewöhnlich vorausgesetzten Verwendungszweck. Ein Bestandgeber kann nicht dazu verhalten werden, im Geschäftslokal ein anderes Geschäft als vertraglich vereinbart oder wie bisher betrieben auszuüben, um dem Bestandgeber den vollen Bestandzins zu erhalten. 

An einer individuellen Prüfung jedes einzelnen Mietvertrages allerdings führt kein Weg vorbei - da §§1104 f dispositives Recht sind und etwa der "bedungene Gebrauch" anhand des konkreten Bestandvertrages zu prüfen und festzustellen ist. 

Es besteht auch keine Verpflichtung, ein Liefer- oder Abholservice einzurichten, wenn ein solches nicht schon vor der Pandemie betrieben wurde. Ein solches Liefer- oder Abholservice, das bisher betrieben wurde, sogar eingestellt werden, wenn es wegen der Pandemie nicht mehr betriebswirtschaftlich sinnvoll betrieben werden kann.

  •  Ob ein Bestandnehmer den Bestandzins auch dann (ganz oder teilweise) zu entrichten hat, wenn er das Bestandobjekt auf Grund der aktuellen Pandemie nicht vertragsgemäß nutzen kann, ist eine Frage der Gefahrtragung, die im ABGB umfassend geregelt ist. Dabei gilt als Grundsatz, dass die Preisgefahr den Bestandgeber trifft, also zufällige Ereignisse wie die aktuelle COVID-19 Pandemie in seine Sphäre fallen. Dies gilt nicht nur für gewöhnliche Zufälle (§ 1096 ABGB), sondern auch für "außergewöhnliche Zufälle" iSd §§ 1104 f ABGB. Die Besonderheit bei außergewöhnlichen Zufällen besteht darin, dass der Bestandgeber von der Wiederherstellungspflicht befreit wird. Die §§ 1096, 1104 f ABGB sind ein gesetzlich positivierter Fall der Lehre vom Wegfall der Geschäftsgrundlage.
  • Entsprechend der herrschenden Lehre und der (bislang vorliegenden erstinstanzlichen) Judikatur ist die COVID-19 Pandemie als außerordentlicher Zufall iSd § 1104 ABGB anzusehen. Die durch die Pandemie verursachte Unbrauchbarkeit eines Bestandobjektes führt also dazu, dass den Bestandnehmer keine oder nur eine eingeschränkte Verpflichtung trifft, den Bestandzins zu zahlen.
  • Unter §§ 1104 f ABGB sind nicht nur Gebrauchsbeeinträchtigungen zu subsumieren, die unmittelbar auf einer behördlichen Maßnahme (Betretungsverbot, Abstandsregelungen, Einschränkung der Öffnungszeiten) beruhen, sondern auch sonstige pandemiebedingte Umsatzausfälle. Stets muss aber die im Kunden- und Umsatzrückgang liegende Beeinträchtigung auf die Pandemie zurückzuführen sein, wofür der Mieter/Pächter beweispflichtig ist. Der Zusammenhang ist aber für die Bereiche der Gastronomie und Hotellerie prima facie anzunehmen.
  • Die §§ 1104 f stellen für Miete und Pacht weitgehend gleiche Regelungen bereit. Dies gilt von vornherein für den Entfall der Wiederherstellungspflicht des Bestandgebers bei außerordentlichen Zufällen und für den Entfall der Zinszahlungspflicht bei Unbrauchbarkeit des Bestandobjektes. Unbrauchbarkeit (und nicht Gebrauchsbeeinträchtigung) liegt immer dann vor, wenn das Bestandobjekt über einen bestimmten Zeitraum nicht benützt werden kann, wenn Teile davon unbrauchbar sind, oder auch dann, wenn ein nur ganz geringer Ertrag erwirtschaftet werden kann. Ein Restnutzen, der etwa in der Lagerung von Waren liegt, ist unbeachtlich. Liegt eine bloße Gebrauchsbeeinträchtigung vor, ist auch ein Pächter eines für mehr als ein Jahr gepachteten Objektes zur Pachtzinsminderung berechtigt, wenn der durch den außerordentlichen Zufall verursachte Nachteil nicht in Folgeperioden kompensiert werden kann, wie es für Betriebe des Gastgewerbes oder Hotels typisch ist.
  • Ob und inwieweit die COVID-19 Pandemie zu einer gänzlichen oder teilweisen Unbrauchbarkeit des Bestandobjektes führt, ist stets am "bedungenen Gebrauch" zu messen. Maßgebend ist also der Vertrag. Dabei kommt es nicht nur auf ausdrücklich Vereinbarungen an, sondern auch auf den gewöhnlich vorausgesetzten Verwendungszweck.
  • Ein Bestandgeber kann nicht dazu verhalten werden, im Geschäftslokal ein anderes Geschäft als vertraglich vereinbart oder wie bisher betrieben auszuüben, um dem Bestandgeber den vollen Bestandzins zu erhalten. Kaffeehäuser müssen also nicht zu Lebensmittelgeschäften oder, wie etwa ein Vermieter ernsthaft meint, in Apotheken umgewandelt werden.
  • Es besteht auch keine Verpflichtung, ein Liefer- oder Abholservice einzurichten, wenn ein solches nicht schon vor der Pandemie betrieben wurde. Gegebenenfalls kann ein solches Liefer- oder Abholservice, das bisher betrieben wurde, sogar eingestellt werden, wenn es wegen der Pandemie nicht mehr betriebswirtschaftlich sinnvoll betrieben werden kann.
  • Ein allfälliger Restnutzen des Geschäftslokals durch Lagermöglichkeiten, Unterbringung der Geschäftsausstattung uä stellt keine teilweise Brauchbarkeit iSd § 1105 ABGB dar, sondern Unbrauchbarkeit iSd § 1104, weil die Lagerung und Unterbringung idR nicht Selbstzweck ist.       
  • Zwischen Entfall des Bestandzinses und Minderung besteht wie bei § 1096 ABGB nur ein quantitativer Unterschied. Auch bei §§ 1104 f ist das Ausmaß der Zinsminderung nach der relativen Berechnungsmethode zu bestimmen. Daher ist die Minderung durch Vergleich des vereinbarten Bestandzinses zu jenem Bestandzins zu ermitteln, der trotz Gebrauchsbeeinträchtigung am Markt zu erzielen wäre. Maßgebend ist der Grad und die Dauer der Unbrauchbarkeit, die wiederum am Vertragszweck zu orientieren ist. Gute Gründe sprechen dafür, die Unbrauchbarkeit am Umsatzentgang zu messen und daher bei der Berechnung der Minderung einen Umsatzvergleich anzustellen. Die Mietzinsminderung hat den gesamten Mietzins zum Ausgang zu nehmen, also  auch die Betriebskosten zu erfassen. 
  • Die Minderung wirkt ex lege, so dass ein zu viel entrichteter Zins nach bereicherungsrechtlichen Grundsätzen zurückgefordert werden kann. In der vorbehaltslosen Zahlung des Zinses liegt nur dann ein konkludenter Verzicht auf die Minderung, wenn sie nicht irrtümlich erfolgte, einschließlich Rechtsirrtümern.
  • Staatliche Unterstützungen haben keine Auswirkungen auf die zwischen Bestandnehmer und Bestandgeber geltende gesetzliche Rechtslage. Der Mieter/Pächter kann sich also auch dann auf §§ 1104 f ABGB gegenüber dem Vermieter/Verpächter berufen, wenn er staatliche Unterstützungsleistungen in Anspruch nimmt.