60 Prozent des gesamten Mietwohnungsbestandes der Bundeshauptstadt besteht aus Gemeinde- und Genossenschaftswohnungen. Tatsächlich wohnen dort aber viele Menschen, die überdurchschnittlich gut verdienen und keine finanzielle Hilfe benötigen. Dadurch, so Berechnungen des Österreichischen Haus- und Grundbesitzerbund (ÖHGB), entgehen – oder besser gesagt verzichtet, die Gemeinde Wien auf 120 Millionen Euro – pro Jahr. „Damit könnte die Stadt Wien sofort für rund 100.000 anspruchsberechtigte Personen am Privatmarkt das Wohnen günstiger machen, also knapp zweimal St. Pölten entlasten. Ohne einen Cent Steuergeld dafür aufzuwenden, einzig und allein durch gerechtere Mieten“, so der ÖHGB-Präsident und ständiger ImmoFokus-Kommentator Martin Prunbauer.
Auf den ersten Blick ein bestechendes Argument. Aber selbst wenn ein Einkommensmonitoring eingeführt werden sollte, wird es (zu) lange dauern, bis sich dieses in spürbaren Mehreinnahmen niederschlägt. Pacta sunt servanda. Als langfristige Maßnahme führt daran aber kein Weg vorbei.
Dass es um die soziale Treffsicherheit im sozialen Wohnbau nicht gut gestellt ist, haben SPÖ-Wohnbausprecherin Ruth Becher und die Vorsitzende der Mietervereinigung Wien, Elke Hanel-Torsch indirekt bestätigt.
Während des Lockdowns wurde von der Regierung die Möglichkeit von Mietstundungen geschaffen, diese schieben die Mietkosten für Menschen, die sie sich aufgrund der Krisensituation nicht mehr leisten konnten, bis Ende des Jahres auf. Danach müssen diese Mieten mit vier Prozent Verzugszinsen zurückgezahlt werden, für viele wird dies nicht leistbar sein. „Die Regierung weigert sich für diese Situation Lösungen zu schaffen. Das ist ein veritabler Skandal, denn wenn hier nicht eingegriffen wird, droht zur Gesundheits- und Arbeitsmarktkrise auch noch eine Wohnkrise. Die Regierung darf nicht zusehen, wie Menschen im Winter delogiert werden“, so Ruth Becher. Abgesehen davon, dass Delogierungen nicht so rasch über die Bühne gehen – bedeutet die Aussage, dass viele, die auf eine Wohnung im sozialen Wohnbau angewiesen wären, sich am teureren privaten Wohnungsmarkt versorgen müssen.
In Summe ein Armutszeugnis für die Sozialdemokratie, die seit Beginn der 2. Republik an der Wiener Regierungsspitze steht. Hätte sie es nicht in der Hand den sozialen Wohnbau zu forcieren und die soziale Treffsichereit zu erhöhen? Stichwort: Gerechtigkeit muss sein. Oder macht diese vor dem Gemeindebau halt?
Die Mieten steigen allerdings auch, weil die Grundstückspreise kein Halt kennen. Auch hier schaut die Gemeinde Wien, abgesehen von der Widmungskategorie geförderter Wohnbau - tatenlos zu. Sie sitzt, wie auch andere Gebietskörperschaften, auf enormen Grundstücksreserven. Würde ein Teil davon auf den Markt kommen, hätte dies durchaus dämpfende Wirkung auf die Grundstückspreise. Aber diese müssen ja zu Höchstpreisen verkauft werden, wollen sich die politischen Verantwortlichen nicht dem Vorworf ausgesetzt sehen, Tafelsilber zu billig verhökert zu haben. Der Verkauf von Grundstücken würde mehr bringen als ein Unterbinden „spekulativer Geldflüsse“ aus dem Ausland, da sie die Grund- und Baukosten anheizen. Das fordern zumindest Becher und Hanel-Torsch. „Außerdem soll die Republik 150.000 Sozialwohnungen bis 2026 in ganz Österreich selbst errichten. Dabei sind auch strukturschwache Regionen zu berücksichtigen. Die Finanzierung kann über Gratiskredite der europäischen Investitionsbank erfolgen", so das Duo. Gute Idee! Warum aber geht die Gemeinde Wien hier nicht mit gutem Beispiel voran?