Corona-Nachwehen, ein Anstieg von Inflation und Zinsen und die damit einhergehende schwache Nachfrage der Konsumenten machen dem heimischen Einzelhandel schwer zu schaffen. Im ersten Halbjahr 2023 büßte die Branche real um 3,8 Prozent zum Vorjahr ein, gab die Wirtschaftskammer in einer gestrigen Pressekonferenz bekannt. "Eine tolle Konjunkturentwicklung schaut anders aus", sagte Peter Voithofer vom Institut für Österreichs Wirtschaft (iföw).
Einzig im Spielwaren- und Bekleidungshandel erzielten die Unternehmen im Schnitt ein reales Plus. Laut Voithofer ist der Spielwarenhandel fast die kleinste Einzelhandelsbranche mit einem Jahresumsatzvolumen von 300 Mio. Euro, der Lebensmittelhandel komme hingegen auf 27 Mrd. Euro. Damit sei es ein sehr geringes Niveau und da sei man dann sehr schnell auf einem gewissen Wachstum.
Durch die angespannte Konjunktur wird der Einzelhandel gerade von einer Insolvenzwelle erfasst. Namhafte Händler wie Kika/Leiner, Forstinger, Gerry Weber Österreich, Reno oder die Sport-2000-Genossenschaft Zentrasport mussten heuer bereits Insolvenz anmelden. Andere Ketten wie Salamander oder Delka stehen vor dem Aus. "Da der Handel ein sehr großer Wirtschaftsbereich ist, gibt es viele Insolvenzen", erklärte Voithofer. Man gehe hier alleine im Einzelhandel von etwa 6.400 Schließungen seit 2021 aus. Im Handel gäbe es im ersten Halbjahr insgesamt 480 Insolvenzen. Auch die Anzahl der Gründungen im Handel und Einzelhandel seien rückläufig. Der Ausblick für die zukünftige Entwicklung: "Ja, es wird weiterhin Insolvenzen geben", so Voithofer.
Nominell legten die Umsätze im Einzelhandel im ersten Halbjahr zwar um 4,4 Prozent zu, real konnte die Branche aber neun Monate in Folge kein Konjunkturwachstum erzielen, zeigen Berechnungen des Instituts für Österreichs Wirtschaft. Reale Zuwächse erzielten im Halbjahr nur der Spielwarenhandel (+9,2 Prozent) und der Bekleidungshandel (+2,9 Prozent), alle übrigen Branchen waren zum Teil stark im Minus.
Besonders drastisch war der reale Umsatzrückgang mit mehr als einem Viertel im Möbelhandel. Aber auch Elektrohandelsgeschäfte (-9,9 Prozent), Buchhändler (-9,5 Prozent) und der Onlinehandel (-6,1 Prozent) waren in den ersten sechs Monaten real im Minus. "Insbesondere die Jahre 2020 und 2021 waren davon geprägt, dass bestimmte Branchen, Stichwort Möbelhandel, aber auch der Elektrohandel, eine vergleichsweise gute Entwicklung hatten", gab Voithofer an. Die Menschen hätten das Geld in die eigenen vier Wände investiert.
Die schwache Konjunktur macht sich auch am Arbeitsmarkt bemerkbar. Die Beschäftigungsentwicklung war im Halbjahr im Einzelhandel rückläufig (-0,8 Prozent). "Es kommen auf eine offene Stelle im Handel nicht einmal zwei arbeitssuchende Personen", sagte die stellvertretende Bundesspartengeschäftsführerin für den Handel, Sonja Marchhart. Derzeit würden für ungefähr 60 Prozent der offenen Stellen Personen mit Lehrabschluss gesucht und der Trend zur Teilzeitarbeit sei besonders hoch. Nur der Spielwaren- und Bekleidungshandel hat Personal aufgestockt. Nach einem enormen Anstieg in den letzten Jahren war auch die Zahl der offenen Stellen wieder rückläufig, wenngleich der Handel immer noch mehr als 20.000 offene Stellen hat.
Zu den bevorstehenden Lohnverhandlungen sagte Bundesspartenobmann Rainer Trefelik, dass die Grenzen des Vorstellbaren schon extrem weit überschritten worden seien. "Die Message, die wir von allen Unternehmen in allen Gesprächen haben: 'Leute, das geht sich einfach nicht aus. Das kriegen wir nicht unter'", betonte Trefelik.
Die Aussichten für das Gesamtjahr 2023 seien trüb und es werde kein reales Umsatzwachstum gesehen, hieß es von den Handelsvertretern. Auch im EU-Vergleich schneidet Österreich schlecht ab: die reale Einzelhandelsentwicklung sei das sechste Halbjahr in Folge unter dem EU-27-Schnitt gelegen. Die ganz große Herausforderung im Herbst sei, diese Kostenexplosionen in den Griff zu bekommen und die Inflation mit all den Folgeeffekten runterzukriegen, so der Handel-Bundesspartenobmann.
Zuletzt sprach sich die ÖVP für ein Ende der verpflichtenden Kassabelege bis 30 Euro aus. Trefelik ist grundsätzlich dafür, jedoch solle kein Zwang zum digitalen Beleg und den damit verbundenen Mehrkosten für Unternehmen kommen. (apa)