Knapp 5.000 freifinanzierte Eigentumswohnungen, die 2019 allein in Wien in vierhundert Projekten fertiggestellt wurden: In diesem Jahr ist im Vergleich zum Sommer 2019 die Zahl der Projekte nur zwei Prozent zurückgegangen. Heißt das, der Wohnungsmarkt ist bereits gesättigt?
Ernst Kovacs: Viel wichtiger ist doch die Frage, ob Anleger mit dem, was gebaut wird, auf lange Sicht auch glücklich werden. Der Trend ist aktuell, dass die Wohnung möglichst klein sein soll, am besten unter 40 Quadratmeter, damit man den Endpreis bei der Miete gut darstellen kann. Aber entspricht der Grundriss solcher Wohnungen den zukünftigen Anforderungen?
Was passiert dann mit diesen Wohnungen?
Am Markt gibt es vor allem Kleinwohnungen. Und dann ist der Grundriss sehr wohl ein Thema, vor allem wenn die Miete hoch ist. Im freifinanzierten Bereich liegt die durchschnittliche Miete der Angebote in Wien bei 15 Euro pro Quadratmeter. Da wird sich bald ein Problem auftun. Die Frage ist nur, in welcher Form. Gerade bei Projekten, die von Fonds aufgekauft werden, sind oft bis zu dreihundert Wohnungen in einem Projekt. Wenn hier die Grundrisse nicht passen, dann wird es ein Problem, diese Wohnungen in der Anzahl zu vermieten. Als Privater kann ich die Miete reduzieren und so die Wohnung vermieten. Wenn ich bei einem großen Projekt aber die Mieten um zwei Euro pro Quadratmeter senke, wird meine ganze Kalkulation nicht mehr passen. Stehen viele Wohnungen leer, wird man nicht gleich eingestehen wollen, dass man einen Fehler gemacht hat. Statt den Anlegern zu sagen, dass man sich verschätzt hat, lässt man die Wohnung lieber leer stehen.
Was müsste sich ändern?
Auf Grundrisse wird selten geachtet. Der Preis und die Lage sind meistens die entscheidenden Argumente. Lage, Lage, Lage waren früher die drei wichtigsten Dinge bei der Immobilie. Aus meiner Sicht sollte es aber heißen Lage, Grundriss, Preis-Leistungs-Verhältnis. Warum stehen Wohnungen in guten Lagen leer? Wegen des Grundrisses.
Heißt das, dass ich in einem Mikroapartment gar keinen guten Grundriss haben kann? Braucht es eine bestimmte Wohnfläche, um einen idealen Grundriss zu realisieren?
Nein, dafür braucht es keine bestimmte Wohnflächengröße, aber je kleiner die Wohnung wird, umso weniger Möglichkeiten habe ich. Das gilt sowohl für das ganze Gebäude als auch für die einzelnen Wohnungen. Natürlich gibt es Grundrisse mit 38 Quadratmetern, die funktionieren. Dass ich hier aber keinen Abstellraum mit drei Quadratmetern haben werde, ist logisch. Bei einem kleinen Grundriss muss man viel mehr auf die Funktion achten. Ich sehe sehr viele Grundrisse, bei denen ich mir gar nicht vorstellen kann, wie man da wohnt – auch als Single.
Und warum machen das die Architekten?
Die bessere Frage ist, warum machen das die Bauträger? Es ist der Bauträger, der bestellt und gar nicht weiß, was er bestellt. Er ist der, der im Gegensatz zum Architekten am Markt aktiv ist und daher wissen sollte, was Kunden wollen.
Sind die Bauträger beratungsresistent?
In den letzten Jahren sind sehr viele neue Bauträger am Markt dazugekommen. Die sind der Meinung, dass ohnehin alles geht, weil die Nachfrage so groß ist. Der Architekt weiß oft gar nicht, was die Kunden wollen. Er hat eine Ausbildung, aber in Wahrheit mit Kunden sehr wenig zu tun. Oft ist der Zugang, modern zu bauen und dabei wenig auf die Funktionalität zu achten. Ein moderner Grundriss mag für den einen oder anderen interessant sein, als Bauträger mache ich aber keine Spezialwohnung. Wenn ich heute irgendwo hundert Wohnungen hinbaue, dann kann ich mich nicht an Spezialfälle wenden. Das Problem beginnt dann, wenn ich nach der Fertigstellung die Wohnungen nicht losbringe. Dann müssen die Preise reduziert werden. Wie weit gehe ich wann mit dem Preis hinunter, um keinen Verlust zu machen? Bei der momentanen Zinslandschaft kann ich etwas länger warten. Das war früher anders.
Warum stehen Wohnungen in guten Lagen leer? Wegen des Grundrisses.
Wie lange darf eine Wohnung am Markt sein, um nicht weiter an Wert zu verlieren?
Das Problem ist nicht, wann ich sie auf den Markt gebracht habe, sondern die Zeit ab der Fertigstellung. Das trifft nicht nur auf Wohnungen zu. Jede Immobilie, die leer steht und ungenutzt ist, verliert an Wert. Heute werden Projekte teilweise schon ab der ersten Planstudie angekündigt. Sie sind oft schon ein halbes bis ein Jahr vor dem tatsächlichen Verkaufsbeginn auf der Homepage angekündigt. Man sammelt Vormerkungen. Da ist die Frage, wie wertvoll ist ein Vormerkkunde, den ich vor einem Jahr vorgemerkt habe? Hat der nicht sowieso in der Zwischenzeit schon eine Wohnung gefunden? Wie viel Konkurrenz habe ich im unmittelbaren Umfeld? Danach muss ich beurteilen, wie schnell gehe ich in die Öffentlichkeit und kündige das Projekt an?
Wie lässt sich das Problem eines schlechten Grundrisses bereits in der Planung lösen?
Ein oder zwei Monate Zeit sollten schon in die Entwicklungs- und Planungsphase investiert werden. Ich für meinen Teil habe Planungsvorgaben, die ich einem Architekten übergebe, noch bevor der einen Strich zeichnet. Darin beschreibe ich, was meine Anforderungen an einen Grundriss sind. Auch einige andere große Bauträger machen das. Bei mir steht zum Beispiel, dass ich keine Maisonette-Wohnungen möchte, weil ich niemanden kenne, der gerne Stiegen steigt. Als Bauträger muss man dem Architekten, bevor er plant, die eigenen Vorstellungen in die Hand geben. Für die Grundrisse ist entscheidend, wie erschließe ich das Haus? Wie viele Stiegenhäuser habe ich? Wo sind meine Gänge angeordnet? Davon hängt ab, wie meine Grundrisse aussehen. Habe ich eher kleine Grundrisse? Habe ich eher große Grundrisse? Das muss ich dem Architekten sagen, bevor er sein Bild produziert. Dann funktioniert das. Und die Einrichtung muss mit eingezeichnet werden. Das brauche ich spätestens dann, wenn es um die Planung der Haustechnik geht.
Oft ist der Zugang, modern zu bauen und dabei wenig auf die Funktionalität zu achten.
Wird sich die Pandemie auch auf die Assetklasse Wohnen und vielleicht speziell auf den Grundriss auswirken, wenn das Home-Office immer mehr kommt, die Fläche aber nicht größer wird?
Bei meinem seinerzeitigen Arbeitgeber hatten wir Konzepte entwickelt, mit denen wir versucht haben, in die Zukunft zu denken. Wir haben damals schon bei jeder Wohnung einen Arbeitsplatz mit eingeplant. Auch bei der Zweizimmerwohnung hat es entweder im Schlafbereich oder im Wohnbereich eine Ecke gegeben, in die man einen Schreibtisch stellen konnte, ohne auf andere Funktionen zu verzichten. Dort waren Haustechnikanschlüsse fürs Internet und entsprechend Steckdosen für den Strom. So konnte man von zu Hause aus arbeiten, ohne auf wichtige Ablageflächen zu verzichten. Außerdem gab es in den Häusern jeweils ein allgemeines Büro. Dieses konnte ich mir stundenweise reservieren, um in Ruhe zu arbeiten. Wenn ich also zu Hause arbeite, möchte ich vielleicht einen Gast nicht unbedingt in meinen eigenen vier Wänden empfangen.
Wird wieder mehr entwickelt werden in Richtung Gemeinschaftsräume?
Wenn die Wohnungen in den Grundrissen kleiner werden, damit sie leistbarer bleiben, dann ist es natürlich gut, wenn ich Gemeinschaftsräume habe. Auf der anderen Seite kostet ein Gemeinschaftsraum Geld, vor allem, wenn ich dadurch als Bauträger Wohnnutzfläche verliere. Grundsätzlich sind Allgemeinflächen etwas Positives, weil sie die Kommunikation im Haus fördern. Das trägt zu mehr Sicherheit bei.
Was ist letztendlich entscheidend für den Erfolg eines Projekts?
Entscheidend ist am Ende der Wohlfühlfaktor und der hängt stark mit dem Grundriss zusammen.
Seit 2016 begleitet Ernst Kovacs als Geschäftsführer der KE Wohnimmobilien beratend Projektentwickler und Bauträger von der Liegenschaftssuche bis zur schlüsselfertigen Übergabe der Immobilie. Zuvor war Ernst Kovacs in der Geschäftsführung der Kallco Development und der IMV tätig. Von 2003 bis 2015 verantwortet er als Prokurist und Bereichsleiter bei Raiffeisen evolution die Projektentwicklung in Österreich, Tschechien und der Slowakei.