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Mythos oder Realität von Lebenszykluskosten in der Immobilienwirtschaft

In einem ist sich die Runde schnell einig: Die natürlichen Ressourcen der Erde sind begrenzt. Das Thema Rohstoffknappheit steht daher zunehmend im Fokus.
Michael Neubauer

Lebenszykluskosten. Eine Reportage mit Praktikern.

Aufgestanden und nicht mehr 20. Ich merke, wie ich mit bald 50 nicht mehr so dynamisch, nicht mehr so belastbar bin. Im Radio höre ich einen Bericht zu Tschernobyl und stelle fest, dass ich davon betroffen bin. War ich damals vor 30 Jahren im Freien, habe ich auch etwas abbekommen, das Falsche gegessen? Ich bin verunsichert. Wer kann mir hier helfen? Freunde? Meine Mutter? Oder habe ich nicht damals ein Tagebuch geschrieben? Wenn ich nur wüsste, wo dieses liegt! Am Weg zur Arbeit kreisen meine Gedanken um das Thema „Zeit“ und plötzlich kommt mir der Begriff „Total Cost of Ownership“ bzw. TCO in den Sinn. Bei meinesm Computer hat mir mein Berater  über die gesamte Lebensdauer des Gerätes aufgezeigt, was mich das für mich als Journalist wichtigste Werkzeug vom Kauf bis zur Entsorgung kostet. Überraschend sind hier die  großen Unterschiede und Apple siegt hier nicht. Aber ich liebe mein MacBook und bin mit allen Funktionen so vertraut, dass ich einfach beim Schreiben schneller bin, womit ich ja schließlich mein Geld verdiene – hat dies mein Berater auch berücksichtigt? Wenn ich darüber genauer nachdenke, war dieser Aspekt beim Berratungsgespräch keine Zeile im EXCEL.Dem sollte ich einmal nachgehen, wenn dafür Zeit ist. Jetzt bin ich gleich im Millennium Tower. Völlig umgebaut und mit der neuen Fassade und dem neuen Look einfach eine Augenweide. Hier haben viele ihre Jobs richtig gut gemacht und es macht richtig Spaß, ins Gebäude zu gehen, einen Kaffee zu trimken und kurz zu verweilen. Gewaltig, wie wenige Maßnahmen so viele Effekte haben. Das Quartier ist ein Landmark, ein internationaler noch dazu. Das Gebäude ist nicht mehr das höchste von Österreich, aber mit Tower, Einkaufszentrum, Kino und vielem mehr einzigartig. Nach 15 Jahren sind nun scheinbar umfassende Maßnahmen möglich. War dies zu Beginn eingeplant? Wussten die Bauträger damals, dass dies nötig sein würde? Warum haben die letzten Eigentümer verkauft, ohne diese Wertsteigerung mitzunehmen? Die neuen Investoren verstehen offensichtlich ihr Geschäft und ich bin als Nutzer ein Fan und begeistert. Jetzt will ich wissen, welche Rolle der Lebenszyklus bei Immobilien wirklich spielt.

Im Büro angekommen rufe ich einige Experten zusammen, denen ich vertraue, mir die richtigen Antworten geben zu können. Die Runde steht schnell, alle kommen in den Millennium Tower und eine lebhafte Diskussion beginnt. Die Eröffnung von Marc-Guido Höhne vom Berater Drees und Sommer überrascht mich dann doch: „Wir sprechen vom Lebenszyklus und hier spielen Kosten eine relevante Rolle. Aber wovon sprechen wir genau? Was verstehen wir darunter?“ Die Fragen, die Höhne zu Beginn in die Runde wirft, irritieren meine Gäste. Marc-Guido spürt dies und legt noch ein Schäuflein nach: „Bei uns haben sogar einzelne Fachbereiche unterschiedliche Vorstellungen.“ Das macht die Sache nicht einfacher. Eines ist für ihn klar: In der technischen Due Diligence bei Bestandsobjekten geht ohne Betrachtung der Lebenszykluskosten nichts mehr. „Da stellt sich immer die Frage: Wie lange hält die Anlage noch? Was muss investiert werden, um den Lebenszyklus zu verlängern?“ Eine nicht immer einfache Aufgabe. Denn in vielen Bereichen sind die Erneuerungszyklen wesentlich kürzer als die Lebenszyklen. Mir kommt das Millennium Vienna in den Sinn und ich spüre, wie mir manches klarer wird.

MMF_Roundtable_April-13_bearb Gebäude als Rohstoffbanken

In einem ist sich die Runde schnell einig: Die natürlichen Ressourcen der Erde sind begrenzt. Das Thema Rohstoffknappheit steht daher zunehmend im Fokus. „Eine Lösung ist, dass wir Gebäude als Rohstoffbanken begreifen müssen“, meint Höhne: „Wie kann man Materialien weiterverwerten?“ Aus diesem Grund setzt Drees & Sommer auf den Cradle-to-Cradle-Ansatz, der bereits 2012 von der Österreichischen Gesellschaft für Nachhaltige Immobilienwirtschaft (ÖGNI) am 2. Bauherrenkongress in Österreich vorgestellt wurde. Ich erinnere mich an die Eröffnungsrede von Gründungspräsident Philipp Kaufmann. Damals postulierte er den Paradigmenwechsel der Bau- und Immobilienbranche hin zur Nachhaltigkeit und den Leitsatz „Visionen ohne Umsetzung sind geträumt“, was aber sind die Visionen? „Gebäude zu bauen, zu bewirtschaften und zu nutzen ohne Verzicht, ohne Verschwendung; vielmehr gesunde Gebäude mit einer Fokussierung auf die Interessen der Nutzer im Einklang zwischen Ökologie, Ökonomie und sozio-kulturellen Qualitäten“, führte ImmoNomade Philipp Kaufmann aus: „Qualität ist auch der Schlüssel für die Veränderung.“ Diese beginnt mit der Bestellqualität, dokumentiert sich in der Planung und Ausführung. „Wenn der Handwerker die Umsetzung nicht qualitativ hochwertig schafft, was bringt der beste Plan“, erläuterte Kaufmann damals die Diskrepanz zwischen Praxis und den Konzepten der Theorie. Professor Braungart zeigte bereits 2012 auf, wie schlüssig sein Zugang ist, alles im Kreislauf zu führen und Baustoffe am Ende der Lebensdauer nicht als Müll, sondern als Rohstoff wahrzunehmen. Je länger der Rückblick auf 2012 dauert, desto mehr strahlt Stephan Messner von AluKönigStahl. Seine Werkstoffe sind der beste Beweis, dass diese am Ende nicht einfach altes Eisen sind, sondern wiederverwendet werden können. Aluminium ist ein Werkstoff, der perfekt im Kreislauf geführt werden kann. Aus altem Alu ist hochwertiges Aluminium recycelbar. Messner betont demnach auch die Bedeutung der Wiederverwertung und die Frage der Qualität in der Nutzungsphase. In der Assetklasse „Gewerbliche Immobilien“ sei die Betrachtung der Lebenszykluskosten bereits Routine. „Alleine der Wohnbau lässt hier komplett aus.“ Eine durchaus harte Ansage, die Roland Pichler (Die Wohnkompanie) bestätigen muss.

„Ich habe das Gefühl, dass gerade beim sozialen Wohnbau wenig bis gar kein Fokus auf den Lebenszykluskosten liegt“, wirft Kaufmann in die Diskussion ein. „Hier scheint es immer noch das einzige Ziel zu sein, die Investitionskosten zu minimieren. Das greift zu kurz: Ziel müsste sein, über die Optimierung der Lebenszykluskosten zu niedrigeren Bewirtschaftungskosten zu kommen; von diesen niedrigen Betriebskosten und höheren Qualitäten profitieren im Endeffekt die Mieter. Denn mehr als 80 Prozent der Kosten entstehen in der Nutzungsphase einer Immobilie.“ Eine Einsicht, die Büronutzer schon lange haben, wie alle in der Runde einwerfen. Hier wird mittlerweile bei den Betriebskosten auf jeden Cent geschaut. „Life-Cycle-Management ist nicht nur durch ein singuläres Maßnahmenkonzept darstellbar, sondern erfordert einen umfassenden Paradigmenwechsel und Anpassung der Prozesse – und dies von Beginn an. Da haben wir aber noch viel zu tun“, ist Kaufmann überzeugt. Jetzt wird mir einiges klar. Mir fällt ein, dass die M.O.O.CON ein Modell entwickelt hat und hier einen Beratungsansatz verfolgt, der es Bauherren ermöglicht, frühzeitig die Gesamtkosten zu berechnen. Karl Friedl als wortgewaltiger Frontman vermittelte in den bisherigen Treffen mit ihm den Eindruck, die Lösung gefunden zu haben. Sicherlich optimal für Eigennutzer, die mit seinem Modell die besseren Entscheidungen treffen. Ähnliches kenne ich auch schon von Christian Wetzel (Calcon). Seine Software kann vor allem bei Bestandsgebäuden in kürzester Zeit punktgenaue Analysen liefern und das Thema Lebenszykluskosten ist demnach kein Mythos mehr.

Niedrige Investkosten - kurzfristige Effekte

Alle meine Gäste sind sich einig: Die Forderung nach niedrigen Investkosten zielt auf kurzfristige Effekte ab. Das scheint die alte Welt zu sein. Die Welt der bisherigen Finanzierung, der Old-school-Geschäftsmodelle. Jetzt erinnere ich mich an das Interview mit Andreas Köttl (Value one), der davon gesprochen hat, dass er beim VIERTEL ZWEI involviert bleibt. Das alte Modell, billig zu bauen, schnell zu verkaufen und fertig, ist nicht seins und er bleibt den Gebäuden erhalten. Er kümmert sich um die Bewirtschaftung und übernimmt Verantwortung für die Entscheidungen, die er als Bauträger getroffen hat. Dies scheint die neue Sicht zu sein, die bisher nur Eigennutzer hatten und die bisher bei Vermietungsobjekten nicht zur Anwendung kam. Bessere Gebäude, niedrigere Bewirtschaftungskosten und vor allem zufriedene Nutzer rechtfertigen daher einen Mehraufwand in der Planung und im Bau in jedem Fall. Das Ziel ist: Bessere Gebäude mit niedrigen Lebenszyklusaufwendungen.

Ist dies nicht doch eine Utopie? „Im Wohnbau findet eine derartige Betrachtung nicht statt – das wäre eine Kampfansage gegenüber Investoren und Förderstellen“, wirft Messner ein. Ein Paradoxon: Gerade dort, wo sich die Kunden höhere Anschaffungspreise leisten könnten, bleibt die Lebenszykluskostenbetrachtung außen vor. „Dazu müsste sich eine Wohnungseigentümergemeinschaft finden, die genau das will: etwas höhere Investitionskosten, dafür aber geringere Betriebskosten“, so Pichler. Dies mag bei Einzelprojekten funktionieren.

Punktesieger: Minimalkosten

Pichler: „In der Regel liegt der Fokus auf kompakten Grundrissen.“ Nachhaltigkeit erschöpfe sich darin, Wohnungen so zu bauen, dass man diese möglichst lange nutzen kann und bei Bedarf den aktuellen Notwendigkeiten anpassen kann. „Das Aluminium-Fenster-Institut (AFI) hat in einer Untersuchung nachgewiesen, dass auf Grund ihrer höheren Lebensdauer und der geringen Wartungsansprüche Alu-Fenster auf lange Sicht nicht nur einen entscheidenden Kostenvorteil bringen, sondern auch die Umwelt weniger belasten als Fenster, die innerhalb des Betrachtungszeitraums öfter getauscht werden müssen. Ein Umstand, der im Wohnbau noch keine Berücksichtigung findet“, hakt Messner nach. Doch wo liegt der Hase im Pfeffer? „Viele Planer kennen sich im Detail nicht aus“, so Höhne. „Da ist noch viel Aufklärungsarbeit notwendig. Viele Produkte können einfach mehr.“ Leider, auch darin ist sich die Runde einig, gewinnen im Normalsfall und vor allem bei Wettbewerben, wenn es hart auf hart geht, die Minimalkosten. „Es stellt sich immer die Frage – wer zahlt?“ Gerade im Wohnungsbau fehle es an Kostentransparenz. „Liegen die Betriebskosten in einem vernünftigen Bereich, werden diese einfach bezahlt. Es fehlt auch an Kostenwahrheit“, bemängelt Kaufmann. Klar wird mir dieser Gedanke am Beispiel des Alu-Fensters: Andere Materialien müssen regelmäßig gewartet werden. Jedes Jahr müssen die Nutzer Zeit und Geld aufwenden, damit jemand kommt und die Fenster einstellt und wartet. Alleine schon der Umstand, bei diesen Arbeiten zu Hause sein zu müssen, ist unangenehm und lästig. Nicht zu vergessen, dass die Hausverwaltung alle Maßnahmen koordinieren muss. Spannend ist, dass alle diese Aufwendungen, Maßnahmen und Mühen nicht monetär bewertet werden und keine Grundlage für die Entscheidung darstellen. „Wir entscheiden uns gegen das Alu-Fenster, weil es einfach zu Beginn teurer ist und der Kunde es nicht schätzt“, bringt es Pichler auf den Punkt. Für Kaufmann zeigt das Beispiel die mangelnde Kostentransparenz auf. „Wenn nicht alle Kosten berücksichtigt werden, werden falsche Entscheidungen getroffen.“ Jetzt weiß ich, warum auch bei mir mein Apple doch die richtige Wahl war – mein Berater hat hier einfach nicht alle Aspekte erkannt und die richtigen Kosten ermittelt. Ich wusste es ja schon immer, aber jetzt kann ich es auch belegen.

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Technologiefeindlichkeit

Abschließend kommt die Runde noch auf einen interessanten Punkt zu sprechen. Messner bringt das Thema Technologiefeindlichkeit in die Diskussion ein: „80 Prozent der Konzepte werden konventionell umgesetzt. Neue Technologien bleiben außen vor. Oft greifen die Verantwortlichen lieber auf bekannte Lösungen zurück, denn da kann nichts passieren“, so Messner. Für Höhne das richtige Stichwort: „08/15 Lösungen machen heute keinen Sinn mehr. Es fehlt den Planern der Mut oder das Wissen.“ Für Höhne sind Zeit und immer kleiner werdende Honorarbudgets die beiden Grundübel. „Die Planer stehen unter enormem Zeitdruck und haben zum Teil auch keine Ressourcen, sich mit neuen Lösungen auseinanderzusetzen.“ Die Frage, die sich bei jedem Projekt stellt, ist: Wo bekomme ich das höhere Investment her? Kaufmann: „Hier müssen die Entscheidungsträger bei der Budgetierung neue Wege gehen und zB mit Sonderbudgets bessere Investments, die sich über die Lebensdauer rechnen, ermöglichen.“ Wie das gehen soll? „Keine lineare Anhebung der Baubudgets, sondern für Einzelmaßnahmen Sonderbudgets zur Verfügung stellen und einen Wettbewerb der besseren Qualitäten ermöglichen.“

Geschafft

Ich habe verstanden, dass wir bei Immobilien erst am Anfang des Umdenkens stehen. Ich danke meinen Gästen und verabschiede mich in den Abend. Endlich ruft meine Mutter zurück und ich erfahre, dass ich damals in den Tagen nach dem Reaktorunfall nicht wandern war und auch nicht draußen spielte – mit fast 20 spielt man ja auch nicht mehr im Sandkasten. Viele Kinder haben dies damals trotz Regens aber schon gemacht. Und jetzt ist es mir klar: Damals vor 30 Jahren ließen die Eltern ihre Kinder draußen spielen. Aus damaliger Sicht völlig nachvollziehbar, denn wer will schon, dass seine Kinder nur drinnen bleiben müssen. Die Folgen zeigen sich erst viel später und sind dramatisch. So wie bei der Planung, deren Folgen auch erst in Jahren oder Jahrzehnten zu spüren sind. Die gute Planung rechnet sich demnach immer und es gilt, über längere Zeiträume zu denken und zu handeln. Oft jedoch planen wir für Situationen, die wir heute noch gar nicht kennen. Dieses Thema wird mich weiter beschäftigen.