Gibt es noch weiße Flecken in Österreich, die REWE noch nicht erschlossen hat?
Dieter Wasserburger: In Österreich gibt es keinen Ort mit mehr als 5.000 Einwohnern, in dem wir mit einem BILLA, MERKUR, PENNY, BIPA oder ADEG noch nicht vertreten sind. Trotzdem gibt es aus unserer Sicht da und dort noch Potenziale. Oft aber sind die Verfügbarkeit der benötigten Fläche oder die Raumordnung die limitierenden Faktoren.
Der Handel muss sich auf ändernde Einkaufsgewohnheiten der Kunden einstellen und sieht sich in immer schnelleren Zyklen mit neuen Trends konfrontiert. Diese sind Ursache dafür, dass wir unsere Formate noch schneller anpassen müssen. So entstehen zum Beispiel immer mehr Singlehaushalte. Das hat Auswirkungen darauf, was wir den Kunden bieten müssen. Das gilt nicht nur für das Sortiment. Wir müssen diese Trends frühzeitig erkennen und nahe am Kunden sein, um auf Entwicklungen und Herausforderungen möglichst rasch zu reagieren und entsprechende Antworten und Lösungen finden.
Das heißt: Der Lebensmittelhandel muss sich immer wieder neu erfinden …
Expansion ist eine wesentliche Grundlage für Innovation. Es ist daher unabdingbar, unsere Konzepte laufend weiterzuentwickeln und den aktuellen Erfordernissen anzupassen. Dabei geht es uns vorrangig nicht um quantitative, sondern um qualitative Expansion. Also nicht nur zusätzliche, sondern vor allem bessere, modernere und schönere Märkte, die unseren Kunden einen entsprechenden Erlebniseinkauf ermöglichen, müssen das Ziel sein.
Kaufen oder mieten Sie?
Sowohl als auch. Wir sind grundsätzlich für alle Varianten offen. Eigentum macht einen kleineren Anteil unseres Immobilienportfolios aus. Der überwiegende Teil ist Miete des Grundstücks oder Lokals.
Steigen der Preis bzw. die Miete, wenn die Gegenseite mitbekommt, dass der Interessent REWE heißt?
Es ist tatsächlich so, dass viele Eigentümer die Vorstellung haben, dass Geld für uns keine Rolle spielt. Aber das Gegenteil ist der Fall. Gerade im Lebensmittelhandel haben wir geringe Margen und müssen knapp kalkulieren, das zieht sich durch alle Organisationsbereiche.
Christoph Chorherr spricht bei Einkaufscentern und Supermärkten gerne von einer Schachtel, auf die man oben Wohnbau setzen sollte?
Es ist auch uns durchaus bewusst, dass Flächen nicht unbegrenzt zur Verfügung stehen und beliebig vermehrbar sind. Deswegen arbeiten wir schon länger an ressourcenschonenden, multifunktionalen Konzepten. Zu diesem Thema hatten wir eine Veranstaltung zum urbanisierten Handel mit der TU Wien und Herrn Chorherr. Gemeinsam mit Studierenden wurden interessante Ansätze erarbeitet, die bereits in die Entwicklung unserer Vertriebsformate eingeflossen sind. Wie zum Beispiel der MERKUR Markt am Rosenhügel, wo sich über dem Markt ein Kindergarten befindet.
Wäre es möglich, dass REWE künftig auch als Wohnbauträger agiert?
Es ist sicherlich nicht unser Kerngeschäft, aber ich schließe nicht aus, dass es künftig in einzelnen Fällen zu Kooperationen mit Wohnbauträgern kommen kann.
Wird die Stadt als Standort zunehmend unattraktiv?
Uns geht es am Ende des Tages um eine gute Lösung - egal ob in der Innenstadt oder an der Peripherie. Es gilt Vor- und Nachteile abzuwägen. Denn wir sind gerne dort wo unsere Kunden sind. Das ist in der Stadt in der Regel gegeben, aber es gibt dort eben auch Restriktionen bei der Anlieferung und Logistik oder wenn ich an Wohnungseigentum denke, da bei Umbauten alle Wohnungseigentümer zum Beispiel Einspruchsrecht haben.
Hat das Urteil gegen den Bau der dritten Piste Auswirkungen auf die Expansionspläne?
Dieses Urteil hat auf uns direkt keinen Einfluss. Vielmehr sind wir in Österreich durch die bestehenden, sehr restriktiven Raumordnungsgesetze massiv eingeschränkt. Die Gesetze ermöglichen es uns oft nicht einmal mehr, alte und in die Jahre gekommene Standorte gegen neue, moderne Filialen abzutauschen oder bestehende Gewerbeflächen für unsere Zwecke umzunutzen. Das betrifft am Ende auch unsere Kunden.
Wie schwierig ist es dann, neue Flächen zu finden?
Es ist nicht zuletzt aufgrund der vorher genannten Gründe zunehmend schwieriger. Darüber hinaus passen oftmals die Grundrisse und Zuschnitte nicht oder die Standorte verfügen nicht über das entsprechende Einwohnerpotenzial im Umkreis.
Sie sind oft mit dem Vorwurf konfrontiert, zum Greißlersterben beigetragen zu haben. Was entgegnen Sie dem?
Dem kann man ein sehr plausibles Argument entgegenhalten: Am Ende entscheidet der Kunde, wo er seinen Einkauf tätigt. Nicht der Handel gibt Trends vor oder "erzieht" den Kunden, es ist vielmehr umgekehrt. Unsere Konzepte sind ein Spiegel der Kundenwünsche. Außerdem haben wir mit unserer Handelsfirma ADEG ebenfalls selbstständige und regionale Kaufleute.
Wie stehen Sie zur Sonntagsöffnung? Der Billa am Franz-Josefs-Bahnhof muss ja eine wahre Goldgrube sein?
Die Nachfrage ist bei bestimmten Standorten definitiv da. Eine generelle flächendeckende Sonntagsöffnung wird es in Österreich nicht geben, aber an einzelnen Standorten wie Bahnhöfen oder Tourismuszonen ist es durchaus sinnvoll.
Können Sie sich noch an Ihre erste Filiale erinnern?
Das ist eine gute Frage. Ehrlich gesagt nein.
Sind es schon so viele?
Ich habe das erst kürzlich überschlagen. Es sind über 2.000 Filialen, die in meiner Zeit umgesetzt wurden.
Da gab es sicher viele Highlights?
Meilensteine hat es immer wieder gegeben. Ein Highlight war die Technologie-Vorzeigefiliale in Purkersdorf. Der Merkur am Hohen Markt ist natürlich auch toll. Er zeigt, was im kulinarischen Lebensmittelhandel so möglich ist. Auf den bereits erwähnten Merkur am Rosenhügel bin ich ebenfalls sehr stolz. Das waren drei Hektar, die vom ORF versteigert wurden. Es gab ein mehrstufiges Bewerbungsverfahren, in dem wir gemeinsam mit Strauß & Partner in einem Bieterkonsortium den Zuschlag für das Grundstück und für unser Konzept bekommen haben. Letzteres beinhaltete eine gemischte Nutzung. Markt, Wohnen und Kultur. Ein weiteres Highlight war die BILLA Corso Filiale in den Wiener Ringstraßen-Galerien, die ein sehr herausforderndes Projekt war.
Wo lag das bzw. lagen die Probleme?
Damals war das ein Wagnis, weil wir einer der Ersten waren, die in ein Untergeschoß gegangen sind. Wir haben dort vollkommen neue Konzepte ausprobiert. Dafür hat uns der Markt ganz neue Käuferschichten gebracht. Früher hätte die Hofratswitwe einen Billa nicht mit der Zehenspitze betreten. Plötzlich war das anders und man ist auch im ersten Bezirk zum BILLA Corso gegangen. Billa wurde hip. Das hat uns eine unheimliche Dynamik gebracht.
Jetzt haben wir viel über die Vergangenheit gesprochen. Wo liegen die Herausforderungen in der Zukunft?
Wir müssen uns noch rascher an das Kundenverhalten anpassen. und dem Kunden bessere Lösungen anbieten, um der Funktion als Frequenzbringer gerecht zu werden. Dafür benötigen wir auch entsprechende Rahmenbedingungen und eine frühzeitige Abstimmung in der Projektentwicklung. Wichtig ist dabei eine enge Zusammenarbeit zwischen Politik, Behörde, Projektentwicklern und Architekten.
Bleiben wir beim Thema Zukunft. Kaufen die Kunden bald nur noch online ein?
Die Kunden werden sicher flexibler und nutzen alle Möglichkeiten zum Einkauf. Wir werden unseren Kunden auch weiterhin alle Vertriebskanäle zur Verfügung stellen - also sowohl online als auch stationär. Von unserem Gesamtumsatz ist der Onlineanteil noch gering. Aber die Zuwachsraten sind groß.
Welche Zielgruppe hat der Onlinehandel?
Die jüngere Generation ist dafür sehr affin, aber zunehmend wird dieser auch von älteren Personen genutzt. Onlinehandel könnte aber gerade für Ältere eine Chance sein. In Österreich heißt es oft, es gäbe keine Vollversorgung. Durch den Onlinehandel besteht nun die Möglichkeit eine flächendeckende Versorgung zu gewährleisten.
Ältere Konsumenten wollen vielleicht den täglichen Einkauf nicht missen. Der Verkäufer im Supermarkt der Greißler von heute?
Das ist richtig. Wir gehen davon aus, dass ältere Menschen auch künftig auf den Supermarkt um die Ecke nicht verzichten werden müssen. Auch bei einer Lieferung kommt es natürlich zur Kommunikation mit den Kunden, aber im Markt mit vielen Leuten zu interagieren, erzeugt eine starke Bindung. Heute ist es der persönliche Einkauf, morgen wollen sie die Lebensmittel online bestellen. Wir werden diese Kanäle alle bedienen müssen.
Tickt der Lebensmittelhandel in Österreich – im Vergleich zum europäischen Ausland – anders?
Auf jeden Fall. Österreich weist zum Unterschied zu den meisten anderen Ländern eine extrem hohe Filialnetzdichte auf. Oft ist es bequemer, selbst einzukaufen, als es sich liefern zu lassen. Wir haben insbesondere in Wien eine sehr gute Nahversorgung. Das gibt es in sonst keiner europäischen Hauptstadt. Wien ist für mich die bestversorgte Hauptstadt Europas, vielleicht sogar weltweit. In anderen europäischen Metropolen finden sich in den Außenbezirken wenige riesige Hypermärkte und im Stadtzentrum oftmals kleine und wenig attraktive Lebensmittel-Shops, das ist in Wien glücklicherweise anders.
Es gibt das Gerücht, dass sich die großen Ketten auf freie Flächen stürzen, nur damit der Konkurrent diese nicht bekommt. Ist da etwas dran?
Wir realisieren keinen Standort, der sich nicht rechnet, nur damit wir den Konkurrenten verhindern. Das macht keinen Sinn. Natürlich befinden wir uns in einem Verdrängungsmarkt und für uns ist es im Wettbewerb um den besten Standort immer wichtig, informiert zu sein. Daher kommt jeder Standort regelmäßig auf den Prüfstand und wir evaluieren, ob er noch den Anforderungen entspricht.
Was ist für Sie im urbanen Bereich der perfekte Standort?
Voraussetzung ist eine entsprechende Frequenz, wir wollen möglichst nah am Kunden sein. Gut ist auch, wenn andere Aktivitäten mit dem Einkauf kombinierbar sind, wie Arztbesuch, Bank, Frisör, etc. Daneben spielen natürlich eine gute Erreichbarkeit sowie die Umgebungsqualität und das Ambiente eine gewisse Rolle.
Gibt es Standorte, die sich – egal, mit welchem Konzept sie bewirtschaftet werden – nicht rechnen?
Ja, es gibt Standorte, wo unsere Kalkulationen und Erwartungen nicht mit der Realität übereinstimmen. Expansion ist leider keine exakte Wissenschaft. Fehler zu machen, gehört zum Geschäft - wichtig ist es aber eben, möglichst wenige zu machen.
Wie kann man diesem Problem entgegenwirken?
In dem man seine Hausaufgaben bestmöglich erledigt und Standorte einer eingehenden Analyse unterzieht. Dazu gehört auch die Nutzung aller verfügbaren demografischen Daten. Es zeigt sich dennoch, dass diese Zahlen alleine oft nicht besser sind als das gesunde Bauchgefühl, das ein Expansionist oder Vertriebler hat.
Wie schwer ist es, Stammkunden von Konkurrenten „abzuwerben“?
Es ist schwierig. Ein neuer Markt muss daher dem Kunden einen Mehrwert bieten. Unsere Aufgabe ist es, Kunden mit Leistung zu überzeugen - dazu gehört natürlich auch ein attraktiver Standort.
In Deutschland werden viele REWE-Immobilien von der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) zertifiziert. In Österreich gibt es, soweit ich weiß, nur wenige Märkte, die von der ÖGNI zertifiziert sind. Wieso ist das so?
Die deutschen Anforderungen unterscheiden sich von unseren in Österreich. Wir haben mehr als tausend Filialen, die dem Green-Building-Standard entsprechen. Die ÖGNI Zertifizierung war ein wichtiger Schritt und hat viele dazu bewogen nachhaltiger zu bauen. Aber es ist eben auch eine Kostenfrage und der Mehrwert ist für Kunden oftmals nicht auf den ersten Blick erkennbar. Nachhaltigkeit ist in unserer Unternehmensstrategie fest verankert. Ich glaube nicht, dass es in Österreich ein nachhaltigeres Lebensmittelunternehmen gibt als unseres. Unsere Maßnahmen und Aktionen sind aber sehr breit gefächert und daher oft schwierig zu kommunizieren. Um Ihnen nur ein Beispiel zu nennen: Wissen Sie, wie viel Strom wir in Österreich verbrauchen? Rund ein Prozent des Gesamtstromverbrauchs in Österreich entfällt auf die REWE International AG und ihre Handelsfirmen. Jedenfalls ist dieses Prozent – und das lassen wir uns viel Geld kosten – bereits seit 2008 in unseren Filialen ausschließlich Grünstrom aus österreichischer Wasserkraft. Dabei sparen wir mit unseren Maßnahmen jährlich mehr als 137 Mio. kWh Energie ein - das entspricht dem Stromverbrauch von 33.000 Haushalten, was mit einer Größe einer Stadt wie Wels vergleichbar ist.
Welche Rolle spielt das Thema Nachhaltigkeit in der Kundenbeziehung?
Der Kunde geht davon aus, dass jedes Unternehmen heutzutage nachhaltig und bewusst agiert. Viele reden darüber, aber wir tun es.
WORDRAP mit Dieter Wasserburger
Nehmen Sie gern Risiko? Nicht im Sinne eines Zockers. Manchmal muss man aber eben für eine gute Lösung auch etwas wagen.
SMS, WhatsApp oder Telefon? Alle drei.
Wo liegen Ihre Stärken und Schwächen? Womit kann man Sie aus der Fassung bringen? Stärken: Ich bin stets mit großem Einsatz bei der Sache, arbeite ziel- und lösungsorientiert, lege aber auch viel Wert auf Spaß und ein gutes Klima mit Geschäftspartnern, Kollegen und Mitarbeitern.
Schwächen: Meiner Frau würden da sicher einige einfallen … Ich habe aber sicher - zum Leidwesen meiner Mitarbeiter - eine perfektionistische Ader und kann es nicht leiden wenn etwas nicht wie geplant funktioniert.
Die Fassung verliere ich eigentlich nie aber Unehrlichkeit oder Ungerechtigkeit können mich schon sehr aufregen.
Welches Buch liegt auf Ihrem Nachttisch? „Ein ganzes Leben“ von Robert Seethaler.
Wenn Sie im Auto das Radio aufdrehen – welcher Sender läuft? Verschiedene, zumeist aber Superfly, Ö3 oder Krone Hit.
Haben Sie Ihre persönliche Traumimmobilie schon gefunden? Ja, ein schönes mittlerweile bebautes Grundstück südlich von Wien, natürlich möglichst nahe zur REWE-Zentrale.
Wenn ich heute zehn Millionen im Lotto gewonnen hätte, dann... … bliebe alles so wie bisher. Vielleicht würde ich aber noch besser schlafen.
Mit welcher lebenden oder bereits verstorbenen Person würden Sie gerne einen Abend verbringen gehen? Mit Nelson Mandela, ein beeindruckender Mensch der für mich der Inbegriff für „Vergebung“ war, stets das Verbindende über das Trennende gestellt hat und seine positive Lebenseinstellung niemals verloren hat.
Dieter Wasserburger
Leiter des Konzernbereichs Immobilien und Expansion, REWE International AG
Dieter Wasserburger ist seit 25 Jahren bei der REWE-Group in leitenden Funktionen tätig. Der ausgewiesene Standort- und Immobilienexperte ist seit 1999 Prokurist der REWE International Dienstleistungsgesellschaft mbH. Seit 2007 verantwortet er als Leiter des Konzernbereichs Immobilien und Expansion die Entwicklung der rund 2.500 Filialen der REWE International AG in Österreich. Seit 2009 ist er u.a. auch Geschäftsführer der BILLA Immobilien GmbH.