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Retail erholt sich

"Der Einzelhandel hat den Coronaschock überwunden. Immer mehr Unternehmen nutzen die Chance, auf freiwerdenden Flächen spannende neue Konzepte zu realisieren", analysiert Mario Schwaiger, Einzelhandelsspezialist der EHL Gewerbeimmobilien.
Michael Neubauer
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© AdobeStock

Der österreichische Einzelhandel war im ersten Halbjahr 2021 noch stark durch Coronabeschränkungen beeinträchtigt, doch insbesondere im zweiten Quartal hat sich der Wind gedreht. Die schrittweisen Lockerungen haben für eine deutlich verbesserte Stimmung und eine Rückkehr der Investitionsbereitschaft gesorgt.

Zu Beginn des zweiten Halbjahrs 2021 fällt der Ausblick auf den österreichischen Markt für Einzelhandelsimmobilien so positiv aus wie schon lange nicht. Zahlreiche internationale Ketten aus den unterschiedlichsten Branchen – u.a. auch wieder verstärkt aus dem Luxusgüterbereich – und österreichische Einzelhändler suchen neue Flächen. Die Nachfrage aus der Gastronomie ist stark und das Interesse an Alternativnutzungen für nicht mehr marktfähige Retailflächen (z.B. für Shared Space Offices, Dienstleistungen, Ordinationen, Hospitality) ist deutlich höher als vor der Pandemie. Daher ist tendenziell mit sinkenden Leerstandsraten in A-Lagen und jedenfalls einem stabilen Mietenniveau zu rechnen.

Die spannendste Einzelentwicklung in diesem Jahr ist zweifellos der Start des ersten IKEA-City-Stores am Westbahnhof. Wenn das Konzept aufgeht, wäre das sicher ein Signal für andere Möbelhändler, aber auch weitere Branchen. Statt wie derzeit vor allem auf Großflächen an der Peripherie zu setzen, könnten diese in Zukunft stärker Standorte in zentralen Stadtlagen suchen. Darüber hinaus ist das „hus“´, wie IKEA seinen neuen Store nennt, auch eine Chance für die Äußere Mariahilfer Straße, wieder etwas stärker an den nachhaltigen Erfolg der Inneren Mariahilfer Straße anzuknüpfen und somit Österreichs wichtigste Einkaufsstraße zu „verlängern“.

Obwohl für das Gesamtjahr 2021 noch mit einem kräftigen Umsatzminus zu rechnen ist – fast die Hälfte der Handelsunternehmen rechnet mit einem Umsatzminus von durchschnittlich vier Prozent – sind die Erwartungen für die weitere Entwicklung sehr positiv: Generell wird davon ausgegangen, dass Corona keine größeren Verwerfungen für den Einzelhandel mehr bringen und auch die wachsende Konkurrenz durch den Onlinehandel nicht mehr als so bedrohlich empfunden wird wie in den herausfordernden Coronazeiten. Das liegt vor allem an der raschen Rückkehr der Kauflaune der Konsumenten, die offenbar lange vermisste Shoppingtouren nachholen wollen, was laut WIFO in einem Zuwachs des privaten Konsums um fünf Prozent resultieren wird. Die rasche Entwicklung von Hybrid-Konzepten, bei denen Online- und Offline-Handel symbiotisch verbunden werden, trägt ebenfalls zur Verbesserung der Perspektiven bei.

Auch die Öffnung der Gastronomie wirkt sich positiv aus, weil sie zu einer längeren Verweildauer in Einkaufszentren und Einkaufsstraßen beiträgt. Schwächere Umsätze verzeichnen allerdings noch die Branchen bzw. Händler, die stark vom internationalen Tourismus abhängig sind. Zuletzt setzte zwar eine gewisse Erholung ein und Ende Juni stieg die Bettenauslastung in Wiener Hotels binnen einer Woche immerhin um neun Prozentpunkte auf 27 Prozent, doch ist man von einer normalen Buchungssituation im Städtetourismus noch weit entfernt.

Die verbesserte Stimmung schlägt sich bereits sehr deutlich in steigender Nachfrage nach Einzelhandelsflächen nieder. Damit setzte sich im Jahresverlauf eine bereits im Winter spürbare Entwicklung fort: Für freiwerdende Flächen (an zukunftsfähigen Standorten) gibt es in der Regel Interessenten, die Leerstände als Chance für eine Expansion in attraktiven Lagen betrachten. Das spektakulärste Beispiel dafür ist die polnische Pepco, die den Großteil der Filialen der Österreich verlassenden CCC übernimmt und darüber hinaus zusätzliche Standorte sucht.

Die Nachfrage kommt mittlerweile aus vielen Richtungen. Zahlreiche Standorte werden derzeit von Online-Supermärkten für die rasche Auslieferung von Waren gesucht, beispielsweise wurde kürzlich von einem internationalen Online-Supermarktkonzept eine Fläche im 3. Wiener Gemeindebezirk angemietet. Zusätzliche Flächen werden auch von der sehr gut performenden Sportartikelbranche nachgefragt. Dabei sorgt der Fahrradboom dafür, dass verstärkt auch Standorte für reine Bikestores angemietet werden. So konnte EHL kürzlich (in enger Zusammenarbeit mit den Unternehmen Recondo und Coore) ein prominent gelegenes Geschäftslokal am Schottenring an den niederländischen E-Bike-Spezialisten QWIC vermitteln. Ebenfalls starke Nachfrage gibt es seitens Diskonter wie TEDi, Action oder KiK. In steigendem Maß nutzen auch Dienstleister klassische Einzelhandelsflächen. Diese können damit ihre Sichtbarkeit verbessern und so ihre Marke stärken. Ein Beispiel dafür ist der Personaldienstleister Trenkwalder, der auf Vermittlung der EHL-Retailabteilung eine Erdgeschoßfläche im THE ICON Vienna übernimmt.

Diesen positiven Entwicklungen stehen allerdings auch bedeutende Flächenreduktionen gegenüber. Besonders stark ausgeprägt ist diese Tendenz im Textilhandel und branchenübergreifend bei Großflächen von 2.500 m² bis 3.000 m². Hier stehen die Zeichen weiterhin auf Kostenreduktion, Filialen werden verkleinert und Filialnetze ausgedünnt.

Die Nominalmieten für Einzelhandelsflächen an guten bzw. sehr guten Standorten haben sich auch im zweiten Quartal wenig verändert. Die Verbesserung des Einzelhandelsklimas schlägt sich eher darin nieder, dass die während der Pandemie deutlich gestiegene Bereitschaft, den Mietern bei Vertragsverlängerungen und bei Neuanmietungen mit diversen Unterstützungen – mietfreie Zeiten, Zuschüsse für Umbau etc. – entgegenzukommen, langsam wieder abnimmt. Flächensuchende Unternehmen, die die Zeit vor einer endgültigen Coronaentwarnung für den Abschluss günstiger Neuverträge nutzen wollen, haben jedenfalls mittlerweile keine guten Karten mehr. Das gilt insbesondere für die Bestlagen, die zwar durch den noch immer weitgehend fehlenden Städtetourismus beeinträchtigt sind, in denen Flächen aber weiterhin zu Spitzenwerten von € 300 bis 500/m² (am Graben bzw. am Kohlmarkt) angeboten werden. Das kann als klares Indiz für eine rasche Erholung nach Ende der Pandemie gewertet werden.