Der heimische Retailmarkt gestaltet sich heuer spürbar dynamisch, wie der aktuelle Marktbericht von OTTO Immobilien zeigt. Neue Konzepte und steigende Passantenfrequenzen führen den stationären Einzelhandel wieder in ruhigere Fahrwasser – das gilt ganz besonders für die Toplagen, berichtet Anja Mutschler, Teamleiterin Geschäftsflächen bei OTTO Immobilien.
Der stationäre Einzelhandel leidet nach wie vor unter den herrschenden Rahmenbedingungen – von gesunkener Kaufkraft über ein verändertes Konsumentenverhalten bis zu Insolvenzen, Verkaufsflächenreduktionen und erhöhten Energiekosten. Das allerdings hat dazu geführt, dass sich die Retailer, zum Teil zumindest, neu erfinden: sei es mit besonderen Storekonzepten, sei es mit alternativen Nutzungen, Monobrand-Stores oder Entertainment-Welten. Auch neue Player sind am Markt zu finden. „Wieder einmal zeigt sich, dass nichts so konstant ist, wie die Veränderung“, sagt Anja Mutschler.
Das führt zu einer durchaus dynamischen Vermietungssituation: Vor allem in den Top-Lagen wie dem Goldenen H oder der Kernzone der Mariahilfer Straße können zeitnahe und oftmals lukrative Nachvermietungen gewährleistet und damit längerem Leerstand entgegengewirkt werden. „Am stärksten nachgefragt sind Standorte mit überregionaler Anziehungskraft, hoher Passantenfrequenz sowie Lagen mit Verweilqualität“, so Anthony Crow, Abteilungsleiter Immobilienvermarktung Gewerbe bei OTTO Immobilien.
A apropos Frequenz: „Es ist davon auszugehen, dass die realen Passantenfrequenzen im Jahr 2023 die 2022 von der WKO publizierten Werte um mindestens 10-20 % übersteigen. Damit liegt das Besucheraufkommen der Wiener Einkaufsstraßen wieder auf dem Niveau vor der Corona-Pandemie und kann im europäischen Vergleich durchaus mit den Werten anderer Metropolen konkurrieren“, beschreibt Martin Denner, Abteilungsleiter Research bei OTTO Immobilien, die aktuelle Situation. Im Fokus des Expansionsgeschehens stehen somit neben den renommierten Einkaufsstraßen neu errichtete Begegnungszonen. Die Dynamik schlägt sich auch in den Mieten nieder: In den A-Lagen ist das Mietniveau stabil, in einzelnen Fällen, insbesondere bei Anmietungen von funktionalen Flächen in beliebten Hotspots, konnten sogar Mietpreissteigerungen erzielt werden. „In Summe lässt sich festhalten, dass sich die Wiener Einkaufsstraßen trotz teils widriger Umstände positiv entwickeln und somit in der nahen Zukunft mit einer spannenden Dynamik zu rechnen ist“, freut sich Mutschler.
Strengere und längere Prüfungsphasen
Eines ist bei Vermietungsprozessen allerdings zu bemerken: Durch die veränderten wirtschaftlichen Marktbedingungen und die hohen Raum- bzw. Baukosten haben sich sowohl die Prüfprozesse der Retailer als auch die Vertragsverhandlungen in der Anmietung deutlich verlängert - unabhängig vom jeweiligen Standort. „Was alle Retailer eint, ist die Tatsache, dass mehr Wert auf eine umfassende Standortanalyse gelegt wird und der Zeitraum der Gesamtabwicklung des Anmietungsprozesses tendenziell länger wird. Gleichzeitig wird in den Mietvertragsvereinbarungen mehr denn je Wert auf konsensfähige Lösungen in Bezug auf flexible Ausstiegsklauseln und Verlängerungsoptionen, Staffel- sowie Umsatzmieten, Baukostenzuschüsse, Pandemie- sowie Kriegsklauseln gelegt“, so Mutschler.
Gleichzeitig entwickeln sich neue, klimafreundliche Geschäftsmodelle und Shopping-Erlebnisse mit dem Ziel, ökonomischer, ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit gerecht zu werden. Auch „Green Lease Klauseln“ sind immer öfter Bestandteil der Mietverträge, berichten die Experten von OTTO Immobilien. Die voraussichtlich 2024 in Kraft tretende CSRD-Richtlinie (Corporate Sustainability Reporting Directive) und das in Entwurfsstadium befindliche Lieferkettengesetz sind weitere Treiber dieser Bestrebungen.
Neue Konzepte, neue Anforderungen
Die neuen Konzepte, auf die viele Retailer setzen, haben ebenso Form und Funktion der Shopfläche verändert. „Es sind verstärkt Anmietungen kleinerer Shops mit ebenerdigen Verkaufsflächen und direkt angebundenen Nebenflächen zu beobachten“, sagt Crow. An den am meisten nachgefragten Standorten können zwar weiterhin Großflächen solide nachvermietet werden, in den Nebenlagen jedoch gestalten sich Vermarktungsprozesse bei mehrgeschoßigen Shops oftmals als herausfordernd.
Discounter und Luxus geben den Ton an
Während bei einem Großteil der Retailer der Trend hin zu strategischen Portfoliooptimierungen beziehungsweise Relocations zu erkennen ist, erweisen sich zwei Teilsegmente derzeit als besonders expansiv – die Discounter und das Premium- bzw. Luxury-Segment. Erstere profitieren vom sich verändernden Konsumverhalten und der gesunkenen Kaufkraft, was sich im Ausbau des Standortnetzes niederschlägt. Zweitere wiederum sichern sich weltweit Top-Locations mit dem Ziel, Präsenz zu signalisieren. Dies ist deutlich erkennbar an den geplanten sowie bereits erfolgten Neueröffnungen hochwertiger Marken in Spitzenlagen der Wiener Innenstadt wie dem Goldenen H oder am Kohlmarkt. Neben diesen beiden Segmenten sind auch weiters verstärkt Monolabels, Produzenten und Hersteller auf Standortsuche.
Handelsflächen gehen zurück
Eine weitere interessante Tendenz ist bereits seit längerem erkennbar und wurde von den Expert:innen von Regioplan Consulting kürzlich analysiert – der Rückgang der Verkaufsfläche: Derzeit stehen je Einwohner zirka 1,56 m² Handelsfläche zur Verfügung, im Jahr 2014 waren es noch 1,77 m². Für Mutschler kein Grund zur Besorgnis: „Wir sind nach wie vor der festen Überzeugung, dass der stationäre Einzelhandel auch weiterhin eine wichtige Rolle in der Gestaltung attraktiver Innenstädte spielen wird. Die aktuellen Gesuche für Neuentwicklungen und Expansionsbestrebungen in den Einkaufsstraßen schaffen Zuversicht für eine positive Entwicklung“.
Investment: Handelsimmobilien werden immer wichtiger
Auch am Investmentmarkt zeichnet sich für die Assetklasse Retail eine steigende Dynamik ab: „Mit Stand drittes Quartal konnte im Jahr 2023 ein Verkaufsvolumen von rund 473 Mio. Euro erzielt werden. Mit einem Anteil von 25 % am Gesamttransaktionsvolumen ist nach einem Corona-bedingt schwächeren Jahr 2022, in dem das Transaktionsvolumen lediglich 317 Mio. Euro und der Anteil 8 % betrug, ein Bedeutungsgewinn des Bereichs der Handelsimmobilien feststellbar“, sagt Christoph Lukaschek, Abteilungsleiter Investment bei OTTO Immobilien. Hauptverantwortlich für einen Großteil dieses Volumens war mit einem Anteil von ca. 74 % der Verkauf des Signa Retail Portfolios, welches 40 Immobilien der Kika/Leiner-Gruppe beinhaltet. Wie in anderen Assetklassen verzeichnen dabei auch Handelsimmobilien einen Preisrückgang, der aber weniger drastisch ausfällt als in anderen Assetklassen. Dies gilt insbesondere für Fachmarktzentren mit einem dominierenden Anteil an Nahversorgung“, sagt Lukaschek. Anders sieht es bei High Street Objekten in prestigeträchtigen Einkaufslagen des ersten Wiener Gemeindebezirks sowie der Mariahilfer Straße aus: Diese halten nach wie vor eine Ausnahmeposition am Immobilienmarkt.
Höchste Rendite bei 6,5 %
Die Spitzenrendite für neuwertige Fachmarktzentren an guten Standorten in Österreich lag bei 6,5 %, heißt es im Retail-Marktbericht weiter. Für ein Highstreet Objekt in Wien liegt die maximale Zahlungsbereitschaft der Investoren bei einer Rendite von 4,4 %, für Trophy-Objekte in absoluten Spitzenlagen kann sie auch noch darunter liegen.
Bei Einkaufszentren beträgt die Spitzenrendite derzeit 5,2 %, wobei in diesem Segment in den letzten 24 Monaten keine nennenswerte Transaktion stattgefunden hat. „Die Sektoren Büro, Wohnen und Logistik lassen bis zum Ende des Jahres weiter leicht steigende Renditen erwarten, während in den Sektoren Retail und Hotel die Spitzenrenditen bis zum Jahresende voraussichtlich um bis zu 50 Basispunkte steigen könnten“, sagt Lukaschek.
Ausgewählte Einkaufsstraßen in Wien:
Kohlmarkt und Goldenes Quartier
Der Kohlmarkt, der eine positive Entwicklung der Passantenfrequenzen verzeichnete, ist bekannt für seine historische Bedeutung als exklusive Einkaufsstraße sowie seine Lage im Herzen der Altstadt. Exklusive Flagship-Stores und Boutiquen prägen das Bild, wodurch der Straßenzug weiterhin als Top-Destination für Konzepte der Luxusgüterindustrie gilt. Vor allem in diesem Jahr war eine hohe Dynamik zu beobachten, bedingt durch signifikante Umzüge und Neueröffnungen. Neue Luxusmarken haben attraktive Standorte für ihre Flagship-Stores angemietet, was dazu führte, dass sich die Vielfalt der Handelsstruktur vertieft und der hohe Stellenwert des Standortes im internationalen Kontext unterstrichen werden konnte. Gegenwärtig befinden sich weitere Off-Market-Standorte diskret in Vermarktung. Im Zuge der Corona-Pandemie haben zudem bereits etablierte Player in den Bestand investiert, das Shop Konzept erneuert und mit neuem Ladenbau eröffnet. Die Neupositionierungen und strategischen Vorhaben der bestehenden Mieterstruktur am Kohlmarkt haben auch das angrenzende Goldene Quartier, das mit einer ausgewogenen Kombination aus Luxusgeschäften und exklusiven Gastronomiebetrieben punktet,weiter beflügelt: Auch hier konnten exklusive neue Mieter gewonnen und die Passantenfrequenz erhöht werden.
Graben
Inmitten des Goldenen H und eingebettet zwischen den beiden Hotspots Kärntner Straße und Kohlmarkt, gilt der Graben als eine der renommiertesten Adressen Österreichs. National und international bekannte renommierte Mieter haben die Einkaufsstraße zu einem magnetischen Anziehungspunkt für namhafte Retailer und damit auch Besucher*innen werden lassen. Trotz hoher Mietniveaus ist die Vermietungssituation auch in diesem Jahr äußert dynamisch, die Leerstandsquote liegt weiterhin auf niedrigem Niveau. Neben den derzeit in Vermarktung befindlichen Off-Market-Objekten, für die erfahrungsgemäß rasch solide Nachvermietungen gewährleistet werden können, befinden sich einige neu angemietete Flagship-Stores aktuell noch im Umbau. Nach Fertigstellung werden neue Stores wie beispielsweise Saint Laurent die Vielfalt des Branchen- und Mietermixes vor Ort erweitern und Konsumenten einen weiteren Mehrwert bieten können. Auch die Seitenstraßen des Grabens gewinnen durch ihre authentische Atmosphäre zunehmend an Bedeutung und erwecken wachsendes Interesse für die Anmietung von Geschäftsflächen. Die frequentierten Nebenlagen bieten eine einzigartige Gelegenheit für Konzepte, sich in einer erstklassigen Lage des ersten Wiener Gemeindebezirks zu positionieren und werden somit zu einer immer bedeutsameren Ergänzung zum Hauptgeschehen im Goldenen H.
Kärntner Straße
Ebenfalls ganz oben auf der Wunschliste der Expansionsverantwortlichen steht die Kärntner Straße, die zu einer der am stärksten nachgefragten Standortzonen Europas gehört. Der Straßenzug hat sich auch heuer positiv weiterentwickelt und gilt international als robust und krisensicher. Die nicht zuletzt überdurchschnittlich hohe Passantenfrequenz führt auch in diesem Jahr zu einer regen Dynamik und Nachfrage, insbesondere von internationalen Retailern. In diesem Jahr verzeichnete die Kärntner Straße kaum einen signifikanten Leerstand, dennoch bestehen aktuell renommierte Off-Market-Optionen, die derzeit in Vermarktung sind. Kommt es entlang der Einkaufsmeile zu einer Schließung, kann erfahrungsgemäß durchaus zeitnah ein passender Nachmieter gefunden werden. Gegenwärtige Mietvertragsabschlüsse zeigen, dass angesichts der globalen Bedeutung des Straßenzugs potenzielle Mieter oftmals dazu bereit sind, hohe Mietpreise für ihre Flagship-Stores zu akzeptieren, wodurch sich die Mietpreise auf einem ebenso stabilen Niveau bewegen.
Mariahilfer Straße
Eine Zunahme des Shopping-Erlebnisses sowie der nachhaltigen Angebote mit gebündelter Markenvielfalt aus unterschiedlichen Segmenten verdeutlichen die Bedeutung der Mariahilfer Straße als eine der lebendigsten und am stärksten pulsierenden Gebiete der Stadt. Neben dem ausgewogenen Mix an Gastronomie prägen Fast Fashion Player, Premiumlabels, Produzenten, Hersteller und renommierte Dienstleister die Einzelhandelslandschaft vor Ort. Das vorwiegend konsum- und sportorientierte Angebot zieht ein tendenziell jüngeres und urbaneres Publikum an. Trotz des teils ambitioniertes Mietniveaus, insbesondere im mittleren Bereich der Einkaufsstraße, sowie den weiterhin für den Handel prägenden geopolitischen und wirtschaftlichen Herausforderungen, ist der Leerstand heuer hier nicht stark gestiegen. Vakante Standorte sind meist im oberen Teil der Mariahilfer Straße, in der Nähe des Westbahnhofs, situiert oder befinden sich in Zonen, die durch aktuelle Bauprojekte beeinträchtigt sind. Insbesondere der Ausbau des neuen U-Bahn-Knotenpunkts führt zu gewissen Einschränkungen und in weiterer Folge dazu, dass Neuvermietungen von Standorten, die durch die Baumaßnahmen beeinträchtigt werden, genauestens geprüft werden. Die Nachfrage nach Geschäftsflächen bleibt allerdings weiterhin auf einem konstant guten Niveau. Die am stärksten nachgefragte Standortzone liegt zwischen Stiftgasse und Neubaugasse, wobei auch die Nachfrage nach Standorten rund um das in Bau befindliche Kaufhaus Lamarr deutlich zugenommen hat. Insbesondere internationale Marken sehen Potenzial in dieser Projektentwicklung und suchen für ihren Markteintritt gezielt nach Geschäftsflächen in der Nachbarschaft, um potenzielle Synergie- und Agglomerationseffekte zum künftigen Kaufhaus schaffen zu können.
Landstraßer Hauptstraße
Die drittgrößte Einkaufsstraße Wiens zieht, bedingt durch die zentrale und gut angebundene Lage, Besucher:innen und Konsument:innen aus einem großen Einzugsgebiet an. Die Zielgruppen der Landstraßer Hauptstraße weisen eine überdurchschnittlich hohe Kaufkraft auf, mit einer Affinität zu nachhaltigen Produkten und Services, die sich in der Struktur der angesiedelten Handelsbetriebe manifestieren. Der starke Nahversorgungscharakter der Einkaufsstraße hat sich in der Vergangenheit als widerstandsfähiges Zentrum erwiesen und bleibt wichtiger Anlaufpunkt. Die Nachfrage nach Geschäftsflächen bleibt auf konstant solidem Niveau, nicht zuletzt aufgrund der direkten Nähe zum hippen Hotspot Rochusmarkt und dem stark frequentierten Knotenpunkt Wien Mitte, die eine überregionale Strahlkraft und Anziehungskraft ausüben.
Meidlinger Hauptstraße
Die Meidlinger Hauptstraße bleibt als Nahversorgungszone für ihr Einzugsgebiet von hoher Bedeutung. Der Straßenzug weist eine geringe Leerstandsquote auf und bietet neben Branchen und Mietern, die auf kurzfristige Bedürfnisse und Gastronomie setzen, eine hohe Passantenfrequenz und Aufenthaltsqualität. Die Nachfrage bleibt auf konstantem Niveau und bei leer werdenden Standorten können zeitnahe Nachvermietungen gewährleistet werden. Geschäftsflächen, die schon längere Zeit auf dem Markt angeboten werden, sind in der Regel Objekte mit mehreren Etagen bzw. liegen die Mietpreisvorstellungen über dem Marktdurchschnitt. Die Eröffnung des noch in Bau befindlichen Vio Plaza könnte sich in absehbarer Zeit auf die Mieterstruktur und die Nachfrage in der Meidlinger Hauptstraße auswirken: Das neue Mixed-Use-Projekt und Einkaufszentrum wird einen breiten Branchen- und Mietermix bieten und somit potenziell die bestehende Konkurrenzsituation beeinflussen.
Favoritenstraße
Der deutliche Strukturwandel entlang der Favoritenstraße hält an. Die Einkaufsstraße kämpft seit Längerem mit einer signifikanten Leerstandsquote - trotz der bunten Vielfalt, der hohen Passantenfrequenzen und guten Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel. Gründe hierfür sind unter anderem teils hohen Mietpreise und – bedingt durch ihre Portfoliooptimierung – der Fokus vieler Filialisten auf A-Lagen. Das Columbus Center, Teil der Favoritenstraße, konnte gegenwärtig renommierte Ankermieter gewinnen, wodurch zwar das Einkaufszentrum an Frequenz gewann, die Favoritenstraße jedoch weiter unter Druck geraten ist. Die am meisten nachgefragte Zone in diesem Straßenzug befindet sich zwischen Keplerplatz und Reumannplatz, sie punktet mit hoher Frequenz und einem stabilen Mietermix.