Der Wiener Wohnungsmarkt entwickelte sich auch im dritten Quartal des Jahres 2020 trotz der keineswegs überstandenen Coronakrise durchaus positiv. Das ist höchstens auf den ersten Blick überraschend, denn die Nachfrage nach Wohnen wird als Grundbedürfnis grundsätzlich weniger als andere Märkte von der Veränderung des Umfelds beeinflusst, und die wirtschaftlichen Folgen der Epidemie werden durch diverse staatliche Stützungsmaßnahmen wie Kurzarbeit, Härtefallfonds, erhöhtes Arbeitslosengeld etc. bis jetzt für die privaten Konsumenten stark abgemildert.
Dazu kommt, dass die Erfahrung des Lockdowns im zweiten Quartal und die faktische Einschränkung von Reisemöglichkeiten die Bedeutung einer attraktiven Wohnung für viele Menschen weiter erhöht haben. Das hat in einem gewissen Ausmaß dazu geführt, dass Investitionen für Wohnen gegenüber Konsumausgaben an Stellenwert gewonnen haben.
Während sich die generelle Nachfrage nach Wohnraum bisher als wenig von der Krisensituation beeinflusst erweist, so sind die kurzfristigen, operativen Auswirkungen der diversen Coronamaßnahmen durchaus unmittelbar spürbar. So haben etwa der Anstieg der Infektionszahlen und die damit verbundenen verschärften Präventionsmaßnahmen im September wieder vielfach dazu geführt, dass Besichtigungen für Miet- und Eigentumswohnungen verschoben wurden. Positiv ist aber, dass mittlerweile das Instrument der Onlinebesichtigung gut etabliert ist und die Erfahrungen aus der ersten Coronaphase zeigen, dass die verschobenen Besichtigungen bei einer Entspannung der Situation rasch nachgeholt werden.
2020 wird die Produktion neuen Wohnraums in Wien ein neues Allzeithoch erreichen. Insgesamt werden rund 19.000 Wohnungen fertiggestellt werden, was fast exakt den Prognosen zu Jahresbeginn entspricht. Die coronabedingten Verzögerungen im Wohnungsneubau und beim Ausbau von Bestandsobjekten im Frühjahr 2020 waren dabei eher geringfügig und konnten im Sommer und im Frühherbst weitestgehend wieder aufgeholt werden.
Die starke Steigerung im Vergleich zur Fertigstellung von ca. 13.000 Einheiten im Jahr 2019 ist zum weit überwiegenden Teil dem Abschluss zahlreicher Projekte, primär in den Stadtentwicklungsgebieten im Norden und Osten der Stadt geschuldet. Darunter befinden sich bemerkenswerte Großprojekte wie das Projekt IU Idyllisch-Urban (390 Einheiten) von Art-Invest im 3. Bezirk, die Erdberger Lände (250 Einheiten) von Aberdeen ebenfalls im 3. Bezirk oder das Projekt Florido Yards (103 Einheiten) im 21. Bezirk.
Die Produktion durch die Verwertung von Baulücken und den Ausbau von Altbauobjekten ist hingegen stabil bis leicht rückläufig, da in zentraleren Wohnlagen immer weniger Flächenreserven zur Verfügung stehen.
Der Anteil der Mietwohnungen an der gesamten Wohnungsproduktion steigt heuer auf rund 65 Prozent. Diese Entwicklung ist primär auf das große Interesse institutioneller Investoren an Veranlagungen in Wohnraum zurückzuführen. Für viele Entwickler ist daher der Verkauf von Gesamtobjekten an Institutionelle, die diese zu Vermietungszwecken erwerben, letztlich attraktiver als der Einzelabverkauf als Eigentumswohnung. Zu diesen in der Statistik als Mietwohnungen ausgewiesenen Einheiten kommen noch zahlreiche Wohnungen, die von privaten Investoren gekauft und danach vermietet werden.
Die Nachfrage nach Wohnungen erweist sich auch in dem schwieriger gewordenen wirtschaftlichen Umfeld als sehr stabil. Besonders stark ist das Interesse an Wohnungseigentum, das auf die in wirtschaftlich unsicheren Zeiten immer steigende Attraktivität von Sachwerten, spürbare Verunsicherung über die Folgen der hohen Neuverschuldung der Eurostaaten für die Währungsstabilität und das anhaltend niedrige Zinsniveau (mit negativem Euribor und bei großen Beträgen auch Strafzinsen auf Bankeinlagen) zurückzuführen ist.
Limitierend auf die Nachfrage nach Eigentumswohnungen macht sich hingegen die restriktivere Kreditvergabe seitens der Banken bemerkbar. Das generell steigende Risiko für Arbeitslosigkeit sowie sinkende Einkommen von Selbstständigen und Unternehmern machen es vielen Kunden noch schwerer, eine Finanzierung für einen Wohnungskauf zu bekommen.
Zufriedenstellend, wenn auch nicht ganz vergleichbar mit dem Eigentumsmarkt, ist die Entwicklung im Mietsegment. Bei realistisch angesetzten Miethöhen werden Wohnungen im Neubau wie im Bestand weiterhin durchwegs sehr rasch wieder verwertet. Eine Schwächephase gibt es nur im Segment des Mikrowohnens, da hier die Nachfrage wesentlich von internationalen Mietern, insbesondere Studenten, getrieben wurde. Deren Zahl ist seit dem Ausbruch der Corona-Epidemie aber deutlich zurückgegangen.
Die starke Nachfrage seitens institutioneller und privater Käufer und die günstigen Finanzierungskosten haben in den ersten drei Quartalen des Jahres zu einem weiteren kontinuierlichen Anstieg der Wohnungspreise geführt. In guten, zentrumsnahen Lagen liegen die Kaufpreise um rund 3,5 bis 4,0 Prozent über den Vergleichspreisen des Vorjahres, in durchschnittlichen Lagen und in den Stadtentwicklungsgebieten um 2,5 bis 3,0 Prozent.
Im Mietsegment bewirkt das deutlich steigende Angebot hingegen eine spürbar moderatere Entwicklung. Im wesentlichen werden derzeit stabile Seitwärtsentwicklungen verzeichnet. Bei sehr ambitionierten Mieterwartungen müssen Vermieter mit längeren Verwertungszeiten rechnen, insbesondere ist das bei Großprojekten im höherpreisigen Bereich zu beobachten.
Die Perspektiven für den Wiener Wohnungsmarkt sind weiterhin sehr gut. Nachfrageseitig wird der Markt mittelund langfristig von der positiven Bevölkerungsentwicklung und der steigenden Haushaltszahl geprägt, die im Durchschnitt für einen zusätzlichen Bedarf von rund 10.000 Wohnungen im Jahr sorgen. Nachdem mehrere Jahre lang deutlich weniger neue Wohnungen auf den Markt kamen als eigentlich zusätzlich benötigt wurden, kann mit der hohen Wohnbauleistung von 2020 maximal der Rückstau aus den Vorjahren abgebaut werden, keinesfalls wird daraus ein Überangebot entstehen.
In der kurzfristigen Betrachtung spielt das Zinsniveau eine wichtige Rolle. Da aus heutiger Sicht alles dafür spricht, dass die Niedrigzinspolitik der EZB noch mehrere Jahre lang im Wesentlichen unverändert fortgesetzt wird, ist auch damit zu rechnen, dass es weiterhin starke Nachfrage nach Wohnungseigentum geben und damit verbunden auch die positive Preisentwicklung anhalten wird.
Bei den Mieten ist mit keiner über der Inflationsrate liegenden Preisentwicklung zu rechnen, da dieses Segment nicht von dem positiven Zinsumfeld beeinflusst wird, das Angebot hoch bleiben und die schwächere Entwicklung der Haushaltseinkommen wegen der wirtschaftlichen Folgen der Coronakrise die Nachfrage etwas dämpfen wird.
Auf der Angebotsseite wird schon 2021 ein deutlicher Knick verzeichnet werden, die Fertigstellungszahl wird auf etwa 12.000 sinken. Auch nach 2021 ist mit tendenziell sinkenden Fertigstellungszahlen zu rechnen, nicht zuletzt wegen eines Mangels an bebaubaren Liegenschaften und eines Rückstaus bei den Einreichungen der projektierten Bauvorhaben aufgrund von Corona.